Lorenz Erni ist im Urteil vieler Juristen der beste Strafverteidiger der Schweiz. Der 68-jährige Staranwalt steht an der Seite des ehemaligen Raiffeisen-Chefs Pierin Vincenz, der von der Zürcher Staatsanwaltschaft der ungetreuen Geschäftsbesorgung verdächtigt wird und seit mehren Tagen in Untersuchungshaft sitzt. Ernis Hauptwidersacher ist der 13 Jahre jüngere Marc Jean-Richard-dit-Bressel, seit zehn Jahren Abteilungsleiter in der Zürcher Staatsanwaltschaft III für schwere Wirtschaftsdelikte, promovierter (summa cum laude) und seit drei Jahren auch habilitierter Strafrechtsexperte und leitender Staatsanwalt im Fall Vincenz.
Das Duell zwischen den beiden hat bereits begonnen, obschon noch offen ist, ob die laufende Strafuntersuchung überhaupt zu einer Anklage führen wird. Ein Beobachter sieht Jean-Richard-dit-Bressel sieben Tage nach der offiziellen Eröffnung des Strafverfahrens im Vorteil. Erni sei es nicht gelungen, Vincenz vor einer Untersuchungshaft zu bewahren, stellt der Strafverteidiger fest.
Zwar folgen die zuständigen Richter für solche Zwangsmassnahmen oft den Anträgen der Staatsanwaltschaft, weshalb Vincenz’ Überführung von der anfänglichen Polizeihaft in die Untersuchungshaft eigentlich keine Überraschung darstellt. Doch der Insider glaubt, es wäre möglich gewesen, den Richter davon zu überzeugen, dass nach dem mehrmonatigen Vorspiel, das Ende Februar zu Vincenz’ Verhaftung führte, eigentlich keine Verdunkelungsgefahr mehr bestanden hätte.
Die Zürcher Staatsanwaltschaft eröffnete das Strafverfahren vier Monate nachdem die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) bereits aufsichtsrechtliche Verfahren gegen Raiffeisen und gegen Vincenz persönlich eröffnet hatte. Dem Banker hätte nach dieser Auffassung längst klar sein müssen, dass er allfällige belastende Beweise aus der Welt schaffen und sich mit mutmasslichen Mittätern in geeigneter Weise absprechen sollte. Gegen diese Sicht spricht indessen Vincenz’ eigene Reaktion, der vor Wochenfrist auf die in seinem Haus vorgenommene polizeiliche Durchsuchung «schockiert» und gänzlich überrascht reagierte.
So oder werde das spektakuläre Vorgehen der Behörden gegen Vincenz fast zwangsläufig eine Anklage nach sich ziehen müssen, glaubt der Beobachter. Ein Rückzieher der Staatsanwaltschaft sei mit Blick auf den inzwischen vollständig ruinierten Ruf Vincenz’ und seines näheren Umfeldes nur noch schwer vorstellbar und müsste als derbe Niederlage für die Staatsanwaltschaft gewertet werden.
Aber wie wäre die Ausgangslage eines solchen Prozesses, der vermutlich als grösster Wirtschaftsfall seit dem Swissair-Prozess in die Zürcher Justizgeschichte eingehen würde? Der naheliegendste Vergleichsfall ist jener von Dominique Morax.
Vor 15 Jahren hatte sich Morax als Finanzchef der Rentenanstalt (heute: Swiss Life) zusammen mit mehreren Mitgliedern der Konzernleitung eines selbst geschaffenen Anlagevehikels namens Long Term Strategy bedient, um sich auf ungerechtfertigte Weise persönlich zu bereichern. Die Manager kauften LTS-Aktien zum Preis von zehn Franken statt zum effektiven Wert von über 20 Franken, um sie ein Jahr später mit Gewinn zurück an die Rentenanstalt zu verkaufen.
Ähnlich gelagert dürften auch die Vorwürfe an Vincenz und seine mutmasslichen Mittäter aussehen. Auch sie sollen quasi Geschäfte mit sich selber getätigt haben in dem sie sich an Firmen beteiligten, die sie später an Raiffeisen verkauften.
Morax musste für seine Missetat eine bedingte Freiheitsstrafe von 22 Monaten akzeptieren und dem Kanton Zürich mehr als eine Million Franken des unrechtmässigen Gewinns abliefern. Feststellen lässt sich schon heute ohne grosses Risiko, dass auch Vincenz in hohem Mass «unsensibel» gehandelt hatte, wie das auch Morax selber eingestehen musste. Doch im Unterschied zu dem Finanzchef liess sich Vincenz unter anderem mit einem Gutachten des renommierten Zürcher Aktienrechtsspezialisten Peter Forstmoser in seinen Geschäften rechtlich absichern.
So gesehen könnte er möglicherweise mit besseren Karten in eine Gerichtsverhandlung gehen als Morax damals. Vincenz kann im Vergleich zum ehemaligen Versicherungsmanager auch hoffen, dass die Gerichte bei solchen Wirtschaftsfällen wieder etwas weniger hart urteilen wie unmittelbar während und nach der Zeit der Finanzkrise.
Das Justizduell dürfte somit einiges an Spannung versprechen. Jean-Richard-dit-Bressel und Erni waren übrigens schon vor 15 Jahren vor dem Zürcher Bezirksgericht in einer Direktbegegnung aufeinandergetroffen. Erni ging dabei mit seinem Klienten Martin Ebner als klarer Sieger hervor.
Jean-Richard-dit-Bressel musste sich vom Richter sagen lassen, dass es in dem Fall um ein vermutetes Insiderdelikt des Schwyzer Financiers mit Pirelli-Aktien besser nicht zu einem Prozess hätte kommen lassen sollen. Die Anklage habe den Beweis in mehreren Punkten nicht führen können, kritisierte der damalige Bezirksrichter Sebastian Aeppli.
Ebner und Erni feierten einen klaren Sieg: einzig ihr Antrag auf eine höhere Prozesskostenentschädigung über 90 000 Franken statt der gewährten 30 000 Franken fiel beim Richter durch. Es sei nicht Sache des Staates, eine «Luxusverteidigung» zu finanzieren. (aargauerzeitung.ch)