Neonikotinoide gehören zu den meistverkauften Pestiziden weltweit und stehen im Verdacht, für das Bienensterben mitverantwortlich zu sein. Die EU prüft derzeit ein Totalverbot von drei Wirkstoffen in der freien Natur. Die Hersteller Syngenta und Bayer wehren sich dagegen – aber nicht nur sie.
Syngenta-Chef Erik Fyrwald hält ein Verbot für kontraproduktiv. Die Ausweitung eines Verbots von Neonikotinoiden in Europa würde dazu führen, dass die Ernteerträge schrumpfen und Landwirte ältere Pflanzenschutzmittel einsetzen würden, die weniger umweltfreundlich seien, sagt er in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur SDA. «Wir glauben, dass es die falsche Entscheidung ist.»
Unterstützung erhält er ausgerechnet von einem Bienenforscher, der von der Schädlichkeit von Neonikotinoiden für Bienen überzeugt ist. «Ich halte ein Totalverbot zum jetzigen Zeitpunkt nicht für zielführend, die Landwirtschaft braucht Alternativen», sagt Peter Neumann, Professor für Bienengesundheit an der Universität Bern. Er hatte 2016 in einer Studie nachgewiesen, dass männliche Honigbienen wegen Neonikotinoiden weniger fruchtbar werden und weniger lang leben.
Umweltverbände wie Pro Natura und Greenpeace Schweiz, die seit Jahren ein vollständiges Verbot dieser Pestizide fordern, begrüssen den geplanten EU-Vorstoss hingegen als einen Schritt in die richtige Richtung. Auch der WWF Schweiz hält diesen Schritt für dringend notwendig. Das Argument der Industrie, ein Totalverbot von Neonikotinoiden bedeute Ernteausfälle und den Einsatz schädlicherer Insektizide, bezeichnen sie als vorgeschoben.
«Es liegt an der Industrie, umweltfreundlichere Pflanzenschutzmittel zu entwickeln», sagt Marcel Liner von Pro Natura. Noch besser sei, wo immer möglich auf Pestizide zu verzichten. Es sei bereits heute möglich, in der Landwirtschaft ohne chemisch-Pestizide zu arbeiten, wie der biologische Landbau zeige.
Vom geplanten EU-Verbot betroffen sind die Wirkstoffe Thiamethoxam von Syngenta sowie Imidacloprid und Clothianidin von Bayer. Für diese gibt es seit 2013 in der Schweiz und der EU ein Teilverbot. Es basiert auf einer Einschätzung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Zuvor hatten mehrere Studien Hinweise auf die Gefährdung von Honigbienen durch diese Pflanzenschutzmittel geliefert.
Das bestehende Moratorium schränkt bestimmte Anwendungen dieser Wirkstoffe stark ein. So sind zum Beispiel bei Mais und Raps Saatgut- und Bodenbehandlungen nicht mehr und Blattbehandlungen nur nach der Blütezeit erlaubt.
Jetzt will die EU-Kommission noch einen Schritt weitergehen und den Einsatz dieser Wirkstoffe in der freien Natur ganz verbieten. Nur noch in Gewächshäusern sollen sie erlaubt sein. Bereits in wenigen Wochen, so eine Sprecherin, wolle die EU-Kommission einen entsprechenden Vorschlag vorlegen.
Bei Zustimmung der EU-Mitgliedstaaten könnte dann bereits Anfang 2018 ein Verbot dieser synthetischen Insektizide in Kraft treten. Eine Zustimmung der EU-Staaten zu einem Totalverbot ist allerdings nicht sicher. In Bern wartet das zuständige Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) den Entscheid aus Brüssel ab, wie es auf Anfrage heisst.
In der Landwirtschaft spielen Neonikotinoide als Schädlingsbekämpfungsmittel eine wichtige Rolle. Sie greifen die Nervenzellen von schädlichen Insekten wie etwa dem Maiszünsler und dem Rapsglanzkäfer an, aber nicht diejenigen von Wirbeltieren. Sie werden hauptsächlich als Beizmittel eingesetzt. Dabei wird bereits das Saatgut mit dem Schutzmittel behandelt und wirkt dann von innen heraus auf die Pflanze.
80 Prozent des Umsatzes von Saatgutbeizmitteln erzielen die Produzenten heute mit Neonikotinoiden. Mit einem Marktanteil von mehr als einem Viertel sind sie die weltweit meistverkauften Insektengifte.
Seit der Einführung dieser Wirkstoffe in den 1990er-Jahren spritzen die Bauern zwar weniger Pestizide. In Nektar, Pollen, Boden und Wasser lassen sich aber Spuren dieser Schädlingsbekämpfungsmittel nachweisen.
Dass diese schädliche Auswirkungen auf Bienen und andere nützliche Insekten haben können, halten viele Forscher durch zahlreiche Studien für ausreichend belegt. Einige Umweltschützer warnen sogar davor, dass die Substanzen auch für viele andere Tiere wie etwa Vögel eine ernsthafte Bedrohung seien.
Syngenta und Bayer wehrten sich bereits gegen das 2013 geltende Teilverbot mit einer Klage beim Gericht der EU. Ihrer Ansicht nach stellen Neonikotinoide – ebenfalls auf viele Studien gestützt – kein unvertretbares Risiko für Honigbienen und andere Bestäuber dar. Darüber hinaus, kritisieren sie, habe es die EU-Kommission versäumt, die Auswirkungen auf die Landwirtschaft in Europa zu untersuchen.
Eine Studie der deutschen Forschungsgesellschaft HFFA im Auftrag von Bayer und Syngenta kam zum Schluss, dass den europäischen Rapsproduzenten und -verarbeitern durch das geltende Teilverbot jährlich Verluste in Höhe von fast 900 Millionen Euro entstehen. Zu den Auswirkungen eines möglichen Totalverbots gibt es keine Zahlen.
Der Syngenta-Chef macht sich über die Folgen für das eigene Geschäft gegen aussen wenig Sorgen. «Neonikotinoide sind ein wichtiges Produkt für uns. Ein Verbot würde aber nicht die gesamte Gewinnstruktur oder die Position unseres Unternehmens verändern», sagt Fyrwald. «Wir haben andere Produkte und eine Reihe anderer Mittel, die wir verkaufen.»
Zu konkreten Umsatzzahlen halten sich Bayer und Syngenta bedeckt. «Wir veröffentlichen keine Umsatzzahlen zu einzelnen Wirkstoffen oder Produkten», heisst es unisono. Nach Angaben von Syngenta macht der Verkauf von Neonikotinoiden in der EU weniger als ein Prozent des Konzernumsatzes von 12.8 Milliarden Dollar aus.
Laut einer Bayer-Studie erzielte Syngenta 2009 mit Thiamethoxam weltweit knapp 630 Millionen Dollar Umsatz. Bayer Cropscience nahm mit Imidacloprid und Clothianidin knapp 1.1 Milliarden Dollar beziehungsweise knapp 440 Millionen Dollar ein. Aktuellere Zahlen liegen nicht vor.
Der weltweite Insektizidmarkt wird auf etwa 4 Milliarden Dollar geschätzt. 1.64 Milliarden Dollar davon entfallen gemäss den im Jahresbericht 2016 ausgewiesenen Zahlen auf Syngenta. Das entspricht knapp 13 Prozent des Gesamtumsatzes des Agrochemiekonzerns. (cma/sda)