Nepal ist eines der ärmsten Länder der Welt. Zusätzlich wurde der Himalaya-Staat in den jüngeren Vergangenheit durch einen Bürgerkrieg und ein schweres Erdbeben erschüttert. Darunter litten nicht nur die Menschen, sondern auch die Tierwelt. Das hat sich geändert. Die Zahl der Tiger in Nepal habe sich seit 2009 «fast verdoppelt», jubelte der WWF letztes Jahr.
Nun zeigt eine aufwändige Recherche mehrerer Medien, darunter Buzzfeed und die «Kathmandu Post», dass die Erfolge im Tierschutz häufig auf Kosten der Menschen gehen, nicht nur in Nepal, sondern auch in anderen Ländern Asiens und Afrikas. Eine Schlüsselrolle spiele der WWF, die Organisation mit dem Panda-Logo und Hauptsitz in Gland (VD) am Genfersee.
Die Vorwürfe sind gravierend. Vom WWF finanzierte und ausgerüstete Wildhüter hätten schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen. Die Umweltorganisation habe die Vorwürfe ignoriert oder aktiv bei der Vertuschung geholfen, so die von Buzzfeed koordinierte Recherche. Ein Überblick über die Vorwürfe:
Der Chitwan-Nationalpark ist die zweitgrösste Touristenattraktion in Nepal nach den Himalaya-Gipfeln. Der WWF unterstützt seit Jahren die Wildhüter, die gemeinsam mit einer im Park stationierten Armeeeinheit die Tiere schützen, darunter mehrere hundert Nashörner. Dabei sei es immer wieder zu Übergriffen auf die Menschen gekommen.
Dokumentiert wird der Fall eines Bauern, der beschuldigt wurde, in seinem Hinterhof das Horn eines Nashorns vergraben zu haben. Obwohl die Ranger nichts fanden, wurde er eingesperrt und so lange gefoltert, unter anderem durch Waterboarding, bis er starb. Das Verfahren gegen drei beteiligte Männer wurde nicht nur eingestellt. Einer erhielt vom WWF eine Festanstellung.
Der Bericht listet zahlreiche Übergriffe von «Tierschützern» auf, die vom WWF unterstützt werden: In Nepal, Indien, Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und der Demokratischen Republik Kongo. Betroffen war oft die indigene Bevölkerung. Allein im Chitwan-Park seien Zehntausende vertrieben und ausserhalb angesiedelt worden, wo sie oft ein armseliges Leben führen müssten.
Der Fall sorgte in Nepal 2012 für Schlagzeilen: Ein Soldat hatte versucht, eine Frau im Chitwan-Nationalpark zu vergewaltigen. Als sie sich wehrte, schlug er sie bewusstlos. Die Frau wurde unter Druck gesetzt, keine Schritte gegen den Soldaten zu unternehmen. Einige Monate später verlieh der WWF seiner Einheit eine Auszeichnung für ihren Kampf gegen die Nashorn-Wilderei.
Ähnliche Fälle sind aus anderen Ländern dokumentiert, vor allem in Afrika. Im Kongo wurden 2015 vier Frauen, die im Salonga-Nationalpark gefischt hatten, Opfer einer Massenvergewaltigung durch Wildhüter. Der WWF ist im grössten tropischen Regenwald-Park Afrikas stark involviert. Ein dem WWF zugestellter Bericht zu den Übergriffen blieb bis vor kurzem unter Verschluss.
Im autoritär regierten Kamerun und in der von Konflikten erschütterten Zentralafrikanischen Republik soll der WWF mit berüchtigten paramilitärischen Organisationen zusammenarbeiten. Diese sollen nicht nur Geld und Ausrüstung wie Satellitentelefone und Geländewagen erhalten haben, sondern auch Waffen, darunter Kalaschnikows.
Das wäre hoch brisant, denn der WWF hat strenge Regeln, die den Kauf oder Verkauf von Waffen verbieten. Konkret sollen sie von der für Gräueltaten bekannten Armee der Zentralafrikanischen Republik geliefert worden sein. Ein ehemaliger WWF-Angestellter sei angeheuert worden, um den Deal zu «verschleiern». Ein Teil des Geldes soll zudem in dunkle Kanäle versickert sein.
Der WWF unterstützt laut der Buzzfeed-Recherche nicht nur patrouillierende Wildhüter. Er soll auch ein eigentliches Spitzelsystem aufgebaut haben. Dorfbewohner seien als «Informanten» angeheuert und bezahlt worden. Sie seien dadurch zur Zielscheibe möglicher Vergeltungsaktionen geworden. Nach aussen hat der WWF wiederholt erklärt, man arbeite nicht mit Informanten.
Die Vorwürfe an den WWF betreffend Menschenrechtsverletzungen sind nicht neu. Sie wurden schon 2011 im Dokumentarfilm «Der Pakt mit dem Panda» erhoben. Im Januar hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ein Verfahren gegen den WWF wegen Übergriffen von Wildhütern auf die indigene Bevölkerung in Kamerun eingeleitet.
Der WWF gab 2015 einen Bericht in Auftrag, hielt ihn aber unter Verschluss. Generaldirektor Marco Lambertini betonte, es handle sich «um eine Angelegenheit der Regierung in Kamerun». Noch heute unterstütze der WWF die Wildhüter im Lobéké-Nationalpark. Die deutsche Entwicklungsbank, ein wichtiger WWF-Geldgeber, stellte 2018 in einer eigenen Untersuchung fest, zwischen Wildhütern und Bewohnern herrsche eine Atmosphäre von «Furcht und Misstrauen».
Der Tierschutz in armen Ländern ist eine gefährliche Angelegenheit. Wilderei ist für die Bevölkerung häufig eine willkommene Einkommensquelle. In den letzten Jahren wurden Dutzende Parkranger von Wilderern getötet. «Entsprechend gewaltbereit sind auch die Wildhüter selber», sagte ein an der Recherche beteiligter Journalist gegenüber Radio SRF.
Der WWF sei nicht allein an der «Militarisierung» der Artenschützer beteiligt, räumt Buzzfeed ein. Andere Organisationen seien ebenfalls involviert, sie würden Veteranen aus den Kriegen in Afghanistan und Irak anheuern, um die Wildhüter auszubilden. Ehemalige Elitesoldaten würden ihre Dienste gezielt anbieten. Der WWF sei allerdings «der grösste Player» in diesem Spiel.
Der WWF erklärte gegenüber Buzzfeed, Menschenrechtsverletzungen seien «vollkommen inakzeptabel und könnten niemals im Namen des Artenschutzes gerechtfertigt werden». Die Vorwürfe würden in einer «unabhängigen Untersuchung» von Menschenrechtlern überprüft.