Die Silhouette eines Suchflugzeugs der neuseeländischen Luftwaffe. Bild: AP
Der Absturz der Malaysia-Airlines-Maschine mit 239 Menschen an Bord gilt offiziell als ungeklärt. Ein Journalist und Pilot hat nachrecherchiert.
William Langewiesche, The Atlantic
Ein Marinetaucher hält im April 2014 im Indischen Ozean nach Wrackteilen Ausschau, im Hintergrund das australische Arbeitsschiff Ocean Shield. archivBild: Ap
Es war ein Nachtflug. Und die ersten rund eineinhalb Stunden lief an Bord wohl alles ganz normal ab. Jedenfalls lagen keine Hinweise vor, dass etwas nicht stimmte.
Die Rede ist von Flug MH370, der wohl mysteriösesten Katastrophe in der Geschichte der zivilen Luftfahrt.
Nach dem Start in Kuala Lumpur flog Fariq Hamid, der erste Offizier, die Maschine. Er war 27. Dies war ein Trainingsflug für ihn, der letzte; er sollte bald zertifiziert werden.
Sein «Coach» und der zweite Mann im Cockpit war Zaharie Ahmad Shah, der leitende Pilot. Er war mit 53 Jahren einer der ältesten Flugkapitäne von Malaysia Airlines.
In der Kabine: 10 Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter, allesamt Malaysier. Sie waren emsig damit beschäftigt, die 227 Passagiere zu versorgen, darunter fünf Kinder.
Was an Bord von MH370 geschah, ist nicht überliefert. Elektronische Signale liefern Hinweise. Bild: EPA
Wie Langewiesche schreibt, kann nun mit Sicherheit viel über das Schicksal von MH370 gesagt werden, und zwar:
William Langewiesche, The Atlantic
Kleiner Trost für die Angehörigen: Die Menschen in der Kabine dürften nach dem Druckabfall auf einer Flughöhe von mehr als 10'000 Metern nicht lange gelitten haben ...
William Langewiesche, The Atlantic
Dann herrschte Stille – und im Cockpit sass wohl nur noch ein Mann ...
MH370 flog Stunden lang aufs Meer hinaus, bis der Treibstoff ausging ... Bild: EPA
Langewiesche hat sich mit Blaine Gibson getroffen, um über dessen unermüdliche Suche nach Wrackteilen an weit auseinander liegenden Stränden zu sprechen. Er habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass er dereinst noch einen wertvollen Hinweis auf das Schicksal der Menschen an Bord finde.
Doch:
Auf La Réunion wurde dieser Flügelteil angeschwemmt, 16 Monate nach dem spurlosen Verschwinden von MH370. Bild: AP
Langewiesche erachtete es – wie oben erwähnt – als erwiesen, dass es keine gewaltsame Übernahme im Cockpit gab. Die todbringende Bedrohung kam von innen.
Und auch wenn sich vernünftig denkende Menschen der Vorstellung widersetzten, dass ein Pilot absichtlich hunderte Unschuldige mit in den Tod reisse, schreibt der Journalist, so sei dies in der zivilen Luftfahrt schon vorgekommen ...
Bei MH370 sei es schwierig, den Co-Piloten als Täter zu sehen, schreibt Langewiesche. Es habe sich um einen jungen und optimistischen Mann gehandelt, der zu heiraten plante. «Er hatte keine Vorgeschichte mit irgendwelchen Problemen, Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln.»
Hingegen hätte der deutlich ältere Flugkapitän Anlass zur Sorge gegeben. Zaharie sei oft einsam und traurig gewesen. Seine Frau war ausgezogen und lebte im zweiten Haus der Familie. Gegenüber Freunden habe der Pilot eingeräumt, dass er zuhause verloren durch die leeren Räume lief.
Der Journalist, selbst ein erfahrener Pilot und langjähriger Auslandkorrespondent, schreibt:
Wie Langewiesche erfahren haben will, bestehe unter Ermittlern in der Luftfahrtindustrie und in Kreisen der Nachrichtendienste ein starker Verdacht, dass der Flugkapitän klinisch depressiv gewesen sei.
Im offiziellen Bericht der malaysischen Behörde stand davon nichts. Zaharie wurde als jemand dargestellt, der über jeden Zweifel erhaben sei – ein guter Pilot und ruhiger Familienvater, der gerne mit einem Flugsimulator spielte.
Forensische Untersuchungen von Zaharies privatem PC durch das FBI ergaben allerdings, dass er auf dem Flugsimulator mit einer Route experimentiert hatte, die ungefähr der von MH370 entsprach: Ein Flug nach Norden um Indonesien herum, gefolgt von einem langen «Run» nach Süden, bis über dem Indischen Ozean der Treibstoff ausging.
Bleibt die Frage, warum in offiziellen Ermittlungsberichten dermassen wichtige Details unerwähnt blieben.
Angehörige der Opfer von Flug MH370. Bild: AP
William Langewiesche
Das malaysische Regime habe als eines der korruptesten in der Region gegolten, hält Langewiesche fest. Die Verantwortlichen hätten sich als «hinterhältig, ängstlich und unzuverlässig» erwiesen. Die aus Europa, Australien und den Vereinigten Staaten entsandten Unfallermittler seien schockiert gewesen von dem Chaos, das sie antrafen.
Schon in den Stunden nach dem Verschwinden der Unglücksmaschine waren am Boden massive Fehler passiert. Die Koordinierungsstelle für die Flugrettung in Kuala Lumpur wurde viel zu spät, erst am frühen Morgen, alarmiert. Zumindest dies wurde im Untersuchungsbericht eingeräumt.
Ein früherer malaysischer Beamter verriet aber, dass hochrangige Luftwaffenoffiziere vor der Veröffentlichung des abschliessenden Unfallberichts im Sommer 2018 verlangt hatten, diesen zu überprüfen und zu bearbeiten.
Denn die malaysische Luftwaffe, die den Luftraum rund um die Uhr überwachte, hatte auch schlimme Fehler begangen. Nachdem die Passagiermaschine vom Kurs abwich, wurde kein Kampfjet zur Aufklärung losgeschickt.
Tatsache sei:
Dass sich in malaysischen Regierungskreisen die Haltung zum Positiven verändert hat, muss zumindest bezweifelt werden. Am vergangenen Donnerstag meldete sich der Regierungschef mit einer merkwürdigen Kritik zu Wort.
Dabei ging es um die zweite Katastrophe, die 2014 die nationale Fluggesellschaft und das ganze Land ins Mark getroffen hatte. Den Abschuss von MH17.
Zuvor hatten internationale Ermittler in den Niederlanden neue Erkenntnisse vorgelegt, wonach vier hochrangige pro-russische Rebellen für die Tat verantwortlich seien. Ihnen wird wegen 298-fachen Mordes der Prozess gemacht.
Nun kritisiert das offizielle Malaysia die Haftbefehle gegen drei Russen und einen Mann aus der Ukraine. Premierminister Mahathir Mohammad deutete am Donnerstag in Kuala Lumpur eine Verschwörung gegen Russland an.
Sprich: Malaysias Regierung versucht die Aufklärung der einen Flugkatastrophe von 2014 zu stören, und blendet die eigenen Verfehlungen beim MH370-Absturz aus.
Die wichtigsten Ereignisse rund um den Absturz von MH370 und den Abschuss von MH17 im zeitlichen Ablauf:
In Asien ereignet sich eine der mysteriösesten Katastrophen in der Geschichte der zivilen Luftfahrt. Flug MH370 soll von der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur nach Peking führen. Doch weicht die Boeing 777 der Malaysia Airlines mit 239 Menschen an Bord mitten in der Nacht vom Kurs ab. Sie verschwindet – zunächst spurlos – über dem Meer.
Die technische Analyse wird später ergeben, dass das Flugzeug nach der unerwarteten Wende über dem südchinesischen Meer (Punkt A) und dem letzten Radarkontakt schliesslich nach Süden abgedreht sein muss (Punkt B).
Um 01:08 Uhr überflog die Maschine die malaysische Küste und startete über das Südchinesische Meer in Richtung Vietnam. 11 Minuten später drehte sie ab. screenshot: theatlantic.com
Die internationale Suchaktion an der Meeresoberfläche wird abgebrochen und eine Tiefseesuche gestartet. Die Analyse von Satellitendaten ergibt den letzten elektronischen Kontakt («Handshake») mit Flug MH370, der mitten im indischen Ozean, an nicht genau bestimmbarem Ort, erfolgte.
Abhängig von der (unbekannten) Fluggeschwindigkeit, lag der letzte Kontakt entlang des blauen Bogens. screenshot: avherald.com
Es folgt die nächste Katastrophe für Malaysia Airlines. Flug MH17 von Amsterdam nach Kuala Lumpur endet abrupt über der Ostukraine, einem Kriegsgebiet. Das Flugzeug vom Typ Boing 777 wird mit einer russischen Militärrakete abgeschossen. Alle 298 Menschen an Bord sterben.
16 Monate nach dem Verschwinden von MH370 stösst auf der französischen Pazifik-Insel La Réunion eine Strandreinigungs-Crew auf ein etwa zwei Meter langes Wrackteil, das offenbar erst kürzlich an Land gespült worden war.
Andere Teile werden an weit verstreuten Stränden im westlichen Indischen Ozean gefunden. Einige können offiziell bestätigt werden, bei anderen gilt dies als wahrscheinlich.
Die Suche per Schiff in einem 120'000 Quadratkilometer grossen Gebiet im südlichen Indischen Ozean wird offiziell eingestellt. Dies ist die gemeinsam getroffene Entscheidung von den Behörden in Malaysia, Australien und China.
Malaysias Transportbehörde veröffentlicht ihren offiziellen Untersuchungsbericht (Safety Investigation Report) zu MH370. Darin heisst es, die tatsächliche Ursache für das Verschwinden des Verkehrsflugzeugs lasse sich nicht feststellen. Es gebe keinerlei Hinweise auf ein mechanisches Problem.
Knapp fünf Jahre nach dem Abschuss von MH17 über der Ukraine haben die Ermittler die ersten Haftbefehle gegen vier mutmassliche Täter, drei Russen und einen Ukrainer, ausgestellt. Der Strafprozess wegen 298fachen Mordes soll am 9. März 2020 in den Niederlanden beginnen