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Wirtschaft lahmt: Kommt jetzt das Ende der deutschen Sparwut?

Angela Merkel als Hausfrau
Bild: montage: watson / material: keystone, shutterstock

Wirtschaft lahmt: Kommt jetzt das Ende der deutschen Sparwut?

Die Aktienkurse brechen ein. Der schwelende Handelskrieg bringt den Exportweltmeister in Schwierigkeiten. Dagegen kämpft auch die sprichwörtliche schwäbische Hausfrau vergebens an.
14.08.2019, 17:2929.08.2019, 15:32
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Geht es um Wirtschaft, vergleicht sich Angela Merkel gerne mit einer schwäbischen Hausfrau. Diese teilt bekanntlich ihr Budget sorgsam ein, lebt sparsam und gibt nur Geld aus, das sie zuvor verdient hat. Genauso müsse auch der Staat haushalten, doziert die Kanzlerin jeweils, sehr zur Freude ihrer Untertanen.

Die schwäbische Hausfrau ist auch die Schutzheilige der deutschen Volkswirtschaftslehre. Zwischen Rhein und Oder schwören die Ökonomen mehrheitlich auf den Ordoliberalismus, eine theoretisch verbrämte Version des Leitmotivs der schwäbischen Hausfrau.

Die Sparmentalität hat sich tief in die deutsche Seele gegraben und geht quer durch alle Schichten der Gesellschaft und die politischen Parteien. So schwört der aktuelle Finanzminister Olaf Scholz (SPD) genauso auf eine «schwarze Null» im Staatshaushalt wie sein konservativer Vorgänger Wolfgang Schäuble. Und «Geiz ist geil» war einer der erfolgreichsten Werbeslogans der jüngeren Vergangenheit.

«Die aktuellen Zahlen markieren das Ende der goldenen Ära der deutschen Wirtschaft. Der Druck auf die Regierung wird zunehmen.»
Carsten Brzeski

Im Ausland hingegen hat der Ordoliberalismus wenig Freunde. Seit Jahrzehnten versuchen vor allem angelsächsische Ökonomen – darunter auch konservative – ihren deutschen Kollegen klar zu machen, dass massive Exportüberschüsse und ausgeglichene Staatshaushalte mehr Schaden anrichten als Gutes tun.

Vergeblich. Solange die deutsche Wirtschaft brummte, gab es an den Grundsätzen des Ordoliberalismus nichts zu rütteln. «Wir haben es mit der Agenda 2010 vorgemacht, am deutschen Wesen soll Euroland genesen», lautete die stereotype Antwort Berlins auf die Eurokrise. Die Folge war eine verheerende Austeritätspolitik, die eine rasche Erholung aus der Grossen Rezession verhindert hat.

ARCHIV --- Teile eines VW Passat werden am 9. Maerz 2018 im Karosseriewerk im Volkswagen Werk Emden, Deutschland, von Robotern zusammengefuegt. (zu dpa "Volkswagen-Kernmarke will bis zu 7000 Stel ...
Ein VW-Passat wird zusammengeschweisst.Bild: DPA

Doch nun hat es Deutschland selbst erwischt. Bereits im zweiten Halbjahr 2018 ist die Wirtschaft nur knapp einer Rezession entronnen. Im zweiten Quartal ist das Bruttoinlandprodukt (BIP) wieder 0,1 Prozent geschrumpft. Die Industrieproduktion ist gar um 5,2 Prozent eingebrochen.

Carsten Brzeski, Chefökonom der Bank ING, erklärt gegenüber der «Financial Times»: «Die aktuellen BIP-Zahlen markieren das Ende der goldenen Ära der deutschen Wirtschaft. Der Druck auf die Regierung wird zunehmen.»

Grund für den Abschwung ist die lahmende Autoindustrie. Das hat verheerende Folgen: «Der Standort Deutschland ist in hohem Masse von der Autoindustrie abhängig, stellen die beiden Accenture-Berater Frank Riemensperger und Svenjy Falk in ihrem Buch «Titelverteidiger» fest.

VW, BMW, Mercedes & Co. haben zwischen 2007 und 2017 fast 60 Prozent des Gesamtwachstums der Top-50-Unternehmen erwirtschaftet. Rund 800’000 Arbeitsplätze sind direkt oder indirekt mit der Autoindustrie verbunden.

Der schwelende Handelskrieg zwischen den USA und China und die durch den neuen Protektionismus hervorgerufene allgemeine Verunsicherung setzen der Autoindustrie zu. Gleichzeitig haben sich die deutschen Hersteller mit dem Dieselskandal selbst in Verruf gebracht. Dazu kommt, dass sie die Entwicklung des Elektroautos lange verschlafen haben und heute bei der Batterietechnologie und der Software im Rückstand liegen.

Bisher haben Dienstleistungen und der Binnenkonsum ein Absacken der Wirtschaft verhindern können. Doch die Aussichten sind ernüchternd: Das Stimmungsbarometer der Finanzfachleute befindet sich auf dem tiefsten Stand seit 2011.

Die Prognosen für die Zukunft sind ebenfalls düster. Es droht ein No-Deal-Brexit und eine italienische Regierungskrise. Beides ist Gift für den Exportweltmeister, und die Mittel aus der Hausapotheke der schwäbischen Hausfrau sind dagegen machtlos.

Deutschland muss endlich seinen unseligen Export- und Sparwahn überwinden. Gelegenheit dazu bietet die Klimaerwärmung. Eine Version eines Green New Deals drängt sich geradezu auf, denn die deutsche Infrastruktur hat eine Generalüberholung dringend nötig.

Eine ökologische Rundum-Erneuerung würde nicht nur der Umwelt gut tun. Sie würde eine drohende Massenarbeitslosigkeit verhindern und die Saga der schwäbischen Hausfrau dorthin befördern, wo sie hingehört: ins Reich der Märchen.

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55 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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DerTaran
14.08.2019 17:49registriert Oktober 2015
Spare in der Zeit, so hast du in der Not.

Deutschland, hat jetzt zumindest Geld zum ausgeben.
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Chriguchris
14.08.2019 18:34registriert November 2018
Also,
Sparwut = ausgeglichenes Budget
Sparwut = nicht mehr ausgeben als man hat/einnimmt
Sparwut = Schulden abbauen
Sparwut = ein ausgeglichenes Budget
Sparwut = einen gesunden Umgang mit Geld
haben meine Eltern mir dann alles verkehrt beigebracht?
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Le_Urmel
14.08.2019 17:51registriert Juni 2014
Also Herr Löpfe, also soll Deutschland das machen was die USA, China, Italien usw. machen?

Schulden ausweiten bis zum Exzess?

Wie lange soll das System funktionieren?

Zur Zeit hat jeder Bundesbürger eine pro Kopfverschuldung von 24.000€. Dies bedeutet diese Summe wurde von jemanden geliehen. ich denke, dass der Schuldner auch irgendwann sein Geld wieder haben will. In guten Zeiten soll für die schlechten sparen und eine Minirezession kein nicht der Grund sein die Geldschleussen zu öffnen.
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