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Interview

«Die Service-Public-Revolution»: Interview mit Wermuth und Ringger

Cédric Wermuth (links) ist designierter Co-Präsident der SP Schweiz. Beat Ringger ist der ehemalige Geschäftsführer des Thinktanks Denknetz.
Cédric Wermuth (links) ist designierter Co-Präsident der SP Schweiz. Beat Ringger ist der ehemalige Geschäftsführer des Thinktanks Denknetz.bild: watson.
Interview

«Erstmals seit Jahrzehnten gibt es eine ökologisch-soziale Perspektive»

Der ehemalige Denknetz-Geschäftsführer Beat Ringger und der Sozialdemokrat Cédric Wermuth legen in ihrem Buch «Die Service-Public-Revolution» dar, wie eine grünere und gerechtere Gesellschaft konkret wird.
04.10.2020, 16:4705.10.2020, 13:36
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Man soll nie eine Krise unnütz verstreichen lassen, soll Churchill einst gesagt haben. Habt ihr euch bei der «Service-Public-Revolution» ebenfalls von diesem Motto leiten lassen?
Beat Ringger: Es geht nicht darum, eine Krise auszunutzen. Es geht vielmehr darum, die Herausforderungen anzunehmen, die mit einer Krise entstehen.
Cédric Wermuth: Solange Menschen auf der Intensivstation an Covid-19 sterben, ist es zynisch, von der Krise als Chance zu sprechen. Uns geht es nicht darum zu sagen, wegen Corona müsst ihr nun dies und das machen.

Es gibt jedoch Menschen, die sagen: Die Linken und die Grünen wollen die Coronakrise dazu missbrauchen, dem kleinen Mann einen Lebensstil zu verpassen, den er gar nicht will.
Wermuth: Unsinn. Die Coronakrise wirkt wie ein Blitz. Sie wirft einen erhellenden Blick auf Missstände, die bereits bestanden haben. In unserem Buch geht es auch nicht primär um Corona. Die Krise ist vielmehr ein Symptom von bereits bestehenden Zuständen.
Ringger: Das heisst jedoch nicht, dass die Politik nicht aufgefordert ist, Antworten auf die von der Krise aufgeworfenen Probleme zu finden.

Cedric Wermuth, Nationalrat SP-AG, nimmt eine 100 Franken Banknote weg, die er waehrend seiner Rede an die Plexiglasscheibe geklebt hat, waehrend der Debatte um die Volksinitiative "Loehne entlas ...
Cédric Wermuth klebt während der Herbstsession eine 100er Note an die Plexiglasscheibe.Bild: keystone

Könnt ihr ein konkretes Beispiel anführen?
Ringger: Die Coronakrise hat den Flugverkehr fast vollständig zu Erliegen gebracht. Das wirkt sich segensreich in Bezug auf die Klimakrise aus. Aber was machen wir mit all den Angestellten, die in der Flugindustrie tätig sind? Wir müssen ihnen Umschulungs-Angebote für zukunftsfähige Jobs machen, zum Beispiel im Care-Bereich oder in der Gebäudetechnik.

Das bestehende Wirtschaftssystem gerät zunehmend in die Kritik. Kürzlich hat beispielsweise WEF-Direktor Klaus Schwab in einem watson-Interview tiefgreifende Änderungen angemahnt. Hat die Linke ihr Monopol an der Kritik von Kapitalismus und Neoliberalismus verloren?
Wermuth: Die vermeintliche Kritik an der Elite ist auch ein zentrales Element der rechtspopulistischen Propaganda. Tatsächlich aber wird die Rechte überall von Milliardären angeführt. Und seit der Finanzkrise üben sich selbst die Neoliberalen gelegentlich in Selbstkritik. Geändert hat sich deswegen aber rein gar nichts. Der Klassenkampf von oben wird weiter vorangetrieben.

Immerhin wollen alle Banken nur noch grüne Fonds verkaufen, Möbelhäuser wie Ikea fordern zum ökologischen Wohnen auf. Selbst wenn da PR und Greenwashing mit im Spiel sind – es zeigt sich, dass ein Umdenken stattfindet. Eröffnet das nicht Chancen?
Ringger: Seit Jahrzehnten versuchen multinationale Konzerne, sich ein grünes Mäntelchen umzulegen. VW beispielsweise versprach schon in den Achtzigerjahren ein Drei-Liter-Auto. Doch die Strategie der Autokonzerne ist nach wie vor verheerend. Sie wollen ihre Benzinautos noch so lange wie möglich retten und zusätzlich einen Markt für Elektroautos eröffnen.

Sie stehen jetzt unter einen enormen Druck von Tesla. Dieses Unternehmen ist heute schon mehr wert als VW, BMW und Daimler zusammen.
Ringger: Aber Tesla produziert immer noch bloss einen Bruchteil der Autos der grossen Hersteller. Das zählt. Der Aktienkurs ist ein Phänomen der Finanzwelt und könnte sich dereinst als Hype erweisen. Ich sehe keinen ernsthaften Versuch der Autoindustrie, ihre Strategie klimagerecht zu machen.

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Teslas werden verschifft. Der Höhenflug von Elon Musk setzt die traditionellen Autohersteller unter Druck. Bild: keystone

Immerhin hat das Parlament nun ein CO2-Gesetz verabschiedet, ein Gesetz, das Ende 2018 noch verworfen worden ist.
Wermuth: Das ist ein Fortschritt, keine Frage. Wo gibt es z.B. sonst eine Privatjetabgabe im Gesetz? Aber klar, das Gesetz reicht lange nicht. So ist beispielsweise die Verantwortung des Finanzplatzes vollständig aussen vor, genauso wie die internationale Klimagerechtigkeit zu schwach ist. Das CO2-Gesetz ist daher ein erster Schritt, es eröffnet die Debatte. Aber es ist noch keine Antwort auf der Höhe der Zeit.

Was wäre dann nötig?
Wermuth: Ein Verbot von Investitionen in fossile Energien zum Beispiel. Viele Dinge sind auch rasch machbar. Eine Klimabank mit Klimagenturen, beispielsweise, die Kredite für ökologische Projekte erteilt und die Projekte auch gleich umsetzen. Das schlagen wir im Buch vor.

Ihr nennt Euer Unterfangen eine «Service-Public-Revolution». Warum knüpft ihr nicht an die bereits bestehenden grün-linken Begriffe wie Green New Deal an? Wo liegt der Unterschied?
Ringger: Wir wollen uns nicht bloss auf Umweltthemen beschränken.

Das wollen auch die Vertreter des Green New Deal nicht.
Ringger: Wir wollen weiter gehen. Wir können uns keine Gesellschaft mehr leisten, in der zentrale Interessen nach wie vor in privaten Händen liegen. Dazu ein Beispiel: Schon in der SARS-Krise vor 17 Jahren hat der Mangel an günstigen Beatmungsgeräten eine wichtige Rolle gespielt. Die amerikanische Regierung hat daraufhin die Entwicklung eines billigeren Gerätes grosszügig subventioniert. Eine kleine Firma begann mit der Herstellung. Sie wurde von einem Marktführer aufgekauft, der die Produktion des Konkurrenzproduktes einstellte. Deshalb gibt es günstige Geräte auch heute noch nicht – sie hätten Tausenden von Corona-Kranken das Leben retten können. Solche Sachen dürfen nicht mehr passieren. Deshalb brauchen wir eine neue Auffassung von öffentlich und privat und deshalb sprechen wir auch von einer Revolution. Mit der Vorstellung von ein bisschen mehr Regulation der Privatwirtschaft kommen wir nicht vom Fleck.

In this Friday, April 22, 2016 photo, people stand in front of an ivy-clad building in the art and design zone OCT Loft in Shenzhen, China. For business travelers to the southern Chinese manufacturing ...
Häuser in Shenzhen. Die chinesische Stadt gilt in Sachen Umweltschutz als vorbildlich.Bild: AP/AP

Als ökologischste Stadt der Welt gilt Shenzhen. Brauchen wir einen autoritären Staatskapitalismus à la China, um eine grüne Revolution durchzusetzen?
Wermuth: Um Gottes willen nein! Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Wir verurteilen jede Form von einer autoritären Regierung und halten entschieden an der Demokratie fest. Die ‹Service-Public-Revolution› setzt ja genau am anderen Ende an: Bei demokratischen Strukturen, die wir bereits kennen, darunter den öffentlichen Diensten.

In Zürich haben wir soeben zum gefühlten zehnten Mal über ein Fussballstadium abgestimmt. Können wir uns solche Spielereien angesichts der gravierenden Probleme noch leisten?
Wermuth: Ehrlich gesagt, ausserhalb von Zürich versteht das auch kein Mensch mehr. Ernsthaft: 30 Jahre lang hat uns die Rechte jetzt erzählt, dass die Politik machtlos ist gegen die ‹Marktgesetze›. Jetzt wurden in kürzester Zeit die grössten Investitionspakete der Geschichte mobilisiert, ohne dass der Staat zu autoritären Massnahmen greifen musste.

Woran denkt ihr?
Wermuth: Warum sollte ein solches Investitionsprogramm für die Aufwertung der Care-Berufe oder gegen die Klimakatastrophe nicht auch machbar sein? Und es gibt erstmals seit Jahrzehnten eine klar ökologisch-soziale Perspektive. Das zeigt doch, dass Veränderungen machbar sind, ohne die Demokratie in Frage zu stellen. Diese Erfahrung haben wir übrigens mit dem Service Public historisch gesehen immer schon gemacht. 1898 wurde die Gründung der SBB per Volksabstimmung beschlossen. Die Gegner warnten übrigens bereits damals vor einem ‹Beamtenheer› und den finanziellen Folgen. Heute sind die SBB mit der Stolz der Schweiz. Genau das können wir in noch weit vielfältigeren Formen machen. Das stärkt die Demokratie.
Ringger: Dass es eine Klimaerwärmung gibt, wissen wir spätestens seit den Achtzigerjahren. Doch es hat die neue Klimabewegung gebraucht, um die Politik zu verändern. Die Jugend bewegt sich, weil sie erkannt hat, dass ihre Lebensperspektiven extrem gefährdet sind. Das bringt die Demokratie voran.

«Die Kombination von öffentlichem Verkehr, Velo und Car-Sharing muss die neue Normalität werden.»

Das Klima ist ein zentraler Bestandteil Eurer Servie-Public-Revolution, aber nicht der einzige. Ihr fordert auch eine Care-Gesellschaft. Was hat man sich darunter vorzustellen?
Wermuth: Eine Care-Gesellschaft ist eine Gesellschaft, die sich nach den Bedürfnissen der Menschen ausrichtet und nicht am privaten Profit. Das bedeutet auch, dass Pflege und Betreuung ins Zentrum der Auseinandersetzungen rücken müssen. Die Coronakrise hat gezeigt, dass wir diesbezüglich noch grosse Defizite aufweisen. Plötzlich ist allen klar geworden, wie systemrelevant Pflegeleistungen und Kitas sind. Wir müssen deshalb diese Arbeiten entscheidend aufwerten. Das trifft gerade Berufe, in denen Frauen übervertreten sind, z.B. bei den Kitas.

Weniger Shareholder Value, mehr Kitas?
Wermuth: Genau. Das ist ein wichtiger Teil unserer Service-Public-Revolution.

Kinder beim Mittagessen in einer Z�rcher Kita: Werden Kinder bereits in den ersten vier Lebensjahren gef�rdert, profitiert auch die Volkswirtschaft. (Symbolbild)
Kinder beim Mittagessen in einer Kita in Zürich.Bild: sda

Ihr führt ein Beispiel aus Holland als Vorbild für eine Care-Gesellschaft an. Worum geht es da?
Ringger: Es gibt in Holland eine Non-Profit-Organisation namens Buurtzorg. Sie ist entstanden, weil die Pflegefachleute realisiert haben, dass sie immer mehr mit Bürokratie zugemüllt wurden und daher immer weniger Zeit für die eigentliche Pflege hatten. Daher haben sie beschlossen, dass sie weniger Hierarchie und mehr Selbstständigkeit brauchen. Das hat sich bewährt, die Pflegeteams sind äussert erfolgreich. Im Jahr 2007 haben sieben Pflegerinnen und Pfleger damit angefangen. Heute sind es über 15’000. Buurtzorg ist in den Niederlande zum prägenden Modell geworden und verbreitet sich auch international.

Sind die Buurtzorg-Pflegerinnen und -Pfleger vom Staat angestellt?
Ringger: Nein, es sind Non-Profit-Organisationen, die sich an den Bedürfnissen ihrer Patienten orientieren. Das Beispiel macht auch Schule. Die Spitex-Zürich beispielsweise ist im Begriff, ihre Teams nach diesem Modell umzubauen.

Müssen wir nicht das gesamte Krankenkassen-System verändern, um ein solches System bei uns einzuführen?
Wermuth: Nicht unbedingt. Wir meinen mit Revolution keinen Bruch, sondern eine schrittweise Veränderung, die die Gesellschaft aber grundlegend verändert. Es gibt Elemente, die sich rasch realisieren lassen, und die sehr viel bewirken können. Wir wollen keine schlagartigen Veränderungen, sondern schlagen eine Art Baukasten-System vor, das sich schrittweise verwirklichen lässt. Aber sicher: Auch der Pseudowettbewerb bei den Krankenkassen gehört abgeschafft.
Ringger: Angenommen, fünf grosse Schweizer Krankenkassen würden sich zusammenschliessen und sagen, wir wollen das Buurtzog-System, dann bin ich überzeugt, dass es sich realisieren liesse. Es bräuchte dazu nicht einmal neue Gesetze und Verordnungen.

Die Spitex Pflegefachfrau Helene Widrig spricht mit dem Mann einer Kundin, aufgenommen waehrend der Coronavirus-Pandemie, am Mittwoch, 20. Mai 2020, in Wittenbach. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)
Eine Spitex Pflegefachfrau besucht ihre Kunden.Bild: KEYSTONE

Verkehr ist ein weiterer wichtiger Bestandteil der Service-Public-Revolution. Was muss sich in diesem Bereich verändern?
Wermuth: Interessanterweise ist der angeblich ach so langweilige Staatsbetrieb SBB sehr innovativ. Sie bietet unter dem Titel ‹Green Class› beispielsweise ein Paket an, in dem ein GA, ein Mobility-Abo plus Elektro-Auto angeboten werden. Das ist nur noch einen kleinen Schritt weg von einem fast revolutionären Modell.

Es ist allerdings nicht ganz billig.
Wermuth: Richtig. Dort braucht es jetzt Investitionen. Wir schlagen ein «Public Green Class»-Abo vor. Es würde ein GA und ein Abo für Car-Sharing-Elektroautos verbinden, zu einem Preis von ein paar Tausend Franken pro Jahr, wenn man im Gegenzug auf das Privatauto verzichtet. Zusätzlich müssten natürlich gerade auf dem Land die Mobility-Standorte stark ausgebaut werden. Das würde die Mobilität grundlegend verändern. Wir hätten dann ein System, in dessen Kern der öffentliche Verkehr steht und der Rest darum herum organisiert ist.

Bis 2025 wollen die SBB ausschliesslich mit erneuerbarer Energie unterwegs sein. (Archivbild)
Kern des Verkehrs der Zukunft: die SBB.Bild: sda

Umgekehrt gibt es Modelle, welche die Auslastung der Privatautos mittels Internet – eine Art Facebook für das alte Autostoppen – massiv erhöhen und damit die SBB überflüssig machen würde.
Ringger: Wir müssen davon weg, Privatautos ins Zentrum des Verkehrssystems zu behalten. Wo die Menschen Alternativen zum Privatauto haben, ist diese Wechsel bereits im Gang. In Zürich beispielsweise haben rund die Hälfte aller Haushalte kein eigenes Auto mehr. Die Kombination von öffentlichem Verkehr, Velo und Car-Sharing muss die neue Normalität werden.
Wermuth: Und nicht vergessen: Der öffentliche Verkehr ist in der Schweiz bereits ein hoch effizientes, gut ausgebautes System. Es wäre idiotisch, dieses System nicht als Dreh- und Angelpunkt für einen Mobilitätswechsel zu benützen. Wir müssen dieses System nur für die breiten Massen erschwinglicher machen. Auch international, dann könnten wir auf die unsinnigen Kurzstreckenflüge verzichten, ohne Verlust.
Ringger: Wir müssen uns auch von der Vorstellung lösen, öffentlicher Verkehr sei bloss Schiene. Wenn wir eine Spur der Autobahnen für Schnellbusse reservieren, dann ist schlagartig alles möglich.

Das Finanzsystem ist zu einem Kasino geworden. Was muss sich ändern, damit es wieder der realen Wirtschaft dient?
Ringger: Das Finanzsystem muss ebenfalls zu einem Service Public werden.

Also Postfinance, Raiffeisenkasse und allenfalls noch Kantonalbanken?
Ringger: Die Finanzkrise 2008 hat gezeigt, dass die grundlegenden Finanzdienstleistungen vom Hochrisiko-Bereich getrennt werden müssen. Unter grundlegenden Finanzdienstleistungen verstehen wir den Zahlungsverkehr, das Sparen der normalen Menschen und all die Kredite, die in normale Geschäftstätigkeiten fliessen. Diese Aufgabe können verschiedene Institute übernehmen, die gegenseitig in einem Wettbewerb stehen. Sie müssen einfach klar getrennt sein von den spekulativen Geschäften.

Neuer Rekord an der Schweizer Börse SIX: Der Leitindex SMI erklimmt bei über 10'100 Punkten ein neues Allzeithoch. (Archivbild)
Die Schweizer Börse SIX in Zürich.Bild: KEYSTONE

Was geschieht mit den spekulativen Geschäften? Werden sie verboten?
Wermuth: Wir schlagen vor, dass wir Unternehmen, die sich zum Service-Public-Gedanken bekennen, privilegieren. Es könnte ja auch sein, dass sich eine CS oder eine UBS für einen anderen Weg entscheiden und sich als Service-Public-Bank positionieren. Das soll möglich sein. Richtig ist, dass wir in diesem Buch aber den gesamte Bereich, was an Finanzmarktregulierung trotzdem weiter nötig ist, noch nicht ausgearbeitet haben.

Das ist derzeit noch eine sehr theoretische Annahme.
Wermuth: Wie gesagt, die Kritik, dass wir in diesem Bereich noch nachlegen müssen ist legitim. Generell ist klar, dass der Kasino-Teil des Finanzmarktes zurückgefahren werde muss, und dass dies nicht ohne Regulierungen gehen wird.
Ringger: Anzufügen bleibt, dass der Finanzplatz Schweiz seit 2008 tüchtig geschrumpft ist. Uns hat man stets gesagt, dass dies die Schweiz ins Elend stürzen würde. Das ist nicht passiert.

Die CS und UBS beschäftigen zusammen immer noch rund 100’000 Mitarbeiter.
Ringger: Aber die Schrumpfung des Finanzplatzes hat die Schweiz nicht in eine Krise gestürzt.

Auch andere Konzepte für die Gesellschaft der Zukunft werden ebenfalls heiss diskutiert. Eines davon ist ein bedingungsloses Grundeinkommen. Hat das auch Platz in eurer Service-Public-Revolution?
Wermuth: Wir haben einen anderen Ansatz. Wir teilen zwar die Überzeugung, dass jeder Mensch Zugang zu den Dingen haben muss, die ein Leben in Würde ermöglichen. Wir sagen jedoch, dass dies am besten funktioniert, wenn wir den Bereich der öffentlich erbrachten Dienstleistungen erweitern. Auch das führt auch zu einer Mindest-Absicherung.
Ringger: Das bedingungslose Grundeinkommen wird von seinen Befürwortern auch als Allzweckwaffe dargestellt, als die Massnahme, die alle Probleme löst. Daran glauben wir nicht.
Wermuth: Die gesellschaftlichen Machtverhältnisse wollen die meisten Modelle des Grundeinkommens ja nicht antasten. Daher gibt es auch viele liberale Befürworter.

Stephanie Kelton (September 2012)
Von ModernMoneyNetwork - Diese Datei ist ein Ausschnitt aus einer anderen Datei: Stephanie Kelton 2012.jpg, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?cu ...
Vordenkerin der Modern Monetary Theory: Stephanie Kelton. Bild: Wikimedia/ModernMoneyNetwork

Ein weiteres Konzept, das derzeit für Furore sorgt, ist die Modern Monetary Theory (MMT), welche die ganze Staatsschulden-Problematik auf den Kopf stellt. Wie stellt ihr euch dazu?
Ringger: MMT ist im Grunde genommen die gleich falsche Antwort auf die Probleme wie seinerzeit der Monetarismus von Milton Friedman. MMT geht ebenfalls davon aus, dass die Geldpolitik der Zentralbank alle Probleme lösen kann.

Die Geldpolitik der Zentralbanken hat bisher eine Depression verhindert.
Ringger: Es ist jedoch ein Irrtum zu glauben, dass man mit einer beständigen Erhöhung der Geldmenge dauerhaft über die Runden kommen kann. Das mag in den USA für einige Zeit funktionieren. Aber es ist keine Lösung dafür, wie der Reichtum in der Gesellschaft nachhaltig und fair verteilt werden kann.

Was ist die Alternative?
Ringger: Die Umverteilung des Reichtums muss über das Steuersystem erfolgen. Und wir brauchen eine radikale Um-, respektive Rückverteilung, um die falsche Entwicklung der letzten 40 Jahre wieder ins Lot zu bringen.

Der ökologische Umbau der Gesellschaft wird teuer werden. Nur mit Spargeldern wird er sich nicht finanzieren lassen. Brauchen wir da nicht eine Art MMT?
Wermuth: Sicher ist die MMT mindestens so weit richtig, dass der der Staat weiter mehr Schulden machen kann, als uns die offizielle Wirtschaftswissenschaft heute weis machen will. Und richtig ist auch die Forderung nach einer Arbeitsplatzgarantie. Aber deswegen brauchen wir eigentlich noch keine MMT.

Selbst die Deutschen haben wegen der Coronakrise nun die schwarze Null und die Schuldenbremse über Bord geworfen.
Wermuth: Schulden sind dann richtig, wenn damit langfristige Infrastrukturprojekte finanziert werden, von denen kommende Generationen stark profitieren. Dann kann auch die Finanzierung langfristig erfolgen. Nur dienen Steuern nicht nur zur Finanzierung des Staates, sie steuern auch der Rückverteilung des Wohlstandes. Sie dienen auch dazu, die gesellschaftliche Vorherrschaft jener zu brechen, die zu viel Reichtum haben. Dazu brauchen wir die Steuern.

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114 Kommentare
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holzöpfel
04.10.2020 17:21registriert Dezember 2019
Ich erinnere mich noch an ein Interview mit Cedric Wermuth vor ca einem halben Jahr. Der Moderator fragte ihn wo er zuletzt im Urlaub war.
Wermuth: vor 3 Monaten mit dem Flieger in den USA.
Moderator: Ob er denn kein schlechtes Gewissen habe
Wermuth: Da müsse halt zuerst die Politik etwas tun.
HAHAHA!! Bitte als Vorbild vorangehen wenn man dieses Thema aufgreift ;)
248103
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raues Endoplasmatisches Retikulum
04.10.2020 17:25registriert Juli 2017
"Die CS und UBS beschäftigen zusammen immer noch rund 100’000 Mitarbeiter.
Ringger: Aber die Schrumpfung des Finanzplatzes hat die Schweiz nicht in eine Krise gestürzt."
Aus der warmen Stube lässt sich natürlich trefflich referienen.
Und was hat das Schrumpfen des Finanzplatzes gebracht der CH jetzt gebracht.
Die Banken in den USA, London, Honkong und Singapur haben profitiert, die europäischen Banken spielen heute in der 2. Liga.
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Antinatalist
04.10.2020 16:59registriert September 2019
So lange der Mensch in den Vordergrund gestellt wird, bleibt die Umwelt auf der Strecke.

Das sollte auch Cédric Wermuth einmal erlicken. Dieses ewige "es geht um Menschenleben" ist eine derart leere Floskel, da wird's einem jedes Mal schlecht, wenn man sie hört oder liest.

Es gibt Ende 2021 über 8 Milliarden Menschenleben. Aber immer noch nur einen Planeten Erde.
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