Man kann der NZZ vieles vorwerfen, nicht aber, dass sie nicht durchtränkt sei vom unerschütterlichen Glauben an den deutschen Ordoliberalismus. Freier Markt, ausgeglichene Staatsbudgets und Schuldenbremsen sind die drei Säulenheiligen an der Zürcher Falkenstrasse.
Deshalb lässt es aufhorchen, wenn NZZ-Chefredaktor Eric Gujer zu einer wahren Philippika gegen Berlin anhebt:
Grund für Gujers heiligen Zorn ist Deutschlands Haltung in der Frage der Coronabonds. Worum geht es dabei?
Coronabonds sind eine neue Variante der Eurobonds, Staatsanleihen, für die nicht ein einzelnes Mitglied, sondern die Gemeinschaft der Euroländer haftet.
Der Vorteil der Eurobonds liegt darin, dass alle Euroländer zu gleichen Zinsen an den Kapitalmärkten finanzieren können und die teils happigen Unterschiede verschwinden.
Die Wirkung des Begriffs «Eurobond» ist gleich toxisch wie das Wort «Brexit»: Es teilt Befürworter und Gegner in zwei unversöhnliche Lager. Für die Befürworter sind sie die Voraussetzung für ein wahrhaft geeintes Europa, das den USA und China die Stirne bieten kann. Die Gegner sehen darin einen Trick der faulen Südstaaten, einen Teil ihres Schuldenberges auf die fleissigen Nordstaaten abwälzen zu können.
Auf dem Höhepunkt der Griechenlandkrise tobte die Eurobonds-Schlacht am heftigsten. Die Gegner gingen als Sieger daraus hervor, das Thema wurde vertagt.
Nun jedoch hat das Coronavirus das Thema erstens wieder brandaktuell gemacht und zweitens unter anderen Bedingungen. Zu Recht stellt Gujer fest:
Die Moral spricht eindeutig für Coronabonds, für Solidarität mit den Italienern und Spaniern, die am meisten unter Covid-19 leiden. Auch die wirtschaftliche Vernunft spricht dafür, wie Wolfgang Münchau in der «Financial Times» ausführt:
Ohne ein solches Programm bestehe die reale Gefahr, dass die EU auseinanderbreche, betont Münchau:
Sprechen also nur Geiz und Sturheit der Deutschen gegen die Coronabonds? (Die Deutschen sind übrigens nicht allein, die Holländer und die Österreicher sind fast noch schlimmer.) Nicht ganz? Es gibt einen triftigen sachlichen Grund gegen Eurobonds, und der lautet so:
Souveräne Staaten können Steuern erheben, deshalb sind ihre Anleihen auch sicher und bei den Investoren beliebt. Das jedoch kann die EU nicht. Eurobonds setzen daher voraus, dass die Mitgliedsländer viele ihrer Souveränitätsrechte an Brüssel abtreten.
Lorenzo Bini Smaghi, einst Mitglied der Geschäftsleitung der Europäischen Zentralbank, stellt in der «Financial Times» fest:
Heute und morgen wird daher wohl nichts werden aus den Coronabonds. Das heisst jedoch keineswegs, dass man die Italiener und Spanier hängen lässt. Der Ausweg führt über den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM).
Der ESM ist eine Art Internationaler Währungsfonds (IWF) im Taschenformat. Er dient dazu, Mitgliedern von Euroland aus der Patsche zu helfen, wenn sie ihre Staatsfinanzen nicht mehr im Griff haben. Dazu stehen ihm 400 Milliarden Euro zur Verfügung.
Der ESM hat zwei Nachteile: Er ist zu schwach dotiert, um die Corona-Krise auffangen zu können, und er stigmatisiert, wer bei ihm um Hilfe anklopft. Wie beim IWF werden Kredite nur gegen harte Auflagen und eine teilweise Preisgabe der Souveränität erteilt. Wie erniedrigend das sein kann, davon können die Griechen nicht nur ein Liedchen, sondern ganze Arien singen.
Die Italiener werden es daher niemals akzeptieren, mit dem Hut in der Hand beim ESM anzuklopfen. Daher muss eine Lösung gefunden werden, die es möglich macht, den Italienern via ESM Hilfe zukommen zu lassen, ohne sie dabei zu demütigen.
Eine solche Lösung ist möglich, und sie ist alternativlos. Auch für die Deutschen, wie NZZ-Chef Gujer betont:
Zuerst müsste Europa ein richtiges Konkursrecht für Länderbonds einführen. Dann Eurobonds ausgeben.
2017: Ein Flüchtlings-Verteilungssystem? Nicht mit uns, wir sind Selbstbestimmt.
2018: EU schickt Milliarden für Flüchtlingsunterkünfte und deren Versorgung - Geld versickert in mafiöse und korrupte Strukturen in Italien
2019: Wir schicken sicher nicht mehr Geld nach Brüssel und die EU soll sich gefälligst nicht bei uns einmischen, wir wissen selbst was das Beste für uns ist.
2020: Hilfe, EU, bitte schickt uns Geld und Güter, wir schaffen es nicht selber.
ad infinitum