Der Kampf zwischen Privatinvestoren und der Wall Street um die GameStop-Aktie erreicht neue Dimensionen. Als neue Konfliktparteien platzieren sich Medien und Trading-Plattformen. Und der Liebling aller Hobbytrader steht unter Verdacht, falsch zu spielen. Aber alles der Reihe nach.
Der Krieg beginnt, als der finanzkräftige Hedge Fonds Melvin Capital Management aus New York im April 2020 eine enorme Summe darauf wettet, dass die Videospiele-Ladenkette GameStop dem Untergang geweiht ist. Wenig später schliesst sich Citron Research dieser Position an. Das Finanzinstrument dafür lautet «Short». Die Aktie von GameStop ist noch drei Dollar wert.
Diese Short-Position zieht den Unmut einiger Privatinvestoren des Investment-Forums Wallstreetbets auf Reddit auf sich. Wallstreetbets ist für seine rüde Sprache und den unkonventionellen Ansatz im Umgang mit Wertpapieren berüchtigt. Enorme Verluste werden genauso gefeiert wie Gewinne. Die Forumsteilnehmer nennen sich selber Entartete – pflegen aber das Motto «we love the/this stock».
Einige Teilnehmer geben sich bewusst als Vertreter des kleinen Mannes oder der kleinen Frau, die unter Konkursen leiden, während die Wall Street damit Geld verdient. Shorts sind ihnen ein Gräuel – genauso wie die New-Yorker-Geldelite. Ihre bevorzugte Trading-App heisst denn auch entsprechend: Robinhood.
Widerstand formiert sich und die Privatanleger von Wallstreetbets kaufen, zum Teil hohe Verluste riskierend, Optionen und Aktien des einstigen Videospiele-Giganten für welchen viele der Gen-X-Investoren nostalgische Gefühle hegen. Endgültig Druck im Kessel herrscht, als Citron Research die Privatanleger auf Twitter als Trottel bezeichnet.
Die Solidarität unter den Privatanlegern steigt immer mehr – und damit auch der Kurs. Betrug dieser im April noch knapp drei Dollar, sind es jetzt bereits fast 20 Dollar.
Der Preis explodiert. Citron Research muss seine Positionen mit hohen Verlusten aufgeben. Nach eigenen Angaben betrug der Rückkaufpreis im Schnitt 90 Dollar. Auch Melvin Capital erwischt es. Die New Yorker benötigen ein 2,75 Milliarden schweres Rettungspaket, um nicht in Schieflage zu geraten. Beide Gesellschaften behaupten, keine Short-Positionen mehr offen zu haben. Wichtig in diesem Zusammenhang: Melvin erhält das Rettungspaket von zwei anderen Hedge Fonds. Einer davon heisst Citadel LLC. Einen Namen, den man sich merken sollte.
Die Anzahl der Mitglieder in Wallstreetbets hat sich in der Zwischenzeit von zwei auf über vier Millionen verdoppelt. Auf CNBC, dem führenden Wirtschaftssender in den USA, fordern Wall-Street-Experten eine Untersuchung – und versuchen das bisher belächelte Phänomen Wallstreetbets einzuordnen. Es könne doch nicht sein, dass gelangweilte Arbeitslose und Studenten mit einer orchestrierten Operation einen Hedge-Fonds zur Strecke bringen. Die Rede ist von Börsenmanipulation – durch die Internetgemeinschaft.
Auch das renommierte «Wall Street Journal» versucht, für die Millionen von Wallstreetbetter ein Etikett zu finden. Es handle sich vor allem um Alt-Rightler. Wer das Forum schon länger frequentiert, weiss vor allem zwei Dinge: Der Etikettenansatz funktioniert bei einer derart heterogenen Gruppe nicht, und Politik wird nur äusserst selten bis nie diskutiert.
Derweil erhalten die Wallstreetbetter prominente Unterstützer: Elon Musk zündelt mit. Auch verschiedene Milliardäre (Mark Cuban, Chamath Palihapitiya) stellen sich auf die Seite der Privatanleger.
Wenige Stunden nachdem das «Wall Street Journal» den Rechtsextremen-Vorwurf publizierte, krebst es mit einer öffentlichen Korrektur zurück.
Auf Wallstreetbets wollen einige User anhand der Handelsvolumen festgestellt haben, dass Melvin seine Short-Positionen noch gar nicht aufgelöst haben kann. Die User werden aufgerufen, den Aktienkurs von mittlerweile 340 Dollar weiter zu stärken.
Vorbörslich steigt der Kurs von GameStop phasenweise um weitere 50% auf fast 500 Dollar. Die Trading-Plattform Robinhood gibt bekannt, keine Optionen für GameStop (GME) anzubieten. Man möge doch die tatsächliche Aktie kaufen. Als die Börse auch den privaten Händlern öffnet, ist der Aufschrei gross. Liebkind Robinhood hat auch den Kauf der Aktie gesperrt. Bereits offene Positionen können aber geschlossen werden. Damit kann der Preis der Aktie fast nur noch sinken.
Auch andere Trading-Plattformen ziehen nach. Das in Europa beliebte eToro hat zuerst Probleme, dem Massenansturm gerecht zu werden. Danach wird der Handel mit GameStop komplett beendet. Später wird GME-Haltern das Beenden ihrer Position ermöglicht, der Kauf aber nicht mehr. Ähnlich gehen diverse Online-Händler weltweit vor. Später trifft es andere Lieblinge der Wallstreetbetter mit Einschränkungen: Nokia, Black Berry, Bed Bath & Beyond, Naked, Koss, AMC ...
Auf Wallstreetbets ist die Hölle los. Der Wikipediaeintrag von Robinhood wird kurzzeitig manipuliert, die App in den Stores mit 1-Stern-Bewertungen bombardiert. Die Politik schaltet sich ein. Die Kongressabgeordnete Rashida Tlaib (Dem, Michigan) fordert auf Twitter eine Anhörung durch das United States House Committee on Financial Services. Sie vermutet Marktmanipulation.
Der Manipulationsvorwurf wird weiter gestützt. Findige Wallstreetbetter haben herausgefunden, dass über die Hälfte der Aufträge von Robinhood ausgerechnet über das Hochfrequenz-Handelssystem von Citadel abgewickelt werden.
Zur Erinnerung: Citadel half Melvin Capital mit einer Finanzspritze und ist dort nun Minderheitseigner. Citadel LLC soll, kurz bevor die Kaufmöglichkeiten von GME gestoppt wurden, mit Shorts auf einen Kursrückgang gewettet haben – behauptet Investor und Rechtsspezialist Justin Kan.
Just got a tip that Citadel reloaded their shorts before they told Robinhood to stop trading $GME.
— Justin Kan (@justinkan) January 28, 2021
If this is true, Ken Griffin and the Robinhood founders should be in jail.
This is class warfare.
Gegen Robinhood wird im Southern District of New York Klage eingereicht. Weil das Bedürfnis derart gross ist, wird daraus eine Sammelklage.
Der prominente Wallstreetbets-User «DeepFuckingValue» publiziert ein Bild seines Tagesverlustes mit Game-Stop-Positionen: 14,8 Millionen Dollar. Das Forum feiert ihn wie einen König.
To be continued.
Es ist ja nichts anderes als Wetten.
Aber wehe wen die kleinen auch wetten.