Mit dem Ausbruch der Coronakrise wurde ein starker Anstieg der Prämien befürchtet. Im ersten Quartal waren die Gesundheitskosten bereits um 5 Prozent gewachsen. Prämienschock, schrien bereits die ersten. Doch diese Befürchtungen dürften sich nicht bewahrheitet haben. Verschiedene Kassen wie Concordia, Helsana oder Assura signalisierten schon früh, dass sie die Prämien nicht anheben wollen.
Experten und Verbände rechnen mit einem unterdurchschnittlichen Prämienjahr. Die Rede ist von einem Anstieg zwischen 0.5 Prozent und 1 Prozent. Am konkretesten äusserte sich Santésuisse Direktorin Verena Nold im «Blick»: «Im Schnitt über alle Kassen, Modelle und Prämienregionen hinweg weniger als ein Prozent.»
Das sind zwar in erster Linie gute Neuigkeiten. Allerdings warnt der Krankenkassenexperte vom Vergleichsdienst Comparis, Felix Schneuwly, vor dieser Prozentzahl. «Entscheidend ist, was die Basis ist. 1 Prozent von 600 Franken ist doppelt so viel wie 1 Prozent von 300 Franken»
Bereits in der Vergangenheit war es den Krankenkassen eigentlich verboten, über die Prämienentwicklung Auskunft zu geben. Der Grund: Versicherte könnten aufgrund dieser solcher Aussagen falsche Entscheide treffen und der Wettbewerb um Kundinnen und Kunden unter den verschiedenen Kassen würde gestört.
Nachdem sich im letzten Jahr jedoch verschiedene Exponenten in den Medien dennoch geäussert hatten, verschärfte Gesundheitsminister Alain Berset für dieses Jahr die Spielregeln. Zuerst liess er allerdings die Chefs der Krankenversicherer beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) antraben.
Dort ermahnte sie Berset persönlich an die Regeln. Zudem warnte das BAG in einem Kreisschreiben deutlich, dass es Sanktionen geben wird, falls die Schweigepflicht verletzt werde. Gemäss Gesetz wären Bussen bis zu 100'000 Franken möglich.
In den letzten Jahren mussten insbesondere die jungen Versicherten einen überdurchschnittlichen Anstieg der Prämien bezahlen. Dieses Jahr rechnet Schneuwly von Comparis nicht damit, dass sich dies wiederholt. «Man hat beim Risikoausgleich die Spielregeln zugunsten der Jungen angepasst», erklärt er. Er erwartet jedoch grosse Unterschiede zwischen den Kassen und den Prämienregionen.
«Je nach Reservesituation können die Krankenversicherer Prämien anbieten, die deutlich unter dem Kostenanstieg zu liegen kommen könnten.» Kassen mit wenig Reserven sind dabei eingeschränkt.
Schneuwly fordert für die Versicherer mehr Spielraum bei den Reserven, aber auch bei den Prämien von alternativen Versicherungsmodellen: «Versicherte, die mit einem Telemedizin- oder Hausarztmodell bei den medizinischen Leistungen sparen, weil sie nicht direkt zu Spezialärzten gehen oder mit Bagatellen Spitalnotfallstationen verstopfen, bekommen zwar Rabatte, bezahlen gegenüber den Standardversicherten immer noch zu hohe Prämien.»
Kurz nach dem Ausbruch machten Befürchtungen die Runde, die Coronapandemie könnte zu einem deutlichen Prämienanstieg führen. «Der Bundesrat muss dafür sorgen, dass die Coronakosten separat ausgewiesen werden, und die Auswirkungen auf die Prämien aufzeigen», sagte etwa der Luzerner FDP-Ständerat Damian Müller im «Blick».
Doch bald zeigte sich, dass Corona sich sogar leicht positiv auf die Ausgabenentwicklung auswirkte. Das Verbot von nicht dringend notwendigen Operationen sowie die Angst der Patienten, sich in Arztpraxen und Spitälern mit dem Coronavirus anstecken zu können, hat im Frühling zu deutlich weniger Eingriffen und Behandlungen geführt.
So kam es im ersten Halbjahr nicht zum gewohnten Anstieg der Kosten in der Grundversicherung. Es resultierte eine schwarze Null, wie die NZZ berichtete. Der Coronaeffekt zeigte sich etwa im Mai, als die Kosten pro versicherte Person lediglich 287 Franken betrugen – im Vorjahresmonat waren es noch 349 Franken. Im Juni lagen die Kosten dann bereits wieder höher als im Vorjahr. Die Leistungserbringer wie Spitäler und Ärzte fuhren ihre Kapazitäten also rasch wieder hoch.
Der Nachholeffekt ist allerdings nicht in dem Ausmass eingetroffen wie erwartet, weshalb die Gesundheitskosten in diesem Jahr unterdurchschnittlich ansteigen dürften.
Die Reserven der Krankenkassen sind in den vergangenen Jahren massiv gestiegen. Zwischen 2010 und 2019 schwollen sie gemäss Zahlen des Bundes von 3.1 auf knapp 10 Milliarden Franken an. Entsprechend gross sind die Begehrlichkeiten. So fordert etwa Gewerkschaftspräsident und SP-Nationalrat Pierre-Yves Maillard, dass die Krankenkassen die überschüssigen Reserven an die Versicherten zurückerstatten müssen. So sollen Anfang nächstes Jahr mindestens je 200 Franken an alle Versicherten ausbezahlt werden.
Auch die Spitäler wollen sich bei den Reserven der Krankenversicherer bedienen. So schätzt der Spitalverband H+, dass sich der finanzielle Schaden wegen des Behandlungsverbots für die Spitäler bis Ende 2020 auf bis zu 3 Milliarden Franken beläuft. Für dieses Loch müssten die Krankenkassen aufkommen, forderte Verbandsdirektorin Anne-Geneviève Bütikofer. Schliesslich sei durch das Behandlungsverbot die Grundversicherung entlastet worden.
Die Krankenkassen halten wenig von diesen Forderungen. Falls nötig, könnten die Reserven für Behandlungen in Zusammenhang mit dem Coronavirus eingesetzt werden. Doch die eigentlichen Ertragsausfälle der Spitäler finanzieren wollen die Versicherer nicht finanzieren. «Nichtbehandlungen zu finanzieren, wäre eine Zweckentfremdung der Prämiengelder, die die Versicherten bezahlt haben», sagte ein Sprecher des Krankenkassenverbandes Santésuisse. Machten die Spitäler Gewinne, erhielten die Prämienzahler dieses Geld ja auch nicht zurück.
Auf Geheiss des damaligen FDP-Bundesrats Pascal Couchepin mussten die Krankenkassen ihre Reserven abbauen, um so den Prämienanstieg zu dämpfen. Dies führte zu teils roten Zahlen bei den Versicherern und in den Folgejahren zu einem deutlich höheren Prämienanstieg. Couchepin wurde für dieses «Bubetrickli» scharf kritisiert.
SP-Gesundheitsminister Alain Berset konnte vor einem Jahr mit einem sehr moderaten Prämienanstieg von durchschnittlich 0.2 Prozent auftrumpfen. Im Jahr davor gab er einen Anstieg von 1.1 Prozent an. Damit liegen beide Jahr deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt. Seit 1996 sind die Prämien jährlich im Schnitt um 3.8 Prozent gestiegen.
Positiv zu Buche schlug in der letztjährigen Prämienrunde die Einsparungen durch die Anpassung des Ärztetarifs Tarmed. Dies allein drückte die Kosten um 500 Millionen Franken. Tiefere Medikamentenpreise trugen ebenfalls dazu bei, dass der Prämienanstieg nur moderat ausfiel. Beide Faktoren dürften auch in aktuellen Prämienrunde eine Rolle spielen. Wie stark sich dies auswirken wird, zeigt sich heute Dienstag.