Wissen
Schweiz

Geheimes Treffen in Ascona: SS-General verhandelte mit den Alliierten

Im malerischen Tessiner Dorf Ascona trafen sich im März 1945 Nazis und Allierte zu geheimen Kapitulationsverhandlungen.
Im malerischen Tessiner Dorf Ascona trafen sich im März 1945 Nazis und Allierte zu geheimen Kapitulationsverhandlungen.ETH-Bibliothek, Bildarchiv, Stiftung Luftbild Schweiz

Geheimes Treffen in Ascona – Wie ein SS-General im Tessin mit den Alliierten verhandelte

Im März 1945 verhandelte ein SS-General mit den Allierten über eine Kapitulation der Deutschen in Italien. Das Treffen fand in Ascona statt und verkürzte den Zweiten Weltkrieg schliesslich um einige Tage.
13.03.2020, 19:5715.03.2020, 13:09
Raphael Rues / Schweizerisches nationalsmuseum
Mehr «Wissen»

Am 18. und 19. März 1945 fand auf der Piazza von Ascona das Frühlingsfest zu Ehren des Heiligen Josefs statt. Trotz Krieg nahmen viele Menschen daran teil und feierten ausgelassen. Zur gleichen Zeit fand in diesem kleinen Fischerdorf ein geheimes Treffen statt. Es ist heute als «Operation Sunrise» oder «Operation Crossword» bekannt und vereinigte hochrangige Vertreter der kriegsführenden Mächte an einem Tisch. Komplettiert wurde die Runde von Schweizer Vermittlern. Verhandelt wurde über eine Kapitulation der deutschen Streitkräfte in Norditalien.

Hier bloggt das Schweizerische Nationalmuseum
Mehrmals wöchentlich spannende Storys zur Geschichte der Schweiz: Die Themenpalette reicht von den alten Römern über Auswandererfamilien bis hin zu den Anfängen des Frauenfussballs.
blog.nationalmuseum.ch

Die ausschliesslich in zivil gekleideten Teilnehmer des Treffens waren SS-Obergruppenführer Karl Wolff, Generalmajor Lyman L. Lemnitzer für die USA sowie der englische Generalmajor Terence S. Airey. Das Zusammentreffen war von Allen Dulles, Leiter des Office of Strategic Services (OSS) in Bern – einem US-Nachrichtendienst des amerikanischen Kriegsministeriums – zusammen mit seiner rechten Hand, dem Deutsch-Amerikaner Gero von Schulze-Gaevernitz, organisiert worden.

Zusätzlich waren der italienische Baron Luigi Parilli, der Schweizer Nachrichtendienst-Offizier Max Waibel und Max Husmann, Gründer und Direktor des Instituts Montana am Zugerberg, anwesend. Hinzu kamen Adjutanten, Sekretärinnen, Übersetzer und Leibwächter. Die Gruppe bestand aus mindestens 20 Personen. Nicht dabei waren die Russen.

Porträt von Allen Dulles, der 1953 Direktor der CIA wurde.
Porträt von Allen Dulles, der 1953 Direktor der CIA wurde.Bild: Wikimedia

Für das Treffen wurden in der Region Ascona mehrere Liegenschaften genutzt. Während die Vertreter der Allierten in der Villa al Roccolo des Industriemagnaten und Nazi-Gegners Edmund Hugo Stinnes residierten, logierten andere Teilnehmer als «Touristen» in verschiedenen Hotels. Am 18. März trafen sich Karl Wolff und Allen Dulles in einem kleinen Haus in der Via Signore in Croce in Ascona. Es gehörte ebenfalls Stinnes, der für die Verhandlungen diverse Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt hatte. Die eigentlichen Gespräche begannen am 19. März in der kleinen Villa Margiana am See.

Wichtige Orte der Operation Sunrise. Die grauen Nummern verorten die damals existierenden Hotels Monte Verità (1), Ascona (2), Tamaro (3) und Castello (4). Die gelben Nummern die wichtigen Örtlichkeit ...
Wichtige Orte der Operation Sunrise. Die grauen Nummern verorten die damals existierenden Hotels Monte Verità (1), Ascona (2), Tamaro (3) und Castello (4). Die gelben Nummern die wichtigen Örtlichkeiten des Geheimtreffens: Die Villa al Roccolo (1), das Haus in der Via Signore in Croce (2) und die Casa Margiana (3).Bild: insubricahistorica.ch

Karl Wolff, höchster SS- und Polizeiführer in Italien, war mit einer bedingungslosen Kapitulation einverstanden und machte viele Zugeständnisse. Beispielsweise die Freilassung von mehreren wichtigen Partisanenführern. Im Gegenzug sollte er die mündliche Garantie für einen Freispruch in den kommenden Kriegsverbrecherprozessen erhalten.

Karl Wolff, höchster SS-Führer in Italien, auf einem Bild von 1937.
Karl Wolff, höchster SS-Führer in Italien, auf einem Bild von 1937.Bild: Wikimedia

Gespräche bereits seit Herbst 1944

Erste Kontakte zwischen den in Italien stationierten Deutschen und den Alliierten gab es bereits im Herbst 1944. Mehrere Rückschläge verzögerten die Verhandlungen jedoch. Adolf Hitler beorderte Generalfeldmarschall Albert Kesselring am 8. März 1945 zurück nach Deutschland, um die Führung der gesamten Westfront zu übernehmen. Der oberste Befehlshaber der Wehrmacht in Italien wäre laut Wolff für Verhandlungen für eine Kapitulation offen gewesen. Nur wenn beide Organisationen, die SS und die Wehrmacht, der Kapitulation zugestimmt hätten, wäre eine Umsetzung überhaupt möglich gewesen.

Kesselrings Rückkehr war ein Rückschlag für Wolff. Albert Kesselrings Nachfolger, General Heinrich Gottfried von Vietinghoff-Scheel, musste erst wieder überzeugt werden. Auch auf amerikanischer Seite kam es zu Verzögerungen. Nach dem Tod von Franklin D. Roosevelt am 12. April 1945 übernahm Vizepräsident Harry S. Truman, der die Arbeit der OSS in Europa kritisch überprüfte. Das kostete Zeit. Inzwischen standen die Truppen der Alliierten bereits vor Bologna.

Am 29. April 1945 endet die Operation Sunrise in Caserta bei Neapel. Oberstleutnant Viktor von Schweinitz als Vertreter der Wehrmacht in Italien und SS-Major Eugen Wenner als Vertreter der SS auf der Halbinsel unterzeichnen die Kapitulation der deutschen Streitkräfte in Italien. Diese trat am 2. Mai 1945 in Kraft. Diese Kapitulation erfolgte sehr spät. Grosse Teile Italiens waren bereits befreit und der Einfluss auf den Gesamtkrieg war bescheidener als es einige der Beteiligten in ihren Memoiren später darstellten.

Filmaufzeichnung der Kapitulationsunterzeichnung der deutschen Truppen in Italien.Video: YouTube/War Archives
Baron Luigi Parilli, Italien, rechts, Max Husmann, links, und Major Max Waibel, Mitte, im Jahr 1945 auf dem Landgut "Dorenbach" bei Luzern. Als Privatpersonen ergriffen sie im Februar 1945 d ...
Max Husmann, Max Waibel und Baron Luigi Parilli (von links) bei einem Treffen 1945.Bild: Keystone/NOVALIS VERLAG

Wer profitierte von den Verhandlungen?

Operation Sunrise hatte für viele der Involvierten Vorteile. SS-General Karl Wolff wurde von der Justiz trotz Beteiligung an zahlreichen Kriegsverbrechen erstaunlich milde behandelt. Er verbrachte weniger als neun Jahre im Gefängnis und starb 1984 in Priem am Chiemsee. SS-Sturmbannführer Eugen Wenner erhielt gar keine Strafe und arbeitete nach dem Krieg für die CIA in Südamerika. Bei diesem Engagement hatte der spätere CIA-Direktor Allen Dulles mit Sicherheit die Hände im Spiel.

Die Verhandlungen mit Wolff polierten die magere operative Leistung des OSS in der Schweiz massiv auf und waren ein gewichtiges Argument für die Übernahme der Leitung der CIA. Dulles' Arbeitsmethoden blieben jedoch auch nach dem Zweiten Weltkrieg kontrovers. Unter seiner Führung wurden mehrere blutige Staatsstreiche in Südostasien sowie in Mittel- und Lateinamerika durchgeführt. Diese prägten die amerikanische Aussenpolitik für Jahrzehnte. 1961 wurde Allen Dulles nach der gescheiterten Invasion der Schweinebucht in Kuba von J.F. Kennedy gefeuert. Er starb 1969 im Alter von 75 Jahren in Washington.

Max Waibel wurde in der unmittelbaren Nachkriegszeit zum Militärattaché in den USA befördert. Danach stieg er bis in den Rang eines Divisionärs auf. Trotzdem endete sein Leben auf tragische Weise. Waibel war in den Finanzskandal der Luzerner Privatbank Ernst Brunner & Co. verwickelt, der letztlich in einem Konkurs endete. Als Verwaltungsrat der Bank wurde ihm der Druck zu gross und er nahm sich im Januar 1971 das Leben.

History
AbonnierenAbonnieren

Die Rolle der Schweiz

Welche Rolle spielte die Schweiz bei diesen geheimen Verhandlungen? Offiziell keine. Doch 20 Personen, darunter schwer bewaffnete Leibwächter, in einem kleinen Tessiner Dorf einzuquartieren und Verpflegung und Transport für sie zu organisieren, war in Zeiten von Essensrationierungen und verstärkten Polizeikontrollen ohne die Zustimmung der Behörden unmöglich. Die Schweiz profitierte von der Operation Sunrise, weil sie sich 1945 als neutrale Vermittlerin positionieren konnte. Das war besonders wichtig, nachdem das Land in den Jahren zuvor dem Dritten Reich zumindest wirtschaftlich keine Steine in den Weg gelegt hatte.

>>> Weitere historische Artikel auf: blog.nationalmuseum.ch
watson übernimmt in loser Folge ausgesuchte Perlen aus dem Blog des Nationalmuseums. Der Beitrag «Geheimes Treffen in Ascona» erschien am 11. März.
blog.nationalmuseum.ch/2020/03/operation-sunrise-in-ascona

Spuren aus dem Zweiten Weltkrieg

Video: srf/Roberto Krone
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
75 Jahre D-Day
1 / 15
75 Jahre D-Day
Exakt 75 Jahren ist es her, seit die Alliierten in der Normandie landeten.
quelle: ap/pa / andrew matthews
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Milliardär findet «USS Lexington»
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
2 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
2
Von 1 bis 16 Franken pro 100 Gramm – so krass variieren die Osterhasen-Preise
Fast drei Osterhasen verputzen Herr und Frau Schweizer im Durchschnitt pro Jahr. Wie viel sie dafür berappen, variiert gewaltig. Denn der Luxus-Osterhase vom Chocolatier ist fast 16 Mal teurer als die Billigstvariante aus dem Discounter.

Auch in diesem Jahr werden an Ostern wieder haufenweise Osterhasen aus Schokolade verdrückt. Nach Schätzungen von Chocosuisse, dem Verband der Schweizer Schokoladenfabrikanten, werden in der Schweiz pro Jahr allein für den Inlandmarkt rund 20 Millionen Osterhasen produziert – das sind fast drei Osterhasen pro Kopf. Rund 7 Prozent des jährlichen Schokoladenabsatzes in der Schweiz gehen auf das Konto der Osterfeiertage.

Zur Story