Seit Tagen brodelt es in Neukaledonien, dem französischen Überseegebiet im Südpazifik. Demonstranten errichten Barrikaden und Blockaden, sie brandschatzen und besetzten Fabrikareale. Mehrere Sympathisanten der Befreiungsfront der Urbevölkerung (FLNKS) wurden nach Steinwürfen auf die Gendarmen verhaftet.
Ausgelöst wurde der Gewaltausbruch durch den Verkauf einer Nickelmine im Südteil der Insel. Der brasilianische Konzern Vale veräussert ihn am 9. Dezember für einen unbekannten Betrag an ein Konsortium aus kaledonischen Privatleuten und dem Schweizer Rohstoffhändler Trafigura. Betroffen sind 3000 Arbeitsplätze.
Die neuen Besitzer wollen vor allem zwei Rohstoffe abbauen, die derzeit weltweit sehr gefragt sind. Nickel erhöht die Dichte von Batterien und erlaubt damit mehr Autonomie und ein schnelleres Laden; in kleineren Mengen präsent, bremst Kobalt zudem die Überhitzung von Auto- oder Handybatterien.
Trafigura bezeichnet sich als Marktleader im Handel mit batterietauglichem Nickel und hebt in einem Communique hervor, es verschaffe der Südmine «Zugang zu den Weltmärkten». Gegenüber dieser Zeitung spielte eine Sprecherin des Unternehmens in Genf die Bedeutung des Engagementes in Neukeladonien herunter, betonte sie doch, Trafigura halte nur eine «Minderheitsbeteiligung» an dem Übernahmekonsortium.
Der Hintergrund: Nickel ist nicht nur der wichtigste Wirtschaftsfaktor des französischen Archipels östlich des australischen «Korallenmeeres», sondern historischer Teil der Insel-Identität. Die FLNKS, welche die politische und damit auch wirtschaftliche Unabhängigkeit der Insel anstrebt, will verhindern, dass ausländische Unternehmen wie Trafigura die Kontrolle der Minen übernehmen.
Die gewalttätigen Proteste gehören zu einem jahrelangen Kampf um die Loslösung der Insel von Frankreich. Die frankophilen «caldoches», meist Nachfahren der Kolonisatoren, verlieren immer mehr an Boden gegen die Urbevölkerung der «kanaks». In zwei Volksabstimmungen von 2018 und Oktober 2020 haben diese zuerst 43 Prozent, dann 47 Prozent Stimmen für die Unabhängigkeit erhalten; eine dritte und letzte Abstimmung ist in Planung.
Trafigura hält sich aus diesem Zwist so gut wie möglich heraus. Doch die FLNKS, deren «S» für «sozialistisch» steht, wollte zudem einen lokalen, nichtprivaten Käufer. Sie unterstützte deshalb - vergeblich - die staatliche Besitzerin der Nordmine, Sofinor. Diese ist indessen auch mit zwei auswärtigen Konzernen verbunden - Korea Zinc und der Schweizer Glencore.
Damit sind mit einem Mal zwei grosse Schweizer Rohstoffhändler prominent in Neukaledonien engagiert: Trafigura mit 25 Prozent Anteil an der Südmine, Glencore mit 49 Prozent an der Nordmine. Wenn die FLNKS die Übernahme der Südmine durch Trafigura nicht noch verhindern kann, «würde die Schweiz indirekt ein wichtiger Investor in Neukaledonien», kommentiert der Rundfunkkanal Outre-Mer 1ère.
Trafigura (Jahresumsatz 181 Milliarden Dollar im Jahr 2019) und Glencore (215 Mrd.) kennen sich gut; ihr französischer, 2015 verstorbener Gründer Claude Dauphin hatte seine Traderkarriere bei Glencore-Gründer Marc Rich begonnen. In Neukaledonien werden aus den beiden Unternehmen aber direkte Konkurrenten: Die ortsansässige Glencore-Partnerin Sofinor wirft den neuen Südminen-Besitzern um Trafigura «fünf Lügen» vor. Das heizte die Krawalle zusätzlich an. Diese Woche griffen Unbekannte das Firmenareal im Süden erneut an. Zur Sicherheit wurde es evakuiert.
Am Donnerstag verlangten auch bürgerliche Lokalpolitiker die Vestaatlichung der Südmine, damit sie nicht in die Hände eines Privatkonzern gelange. Im 18 000 Kilometer entfernten Paris hat die Regierung aber bisher nur einen «Appell zur Ruhe» erlassen. In der neukaledonischen Hauptstadt Nouvéa sind am Wochenende über 20'000 besorgte Bürger - bei 270'000 Inselbewohnern - auf die Strasse gegangen, um für den Frieden auf der malerischen Insel zu demonstrieren.
Der Konflikt wird aber zweifellos weiterschwelen, solange die Frage der Unabhängigkeit nicht geklärt ist. Der Pariser Rohstoffexperte Pierre Chalmin erklärte, Trafigura habe offenbar «starke Nerven, in das kaledonische Sumpfloch zu investieren». Immerhin attestiert er dem Konzern eine ethischere Haltung als noch während der Affäre des nach Afrika abgeschobenen Müllschiffs «Probo Koala» im Jahr 2006. «Trafigura ist einer der transparentesten Rohstoffhändler geworden, etwas, was sich von Glencore nicht sagen lässt», urteilte Chalmin in Paris.
Akademisch ist heute die Frage, ob die Konzernverantwortungsinitiative auf die Proteste in Neukaledonien anwendbar gewesen wäre. Die Antwort fiele zweifellos negativ aus: Die Kritik der FLNKS richtet sich nicht gegen die Aktivität von Trafigura, sondern bloss gegen ihren Status als private und «ausländische» Firma. (aargauerzeitung.ch)