Am Sitz der Swatch Group in der Bieler Seevorstadt ist die Schweizerische Wettbewerbskommission schon seit vielen Jahren wenig beliebt. Doch in diesen Dezemberwochen bewegt sich die Beziehung rapide auf einen neuen Tiefpunkt zu.
Das Sekretariat der Wettbewerbsbehörde beantragt, dass der Swatch-Tochter ETA für das Jahr 2020 ein Lieferverbot für mechanische Uhrwerke auferlegt wird. Darüber wird nächste Woche entschieden im Entscheidungsorgan der Behörde, der Kommission. Das haben Recherchen der Schweiz am Wochenende ergeben.
Es ist ein ziemlicher Schlag für die ETA, die in Grenchen SO beheimatet ist. Im Jahr 2019 verkaufte sie eine halbe Million mechanische Uhrwerke an Konkurrenten der Swatch. Im Jahr 2020 wäre es kein einziges Uhrwerk mehr. Ein privater Betrieb würde von einer staatlichen Behörde während eines Jahres aus dem freien Markt genommen. Uhrenhersteller, die fest geplant hatten mit den ETA-Werken, geraten in die Bredouille.
Das Lieferverbot ruft Kritik hervor. In der Branche wird von einem Schlag gegen die Uhrenindustrie gesprochen. Auf Anfrage übt Swatch-Chef Nick Hayek grundsätzliche Kritik. «Die Wettbewerbskommission hat doch nicht die Aufgabe, den Markt zu organisieren.» Sie müsse Marktmacht und deren Missbrauch verhindern. «Doch wenn ETA nicht liefern darf, führt das nicht zu mehr, sondern zu weniger Wettbewerb.» Betroffen vom drohenden Lieferverbot sind vor allem ETA-Kunden, unabhängige Uhrenhersteller.
Chopard wird 2020 gewisse Uhrenmodelle nicht wie geplant vorstellen können. So werden die Folgen beschrieben von Karl-Friedrich Scheufele, Co-Präsident und Eigentümer des Traditionshauses. Selbst wenn das Verbot nicht ausgesprochen wird, bleibt der Schaden bestehen. Denn die Branche hat lange Vorlaufzeiten, anderthalb Jahre sind üblich. «Wir werden einige Umsatzeinbussen hinnehmen müssen.»
Als unabhängiges Familienunternehmen sehe man so etwas natürlich nicht gerne. Chopard ist gegen ein Lieferverbot besser gewappnet als andere. Es hat eine eigene Herstellung von mechanischen Uhrwerken. Gerade kleinere Betriebe haben das nicht. «Ich weiss nicht, wie solche Betriebe ein Lieferverbot überstehen sollen.»
Der Eklat um die Wettbewerbshüter trifft die Branche allerdings nicht völlig unvermittelt. Ihr schwieriges Verhältnis mit ihnen ist sozusagen ein historisches Vermächtnis. Man könnte auch sagen eine Altlast.
In den 1920-Jahren organisiert sich die Branche ähnlich wie ein Kartell. In den 1930er-Jahren wird dies vom Bund legalisiert mit einer Reihe von Beschlüssen, dem Uhrenstatut. Es braucht eine Bewilligung, wer einen neuen Uhrentyp verkaufen oder neues Personal einstellen will. Erst Mitte der 1980er-Jahre zieht sich der Bund wirklich zurück. Zuvor hilft er jedoch bei einer Megafusion mit.
1983 werden die beiden bisherigen Branchenriesen zur heutigen Swatch Group zusammengeschlossen. So entsteht der grösste Uhrenkonzern der Welt. Nicolas Hayek führt den Konzern aus der Schweizer Uhrenkrise heraus. Hayek Senior muss den neuen Riesen fit trimmen.
Er bringt die bisher verstreute Herstellung von mechanischen Uhrwerken zusammen, in der ETA. So können grössere Mengen hergestellt werden, zu tieferen Stückkosten. ETA bedient fortan beinahe den gesamten Schweizer Markt.
Damit schafft Hayek Senior nebenbei jene vertrackte Situation, die später seinen Sohn Nick Hayek als neuen Swatch-Chef einholt. Denn mit der Sonderstellung geht eine neue Verantwortung einher, die später in Verfügungen der Wettbewerbskommission festgehalten wird.
Kunden oder Konkurrenten sagen: Damals hätten alle Beteiligten angenommen, die ETA werde immer die gesamte Schweizer Uhrenindustrie beliefern. Sie werde den Bedarf der Branche decken.
Schon bald beginnt der Streit um die ETA. Erstmals hineingezogen wird die Wettbewerbskommission im Sommer 2002. Kunden der ETA reichen bei ihr Anzeige ein. Die Swatch-Tochter wolle sie nicht mehr beliefern. Es kommt zur ersten von zahlreichen Verfügungen. Die ETA muss weiter liefern.
Ihre Weigerung sei unzulässig und missbräuchlich. Denn sie habe eine marktbeherrschende Stellung, andere Lieferanten gebe es nicht. ETA solle bis Ende 2008 im bisherigen Umfang liefern. So sollen sich Konkurrenten in Stellung bringen, damit ein Wettbewerb entsteht.
Das misslingt. Schon 2009 treffen bei der Wettbewerbsbehörde erneut Klagen ein. Wieder wird ein Verfahren eröffnet. 2011 geht die Swatch Group gleich von sich aus auf die Behörde zu. Sie wolle frei bestimmen können, welche Kunden sie beliefere und welche nicht. Was kann sie tun, um dem Kartellgesetz zu genügen? Es folgt die nächste Untersuchung – und zwei Jahre später ein kontroverser Deal.
Hayek schränkt die eigene Freiheit ein. Er verpflichtet sich, die Liefermengen der ETA jedes Jahr ein wenig abzubauen, bis Ende 2019. Damit soll endlich ebenbürtige Konkurrenz zur ETA entstehen können. Und Hayek soll ab Ende 2019 frei sein. Eine kleinere ETA soll keine Marktmacht mehr haben und sich ihre Kunden frei aussuchen können. Endlich. Es kommt anders.
Im September 2018 rückt die ersehnte Freiheit in weite Ferne. Damals wird von der Wettbewerbsbehörde angekündigt: ehe der Deal auslaufe, führe man eine Marktbefragung durch. Um zu prüfen, ob der Wettbewerb nun spielt. Eine solche Befragung dauert anderthalb Jahre lang. In der Swatch fällt man aus allen Wolken.
Die Planung für 2020 ist dahin. Hayek sagt auf Anfrage: «Es ist inakzeptabel, dass die Behörde so lange braucht, um ihre Studie abzuschliessen – oder um eine Entscheidung zu treffen.» Diese Botschaft überbringt man mehrmals. Die Wettbewerbshüter reagieren spät. Der ETA solle 2020 einen Lieferstopp auferlegt werden. Es ist der nächste Schlag für Hayek. Der Streit um die ETA geht weiter.