«Nicht sehen trennt von den Dingen, nicht hören trennt von den Menschen», schrieb der deutsche Philosoph Kant. Eben so erging es dem armen Beethoven, der schon mit 28 Jahren schwerhörig wurde. «Ich bringe mein Leben elend zu», schrieb er einem Freund. Die kranken Ohren machten den Komponisten einsam. Er begann die Leute zu meiden, er verstand sie nicht mehr.
Doch Beethoven holte sich dieses Stück Menschsein, das ihm unaufhaltsam genommen wurde, mit aller Gewalt zurück. Unaufhörlich von geisselndem Getöse, vom Sausen und Brausen eines unbarmherzigen Pfeifens umtobt, haschte er nach den vom Sturme umhergewirbelten Noten. Bekam er sie zu fassen, schrieb er sie fest auf seinem Papier, nur um dort noch einmal mit ihnen zu ringen. Hin- und her warf er sie und würgte an ihren Hälsen, bis sie endlich für die Ewigkeit darniedersanken.
Die 3. Symphonie war vollendet! Und in ihr wogte die Kraft eines revolutionären Kampfes. Doch wem sollte er sie bloss widmen?
«Napoleon Bonaparte!», dachte Beethoven sogleich, denn für den Ersten Konsul der Französischen Republik hegte er die allergrösste Bewunderung. Eilends schrieb er dessen Namen zuoberst aufs Titelblatt und fügte ganz unten «Louis van Beethoven» hinzu. Dazwischen klaffte eine bedeutungsvolle Lücke, von der niemand wusste, wie sie der Komponist auszufüllen gedachte.
Es dauerte nicht lange, bis ihm sein Schüler Ferdinand Ries die Nachricht brachte, dass sich Bonaparte zum Kaiser habe ausrufen lassen. Beethoven geriet daraufhin in eine solche Wut, dass er ausrief:
«Ist der auch nichts anderes wie ein gewöhnlicher Mensch! Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füssen treten, nur seinem Ehrgeize frönen; er wird sich nun höher wie alle Anderen stellen, ein Tyrann werden!»
Im Zorn radierte er den Namen seines Helden vom Papier, wobei seine Finger einen so grossen Druck ausübten, dass das Blatt riss und Napoleon unversehens in einem Loch verschwand.
Fortan sollte die Symphonie den Titel «Eroica» führen. Sie hatte ihren Helden verloren.
Anstatt auf der Deckseite von Beethovens Partitur zu prangen, zog der verstossene Held nun aus und brachte ganz Europa den Krieg. Fünf Jahre später stand er auch schon vor den Toren Wiens, wo inzwischen auch der Komponist sein Dasein fristete.
Einer der ersten Schüsse, so heisst es, habe die im Hof auf einer steinernen Säule stehende Maria in den Rücken getroffen. Granaten fielen auf die nicht geräumten Dachböden und brannten sie nieder. Häuser stürzten unter dem gewaltigen Donner der Kanonen ein. Auf dem Kellerboden seines Bruders kauernd presste sich Beethoven dicke Kissen auf die Ohren, um sie vor dem todbringenden Lärm zu schützen. Und selbst wenn Napoleon in dieser Nacht das Gehör des Komponisten nicht gänzlich hinwegbomben liess, so schwand es danach doch zusehends dahin.
1816 meinte Beethovens Verleger, dieser verstehe, von seiner rechten Seite angesprochen, nichts mehr. 1819 schrieb der schwedische Dichter Atterbom, Beethoven sei, was man «stocktaub» nenne. Irgendwann schlug er die Tasten seines Pianos nicht mehr an. Und dann, am 26. März 1827, erlosch das Leben auch im Rest seines kranken, müde gewordenen Körpers.