Die vergangene Woche war zäh. Der Winter feierte in weiten Teilen der Schweiz ein Comeback mit tiefen Temperaturen und Schnee. Doch jetzt scheint das Gröbste überstanden. Die kommenden Tage versprechen viel Sonnenschein, das Quecksilber klettert beidseits der Alpen über die 10-Grad-Marke. Der Frühling ist da.
Erinnerungen an den letzten Sommer werden wach, als die Badeanstalten und Restaurants offen und Fussballspiele hierzulande erlaubt waren. Wochenlang verzeichnete die Schweiz weniger als 100 neue Corona-Fälle.
«Mit den steigenden Temperaturen wird auch das Coronavirus wieder verschwinden», dürfte dieser Tage die Hoffnung vieler lauten.
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Doch ist es wirklich so einfach? Die Wissenschaft und ein Blick nach Südamerika liefern Antworten.
Vergangenen Donnerstag veröffentlichte die «World Meteorological Organization» (WMO) einen Bericht über den Zusammenhang der Covid-19-Pandemie und dem Wetter. 16 Experten werteten wissenschaftliche Studien aus und kamen zu folgendem Schluss: «Wetter- und Klimabedingungen, einschliesslich des Beginns höherer Temperaturen im Frühjahr auf der Nordhalbkugel, sollten nicht als Auslöser für eine Lockerung der Massnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus verwendet werden.»
Die WMO-Experten sagen in ihrer Auswertung, die Übertragungs-Dynamiken seien in erster Linie durch die Massnahmen der Regierungen beeinflusst worden. Etwa das Maskentragen oder Reisebeschränkungen. Die meteorologischen Gegebenheiten hätten eine untergeordnete Rolle gespielt.
Virusinfektionen der Atemwege seien zwar oft saisonabhängig, etwa die Grippe, die im Herbst und Winter besonders häufig vorkommt, schreiben die Experten. Ob sich auch das Coronavirus Sars-CoV-2 so verhalte, sei aber unklar.
In Laborstudien habe es Anhaltspunkte gegeben, dass das Coronavirus unter kalten und trockenen Bedingungen und geringer Ultraviolettstrahlung länger überlebt. Ob sich dies aber auch im echten Leben so verhält, kann nicht gesagt werden.
Die Experten schliessen insgesamt nicht aus, dass das Wetter einen gewissen Einfluss auf die Übertragungs-Dynamiken hat, aber es gebe keine Beweise, welche Lockerungen von Massnahmen nahe legen würden.
Dass sich Leute bei schönem Wetter eher draussen als in schlecht belüfteten Innenräumen treffen würden, sei zwar von Relevanz. Doch dieser Faktor müsse noch genauer untersucht werden.
Im Vergleich zum letzten Sommer gibt es noch einen weiteren wichtigen Unterschied: Mutationen. Diese spielen gemäss WMO ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Mutante B.1.1.7, die in der Schweiz dominant ist, ist ansteckender als die ursprüngliche Variante, die letzten Sommer kursierte. Auch die Impfungen werden eine Rolle spielen, bisher ist jedoch erst ein kleiner Teil der Bevölkerung geimpft.
«Wir haben im ersten Jahr der Pandemie Infektionswellen mit steigenden Zahlen in den wärmeren Jahreszeiten und den wärmeren Regionen gesehen, und es gibt keine Hinweise, dass das im laufenden Jahr nicht auch passiert», sagt einer der 16 WMO-Experten, Ben Zaitchik, von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore in den USA.
Werfen wir nun als einen Blick nach Südamerika. Obschon der Winter auf der Südhalbkugel noch weit entfernt ist, werden mehrere Länder von einer starken Corona-Welle überrollt. Brasilien verzeichnete vergangene Woche so viele Neu-Infektionen wie noch nie. Die Kurve der Todeszahlen steigt steil an und hat Werte erreicht, wie sie die Schweiz zu Spitzen der zweiten Welle erlebt hat.
Dass die Spitäler in Brasilien momentan vielerorts überlastet sind, hat unter anderem mit der Verbreitung der Mutante P.1 zu tun. Diese ist gemäss erster Erkenntnisse nicht nur ansteckender als bisher bekannte Varianten. Möglicherweise schützt auch eine erste Ansteckung nicht vor einer Re-Infektion.
Wie stark die P.1-Mutante bereits in den umliegenden Ländern verbreitet ist, lässt sich nicht genau sagen, da die nötigen Sequenzierungen fehlen. Gestern veröffentlichte Zahlen lassen jedoch vermuten, dass die P.1-Mutante auch im Rest Südamerikas auf dem Vormarsch ist.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Uruguay untersuchten 175 Covid-19-Proben. 24 davon konnten dem P.1-Strang zugeordnet werden. Die Fälle beim südlichen Nachbar Brasiliens haben in den vergangenen Tagen ebenfalls stark zugenommen. Ähnliches gilt für Paraguay und Peru.
Bemerkenswert ist die Entwicklung in Chile. Am Samstag wurde dort ein neuer Fallzahlen-Rekord vermeldet. Dies, obschon das Land beim Impfen aufs Gas drückt. 30 Prozent der Bevölkerung haben schon eine erste Dosis erhalten, 15 Prozent sind sogar doppelt geimpft. Trotzdem sind die Spitäler vielerorts voll mit Covid-Patienten.
Nun mögen die Gründe für den Anstieg der Corona-Fälle für die genannten Länder unterschiedlich sein. Die Massnahmen und das Einhalten ebendieser spielt eine wichtige Rolle. Die aktuelle Entwicklung in Südamerika zeigt jedoch deutlich – der Sommer alleine wird das Virus nicht zum Verschwinden bringen.
Feiern sie nicht wie gewöhnlich zu Hause sondern feiern sie drausen, zB. eine Waldweihnacht.
Wieso soll im Frühling jene Logik - drausen weniger Ansteckungsgefahr als drinnen, jetzt nicht mehr gelten?