Wirtschaft
Schweiz

Interne Abwertung: 5 Gründe, warum das keine gute Idee ist

Immer wenn Jobs verloren gehen, rufen sie: «Runter mit Steuern, Renten, Löhnen!» – 5 Gründe, warum das fatal ist

25.02.2016, 20:38
werner vontobel
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Seit die Nationalbank die Franken-Untergrenze fallen liess, macht in der Schweiz ein Schlagwort die Runde: Interne Abwertung. Das heisst: Wir sollen den gestiegenen Aussenwert des Frankens durch tiefere interne Kosten ausgleichen und so die Wettbewerbsfähigkeit bewahren.

In den Worten des neoliberalen Wirtschaftspublizisten Beat Kappeler:

«Intern abzuwerten ist das Normalste der Welt. Den Aufgabenkatalog kennt man aus Südeuropa: Preise, Löhne, Renten, Staatsausgaben, Steuern runter.»
Beat Kappeler, Wirtschaftspublizist
NZZ am sonntag

Zu den konkreten Forderungen der internen Abwertung gehören:

  • tiefere Beitragssätze für die Pensionskassen
  • weniger staatliche Zuschüsse
  • Kürzungen bei Gesundheit und Bildung
  • Abschaffung der Gewinnsteuern

In der Tat können damit die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Exportindustrie verbessert und ein paar Arbeitsplätze gerettet werden. Mehr noch: Die Erfahrungen in Deutschland und ab 2008 auch in den Euro-Südstaaten (Italien, Spanien und Griechenland) zeigen, dass die interne Abwertung die Gewinne der Unternehmen massiv steigen lässt. Kein Wunder: Lohnkosten und Steuern sinken, die Preise bleiben hoch.

Geht doch, oder?

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Diesen Vorteilen stehen allerdings entscheidende Nachteile gegenüber:

Die Löhne sinken

Diese Aussage stützt sich im wesentlichen auf zwei Experimente mit interner Abwertung: So sind Deutschlands Löhne seit dem Start des Euro bis 2007 rund 22 Prozent langsamer gestiegen als im Rest der Eurozone. Gegenüber Spanien und Griechenland betrug der Abstand sogar 35 bzw. 45 Prozent.

Ab 2008 mussten dann insbesondere die Euro-Südstaaten ihrerseits intern abwerten, um mit den tiefen deutschen Exportpreisen mitzuhalten. Seither sind Deutschlands Lohnkosten wieder mehr als doppelt so schnell gestiegen wie im grossen Rest des Eurolandes. Deutschlands Wettbewerbsvorteil ist aber immer noch gross.

Die interne Nachfrage bricht zusammen

Deutschlands Exporte sind zwar von 1998 bis 2007 von 1 auf bis zu 7 Prozent des BIP gestiegen und seither in etwa dort geblieben. Auf der anderen Seite ist Deutschlands interne Nachfrage im gleichen Zeitraum bloss um 8 Prozent gestiegen, gegenüber 27 Prozent im Rest Europas. Per Saldo ist das eine massive Einbusse von rund 14 BIP-Prozenten.

Ab 2008 hat sich das Blatt gewendet. Seit dann sind Deutschlands Lohnkosten gut doppelt so schnell gestiegen wie in den übrigen Euro-Ländern. Diese haben somit gegenüber Deutschland intern abgewertet. Prompt hat sich ihre Exportbilanz um etwa 2,5 BIP-Prozente verbessert.

Gleichzeitig ist aber die interne Nachfrage real um 3 Prozent gesunken, während sie in Deutschland um 9 Prozent gestiegen ist. Die interne Abwertung hat sich also auch hier nicht gelohnt.

Die Billig-Jobs nehmen zu

Trotz der leichten Trendwende ab 2008 hat die interne Abwertung in Deutschlands Sozialgefüge tiefe Spuren hinterlassen. Zwar ist die Arbeitslosenquote auf rund 6 Prozent gesunken. Dafür gibt es heute 11,9 Prozent geringfügig Beschäftigte mit etwa 8-Wochenstunden Arbeit und 330 Euro Monatseinkommen. Diese «Arbeitnehmer» sind kaum besser dran als die Arbeitslosen.

Weitere 8 Prozent der Arbeitnehmer müssen mit netto 1150 Euro leben, sind also ebenfalls auf Staatshilfe angewiesen. Darüber kommt dann eine rund 15 Prozent starke untere Mittelschicht mit rund 1400 Euro Nettolohn nach Steuern. Insgesamt leben also rund 40 Prozent der Deutschen unter dem Niveau, das bei uns schon von Sozialhilfe-Empfängern erreicht wird.

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Wir retten Jobs, die sowieso verloren gehen ...

Klar: Die Aufwertung des Frankens hat die Exporte der Schweiz um etwa 8 Prozent verteuert. Vor allem zwei Branchen hat es hart getroffen – den Tourismus und das verarbeitende Gewerbe wie den Metall- und Maschinenbau. Sie könnten von einer internen Abwertung profitieren.

Doch was wäre damit gewonnen? Die Beherbergungs- und Gastroindustrie zeichnen nur für gut 5 Prozent alles Jobs verantwortlich und beschäftigen vorwiegend Ausländer. Werden ihre Jobs ausgelagert, wandern sie mit. Zudem liegt die Wertschöpfung bloss bei rund 40 Prozent des Schweizer Mittels.

Auf die Maschinen und Metallindustrie entfallen immerhin gut 12 Prozent aller Jobs, aber diese werden immer weniger. Dies nicht etwa wegen Auslagerungen, sondern wegen der hohen Produktivitätssteigerung.

... und stoppen die Job-Maschine, die noch funktioniert

Mit interner Abwertung können wir diesen Trend allenfalls verlangsamen und unsere Exportüberschüsse verteidigen. Selbst im besten Fall können wir damit aber lediglich paar tausend Jobs retten.

Dem steht aber ein gewaltiges Verlustpotenzial bei der internen Nachfrage gegenüber. Wenn die Löhne erst einmal sinken und die Renten unsicher werden, ist schnell einmal der Besuch beim Coiffeur abgesagt, das Abo fürs Fitnessstudio gestrichen und die Renovation des Dachstocks verschoben. Darauf werden die Unternehmen – verständlicherweise – mit Entlassungen und Lohnabbau reagieren.

Und schon beginnt der Teufelskreis.

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