Die Schweiz und Schokolade – es ist ein Begriffspaar, das seit jeher zusammenzugehören scheint. Und tatsächlich ist die lange Entwicklung, die vom bitteren Kakaogetränk der mittelamerikanischen Indianer hin zur modernen Delikatesse führte, ohne den Schweizer Beitrag kaum denkbar. Wir zeichnen in sechs Stationen den Weg der Schokolade von den Anfängen zur Blütezeit der Schokoladenindustrie vor dem Ersten Weltkrieg nach – als jeder an «Schweiz» dachte, der «Schokolade» hörte.
Als die spanischen Konquistadoren nach der Entdeckung des amerikanischen Kontinents weite Gebiete Mittel- und Südamerikas eroberten, setzte ein globaler Austausch von Kulturpflanzen ohnegleichen ein. Neben Kartoffeln, Mais und Tomaten fanden auch Kakaobohnen den Weg von der Neuen in die Alte Welt.
Die Kakaopflanze war in den Regenwäldern Amerikas schon seit Jahrhunderten kultiviert worden. Die Mayas legten bereits um 600 n. Chr. regelrechte Plantagen an und brauten aus den Bohnen ein anregendes Getränk, das sie «Xocolatl» nannten. Diese Trinkschokolade hatte allerdings wenig mit dem Getränk zu tun, das wir heute kennen – es war eher bitter und scharf, da es nicht gesüsst und mit zum Teil pikanten Gewürzen versetzt wurde.
Die Mayas schätzten Kakao so sehr, dass die Bohnen sogar als Zahlungsmittel Verwendung fanden. Kakao kommt selbst in ihrem Schöpfungsmythos vor – gemäss dem die Menschen aus verschiedenen Nahrungsmitteln erschaffen wurden, unter anderem auch aus Kakao.
Gleich geht's weiter mit dem schokoladigen Erklärstück, vorher ein kurzer Hinweis:
Und nun zurück in die Vergangenheit ...
Nicht nur die Mayas liebten den Kakao, auch die Azteken waren scharf darauf. Als die spanischen Invasoren um 1521 ihr Reich eroberten, lernte deren Anführer Hernán Cortés das bittere Getränk kennen und allmählich auch schätzen. Möglicherweise war er es, der die Trinkschokolade in den 1520er Jahren zusammen mit den zur Herstellung notwendigen Gerätschaften in seine Heimat brachte. Am spanischen Hof fand man Gefallen an dem exotischen Getränk, doch es dauerte eine Weile, bis auch die kulturell einflussreiche französische Aristokratie auf den Geschmack kam.
Zwei Dinge waren es, die dem neuen Genussmittel zum Durchbruch verhalfen: Zum einen fügte man nun dem Getränk Zucker zu, was seine Popularität vergrösserte. Zum andern machte die spanische Prinzessin Anna von Österreich das Gebräu nach ihrer Hochzeit mit dem französischen König Ludwig XIII. (1615) am französischen Hof bekannt. Bis zum Ende des Jahrhunderts war die Trinkschokolade zum Modegetränk des europäischen Adels avanciert.
Die Schokolade erreichte Italien vielleicht noch vor Frankreich. Auf der Apenninenhalbinsel experimentierte man mit dem Genussmittel und fügte ihm allerlei Aromen wie Jasmin, Amber und Vanille bei. Fahrende Händler aus Italien und Frankreich brachten die Schokolade Anfang des 18. Jahrhunderts in die Schweiz. Dort betrachtete man das Produkt freilich als Medikament und Aphrodisiakum und verkaufte es vornehmlich in Apotheken.
In Italien dürfte zu Beginn des 19. Jahrhunderts die feste Schokolade erfunden worden sein. Sie gewann schnell an Beliebtheit, auch weil die Trinkschokolade mit dem Niedergang der Aristokratie zunehmend an Bedeutung verlor. Fahrende Produzenten – die «cioccolatieri» – verkauften die braune Masse auf Jahrmärkten. In Turin lernte ein junger Schweizer das Handwerk: François-Louis Cailler. Nachdem er in die Schweiz zurückgekehrt war, gründete er 1819 in Corsier-sur-Vevey die erste mechanisierte Schokoladenfabrik und etablierte die heute noch gängige Tafelform.
Seinem Beispiel folgten schnell andere Unternehmer: Philippe Suchard eröffnete 1826 in Serrières eine Manufaktur, Rudolf Sprüngli-Amman tat es ihm 1845 in Zürich gleich; er war der erste Schokoladenfabrikant in der Deutschschweiz. Bis zum Ende des Jahrhunderts folgten weitere Firmengründungen: Unter anderen Aquilino Maestrani 1852 in Luzern, Johann Georg Munz 1874 in Flawil, Rudolf Lindt 1879 in Bern, Robert und Max Frey 1887 in Aarau und schliesslich Jean Tobler 1899 ebenfalls in Bern. Die industrielle Produktion liess den Preis der Schokolade fallen und das einstige Luxusgut wurde nun auch für bürgerliche Kreise erschwinglich.
Die Schweizer Schokoladenpioniere waren innovativ, und sie blieben es. So erfand Suchard 1826 den Mélangeur – eine Art Mixer für Zucker und Kakaopulver. 1830 brachte der Chocolatier Charles-Amédée Kohler die Haselnussschokolade auf den Markt. 1908 kreierten Toblers Sohn Theodor und Emil Baumann die Toblerone. Und auch die Milchschokolade wurde in der Schweiz erfunden – jedenfalls dachte man das lange. In der Tat gelang es 1875 dem Metzgerssohn Daniel Peter aus Moudon nach mehreren Jahren des Tüftelns, Kondensmilch mit der Kakaomasse im richtigen Verhältnis zu mischen.
Peter, der Caillers Tochter Fanny geehelicht hatte und so zum Schokoladengeschäft gekommen war, hatte 1867 in Vevey seine eigene Fabrik eröffnet. Zuerst versuchte er es mit einem Milchpulver, das sein Nachbar Henri Nestlé – ein deutscher Immigrant – erfunden hatte. Auch die Kondensmilch, die schliesslich zum Erfolg führte, bezog er von Nestlé. Peters Erfindung war eine Revolution in der Welt der Schokolade und machte die Schweizer Schokolade zum Exportschlager.
Die allererste Milchschokolade kam indes nicht aus der Schweiz, wie eine deutsche Studie vor einigen Jahren nachwies. Schon rund 25 Jahre vor Peters entscheidender Innovation hatte die Dresdner Schokoladenfabrik Jordan & Timaeus eine eigene Milchschokolade hergestellt – aus Eselsmilch.
Dass die Schweizer Schokolade weltberühmt wurde, verdankte sie einer weiteren Innovation: Rudolf Lindt, Sohn eines wohlhabenden Apothekers, erfand 1879 das Conchieren; ein Verfahren, mit dem er erstmals eine Schokolade herstellen konnte, die auf der Zunge zerging. Zuvor hatte man die Schokolade kauen müssen; sie war grobkörnig und brüchig.
Lindt hatte eine alte Schokoladenfabrik übernommen, deren veraltete Maschinen ein Produkt erzeugten, das einen zu hohen Wassergehalt aufwies. Um diesem Mangel abzuhelfen, ersann Lindt ein spezielles Rührwerk, das die Schokoladenmasse erwärmte und zugleich belüftete. Das Ergebnis war eine im Aroma verbesserte, vor allem aber homogene, schmelzende Schokolade – «le chocolat fondant».
Zur lange unerreichten Qualität der Schweizer Schokolade trug eine weitere Neuerung Lindts bei: Er gab der Schokoladenmasse als einer der ersten Kakaobutter bei – zuvor hatte dies jedoch bereits die englische Firma Joseph S. Fry & Sons getan. Die industrielle Gewinnung der Kakaobutter war seit der Erfindung des Niederländers Coenraad Johannes van Houten möglich, der 1828 zu diesem Zweck eine Hydraulikpresse konstruiert hatte.
Zwischen 1890 und 1920 erlebte die Schweizer Schokoladenindustrie einen Boom ohnegleichen. Sowohl die Anzahl der Firmen wie auch der Beschäftigten nahm rasant zu. Etwa drei Viertel der Produktion gingen in den Export – um 1912 belief sich der Schweizer Anteil am weltweiten Schokolade-Exportmarkt auf unglaubliche 55 Prozent.
Die Gründe für diesen Erfolg lagen zum einen in der überlegenen Qualität der Schweizer Schokolade. Zum andern trug aber auch der aufkommende Tourismus dazu bei, den Ruf dieses Schweizer Qualitätsprodukts in die Welt hinauszutragen. Zu dieser Zeit war der Fremdenverkehr zwar noch keineswegs ein Massenphänomen, doch die Touristen, die sich an der Schweizer Bergwelt erfreuten, gehörten zu den obersten Gesellschaftskreisen und spielten damit eine wichtige Rolle als Meinungsmacher. In ihren Ferien lernten sie die Schweizer Schokolade kennen und brachten sie mit nach Hause. Das trug nicht wenig dazu bei, dass «Chocolat suisse» zum Inbegriff von Schokaldengenuss wurde.
(dhr)