Die Finanzmarktaufsicht FINMA sieht bei Raiffeisen schwerwiegende Mängel in der Unternehmensführung. Die Bankengruppe habe Interessenkonflikte ungenügend gehandhabt.
Zudem habe der Verwaltungsrat der Bank die Aufsicht über den ehemaligen CEO Pierin Vincenz vernachlässigt, heisst es in dem am Donnerstag veröffentlichten Enforcement-Bericht der Behörde. Die FINMA verfügt nun Massnahmen zur Verbesserung der Corporate Governance. Raiffeisen anerkennt die Verfügung.
Die FINMA hatte ihr Verfahren im Jahr 2016 wegen Hinweisen auf mögliche Interessenkonflikte eingeleitet. Raiffeisen hatte unter der Führung von Vincenz eine Vielzahl an Beteiligungen aufgebaut. Dies habe oft zu «Rollenkumulationen und Interessenkonflikten» geführt, stellt die Behörde fest.
Die FINMA sieht auch ungenügendes Risikomanagement bei Kreditvergaben an Vinzenz und weitere Personen, auch habe die Aufsicht über den CEO in anderen Bereichen nicht funktioniert.
Insgesamt habe der Raiffeisen-Verwaltungsrat seine Funktion als Oberleitungs-, Aufsichts- und Kontrollorgan der Bank insbesondere im Zeitraum von 2012 bis 2015 ungenügend wahrgenommen, stellt die FINMA fest. «Damit ermöglichte es der Verwaltungsrat dem ehemaligen CEO zumindest potenziell, eigene finanzielle Vorteile auf Kosten der Bank zu erzielen.»
Hauptgegenstand des Verfahrens war die Beteiligung der Bank an den Gesellschaften Investnet, KMU Capital und Investnet Holding. Besonders im Fokus sei die Rolle des ehemaligen CEO gelegen, namentlich wegen dessen eigener Beteiligung als Minderheitsaktionär an der Investnet Holding.
Die FINMA verfügt nun verschiedene Massnahmen «zur Wiederherstellung des ordnungsgemässen Zustands». So muss sich der Verwaltungsrat von Raiffeisen Schweiz erneuern und fachlich verstärken, mindestens zwei Mitglieder müssen angemessene Erfahrung im Bankwesen haben. Zudem wird die Bank verpflichtet, die Vor- und Nachteile einer Umwandlung von Raiffeisen Schweiz in eine Aktiengesellschaft vertieft zu prüfen.
Gegen Vincenz selbst hatte die FINMA ein Verfahren schon im letzten Dezember eingestellt. Der Grund dafür war laut der FINMA, dass Vincenz öffentlich einen lebenslangen Verzicht auf Führungspositionen in der Finanzbranche erklärt hatte. Damit wurde das Verfahren laut der Behörde gegenstandslos.
Vincenz war am Dienstag aus der Untersuchungshaft entlassen worden, nachdem er Ende Februar verhaftet worden war. Die Zürcher Staatsanwaltschaft führt eine Untersuchung wegen des Verdachts auf ungetreue Geschäftsbesorgung. Vincenz soll sich bei Firmenübernahmen der Kreditkartengesellschaft Aduno und der Investmentgesellschaft Investnet persönlich bereichert haben, so der Vorwurf. Er bestreitet alle Vorwürfe, es gilt die Unschuldsvermutung. Die Untersuchung sei «weit fortgeschritten», teilte die Zürcher Staatsanwaltschaft am Mittwoch mit.
Der aktuelle Raiffeisen-CEO Patrik Gisel wird in der Medienmitteilung nicht namentlich erwähnt. Ob die FINMA weitere Verfahren gegen Einzelpersonen eröffnen werde, werde sie erst nach Vorliegen der internen Untersuchung der Bank entscheiden, wird jedoch betont. Bis jetzt habe sie keine Anhaltspunkte, «die ein aufsichtsrechtliches Verfahren gegen heutige Führungskräfte der Raiffeisen Schweiz rechtfertigen würden».
Raiffeisen habe aufgrund des Abschlussberichts der Aufsichtsbehörde FINMA ein Massnahmenpaket definiert, um den ordnungsgemässen Zustand wiederherzustellen, heisst es in der Mitteilung. Bereits vor zwei Jahren habe Raiffeisen eine Reihe von Massnahmen zur Corporate Governance eingeleitet, die die von der FINMA gerügten Interessenskonflikte wesentlich reduzierten.
Zur Auflage der FINMA, die Folgen einer Umwandlung in eine Aktiengesellschaft vertieft zu prüfen, schreibt Raiffeisen, dass der Verwaltungsrat im Rahmen der Strukturdiskussion die Überprüfung ihrer Gesellschaftsform vornehmen werde.
Unter dem Stichwort «Enforcement» laufen bei der Finanzmarktaufsicht (Finma) alle Ermittlungen, Verfahren und Massnahmen zur Abklärung und Ahndung von Verstössen gegen das Aufsichtsrecht. Auf Deutsch heisst «Enforcement» so viel wie «Durchsetzung».
Enforcementverfahren richten sich in erster Linie gegen Unternehmen und Personen mit einer Bewilligung der Finma. Wer auf dem Finanzmarkt tätig sein will, benötigt eine solche Bewilligung.
Die Bandbreite der Enforcement-Instrumente ist gross. Es umfasst laut einer Liste der Finma namentlich vorsorgliche Massnahmen, Anordnungen zur Wiederherstellung des ordnungsgemässen Zustands, die Feststellungsverfügung (Rüge), das Berufsverbot, Unterlassungsanweisungen und Händlerverbote, die Veröffentlichung von Verfügungen, die Einziehung sowie den Bewilligungsentzug sowie die Liquidation und den Konkurs.
In der Regel wird die Öffentlichkeit nicht über solche Verfahren informiert. Ausnahmen werden nur gemacht, wenn ein besonderes öffentliches Interesse besteht - zum Beispiel um Anleger, Gläubiger oder Versicherte vor einem Schaden zu bewahren. Einmal pro Jahr wird allerdings ein zusammenfassenden Enforcement-Bericht publiziert. Darin legt die Behörde Rechenschaft über ihre Aktivitäten ab, indem sie anonymisierte Kurzzusammenfassungen der behandelten Fälle veröffentlicht. Dies soll nicht zuletzt eine präventive Wirkung auf den Finanzmarkt haben.
Im letzten Jahr wurden 599 Enforcementabklärungen eröffnet, wobei es zu 34 Verfahren kam. 11 davon betrafen Bewilligungsträger, 11 waren Einzelverfahren gegen Personen, und 12 gingen unerlaubten Tätigkeiten auf dem Finanzmarkt nach. (awp/sda/mlu)