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Wie der Klimawandel die Meere kaputt macht

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Die Erwärmung der Meere entzieht dem indigenen Volk der Bajau, das vom Fischfang lebt, die Lebensgrundlage.martin hungerbühler/pexels

Grösser, wärmer, saurer: Wie der Klimawandel die Meere kaputt macht

Was haben eine niederländische Stadt, australische Delphine und indigene Fischer gemeinsam? Sie alle sind bedroht, weil der Klimawandel die Ozeane verändert.
27.09.2019, 20:43
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Wir befinden uns in Rotterdam im Jahr 2050, einer Festung gegen das Meer: Eine Sturmflut nähert sich. Automatisch setzen sich zwei tausende Tonnen schwere und 22 Meter hohe Stahltore in Bewegung, um den Wasserweg zum wichtigsten Seehafen Europas zu schliessen. Zwei Stunden dauert es, bis sich die Tore des Sturmflutsperrwerks geschlossen haben.

Zu Beginn des Jahrhunderts kamen sie so gut wie nie zum Einsatz – nun braucht es sie jedes Jahr. Die Stadt liegt mittlerweile vollständig unterhalb des Meeresspiegels. Gärten, Plätze und Sportanlagen, die zu Beginn des Jahrhunderts so angelegt waren, dass sie als Reservoirs bei Überschwemmungen dienen können, stehen nun konstant unter Wasser.

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Die Tore des Sturmflutsperrwerks Maeslant müssen sich im Moment nur selten schliessen – doch wie lange noch?bild: kees torn/wikimedia/CC BY-SA 2.0

Dieses Szenario ist wohl bald keine Fiktion mehr, wenn die Menschheit so unbekümmert wie bisher Kohlendioxid in die Atmosphäre bläst. Denn dann steigt der Meeresspiegel in diesem Jahrhundert um bis zu 80 Zentimeter an. Dies prognostiziert der neueste Sonderbericht des Weltklimarats (IPCC) zum Zustand der Ozeane und Eisvorkommen.

Noch problematischer als langsame Pegeländerungen sind aber Extremereignisse wie Sturmfluten, die sich häufen werden. «Ein Ereignis, das heute alle hundert Jahre vorkommt, wird in Zukunft aufgrund des Anstiegs des Meeresspiegels fast jährlich vorkommen», sagte der Umweltphysiker und IPCC-Mitautor Thomas Frölicher von der Universität Bern am Mittwoch an einer Pressekonferenz. Hunderte Millionen Menschen in den Küstenstädten der Welt wären von Überflutungen betroffen.

Das Meer schwillt an

Dass der Meeresspiegel steigt, hat zwei Ursachen. Erstens erwärmt der Klimawandel nicht nur die Luft, sondern auch das Meer. Die Wassermassen des Ozeans dehnen sich deshalb aus. Zweitens lässt die Erderwärmung die Gletscher und Polkappen schmelzen, und zwar – laut IPCC-Sonderbericht – deutlich stärker als bisher geschätzt.

Der Anstieg des Meeresspiegels lässt sich messen: einerseits durch Satelliten, die den Abstand zwischen sich und der Meeresoberfläche bestimmen. Andererseits durch Pegelstationen an Land, welche die Änderungen des Pegels über Jahrzehnte aufzeichnen. Diese ortsspezifischen Messungen enthalten Korrekturen, um Faktoren wie der Erosion oder geologisch bedingten Bewegungen von Landmassen Rechnung zu tragen.

Gegen Überschwemmungen können riesige Fluttore zwar helfen. Doch müssten sich die Küstenstädte der Welt gänzlich einmauern. Es gibt aber auch natürliche Lösungen, die Küsten vor Sturmfluten schützen, wie den Erhalt und den von Anbau Seegraswiesen, Salzmarschgebieten oder Mangrovenwäldern. Diese bieten zum einen Raum für Überschwemmungen und zum anderen reduzieren sie die Höhe von Flutwellen.

Das Meer wird heiss

Ein Blick zurück: Westaustralien im Jahr 2011. Die Wassertemperatur vor der Küste liegt zwei Monate lang zwei bis vier Grad Celsius über dem Durchschnitt. Krebse, Muscheln und Fische sterben in Massen. Hier tummeln sich normalerweise Delfine, doch in diesem Jahr finden sie kaum Nahrung und bringen weniger Junge zur Welt. Sie leiden unter einer marinen Hitzewelle, die hier wütet. Solche marinen Hitzewellen werden in den kommenden Jahrzehnten 20- bis 50-mal häufiger – das prognostiziert der IPCC-Sonderbericht.

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Mittlerweile ein seltenes Bild in der australischen Shark Bay: Seit der Hitzewelle 2011 hat sich die dortige Delfinpopulation noch nicht wieder erholt.walter baxter/geograph

Seit der Hitze 2011 ist die Population stark angeschlagen. Eine Anfang des Jahres im Fachblatt Current Biology erschienene Studie untersuchte die Population genauer und zeigt, dass sich die Delfine auch Jahre nach der Hitzewelle noch nicht erholt haben. Es kommen konstant weniger Junge zur Welt, die Population ist um 12 Prozent dezimiert.

«Unsere Studie zeigt exemplarisch, wie weitreichend marine Hitzewellen Ökosysteme an Meeresküsten verändern können», erklärt Michael Krützen, Direktor des Instituts für Anthropologie an der Universität Zürich, der an der Delfin-Studie mitgearbeitet hat.

Es sei überraschend, dass die Erwärmung des Wassers eine Population von Delfinen in dem Mass beeinträchtige, da sich diese normalerweise gut an veränderte Umweltsituationen anpassen könnten. «Momentan scheint sich die Population zu erholen», sagt Krützen. Doch die lange Regenerationszeit verdeutlicht eine Gefahr: Häufen sich marine Hitzewellen, dann fehlt den Ökosystemen schlicht die Zeit, um sich zu erholen.

Der Grund für die starke Erwärmung des Meerwassers liegt darin, dass Ozeane 90 Prozent der Wärme, die durch den menschengemachten Treibhausgasausstoss entsteht, absorbieren. «Ohne Ozeane wäre die Atmosphäre deutlich wärmer als sie jetzt ist», sagt Nicolas Gruber, Mitautor des IPCC-Sonderberichts und Professor für Umweltphysik an der ETH Zürich.

Das Meer versauert

Draussen auf dem Meer im Jahr 2100: Der Pazifische Ozean ist verwaist. Früher ruderten hier, in den Gewässern zwischen Malaysia, den Philippinen und Indonesien, die Fischer des indigenen Volkes der Bajau mit ihren Booten hinaus, um zu fischen. Die Bajau gibt es jetzt nicht mehr. Denn die Fischer fingen immer weniger. Dann nichts mehr. Den Fischen wurde es zu warm und sie wanderten in nördlichere Regionen.

Gemäss des IPCC-Sonderberichts wird das Fischfangpotenzial bis 2100 um bis zu 24 Prozent abnehmen, in den Regionen um den Äquator sogar noch mehr. Und der Sonderbericht stellt heraus: Indigene Völker trifft es besonders stark.

Die Fische fliehen aber nicht nur ins Kalte: Ihnen fehlt auch die Nahrungsgrundlage, etwa das Zooplankton. Das sind kleine Tierchen, die im Wasser schweben und von denen viele kalkhaltige Gehäuse haben. Deren Schale wird löchrig und dünn, wenn das Meer sauer wird.

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Die Versauerung des Meeres greift das Gehäuse dieser Flügelschnecke an. Wenn sie und anderes Zooplankton verschwinden, verlieren auch Fische ihre Nahrungsgrundlage.bild: russ hopcroft/university of alaska

Dies passiert, wenn es zu viel Kohlendioxid aufnimmt. Etwa ein Drittel des CO2, das seit Beginn der industriellen Revolution durch den Menschen in die Atmosphäre gelangte, haben die Ozeane bereits geschluckt.

Fluten, Hitze, Versauerung – lässt sich das alles noch aufhalten? Weil die Ozeane träge auf Klimaveränderungen reagieren, wird der Meeresspiegel selbst bei einem Stopp der Erderwärmung noch Jahrhunderte weiter steigen. Und gegen die Versauerung und Meereserwärmung hilft nur eine drastische Reduktion der Emissionen. Den Treibhausgasausstoss zu senken ist das wichtigste Ziel, doch weil dies zu schleppend geht, werden wir uns wohl auch an die extremeren Szenarien die der Sonderbericht skizziert, anpassen müssen.

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7 Kommentare
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Antinatalist
27.09.2019 22:22registriert September 2019
Meine äusserst unpopuläre Meinung dazu ist, dass die schwerwiegendste Emission nach Zeugung neun Monate lang heranwächst um dann im Schnitt ungefähr 80 Jahre lang ein äusserst umweltschädliches Dasein fristet, wofür er (der Emittent) selbst eigentlich gar nichts kann, weil andere es sich zwei andere Emittenten nicht verkneifen konnten.

Vielleicht hätte der Film damals "White men can't think" heissen sollen.
Fortschritt soll das Klima verbessern? Diese Flutsperren, sind die in Betrieb und Nutzen eigentlich umweltfreundlich?! Wohl kaum.
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