«Liquidiere die Arbeit, die Aktien, die Farmen und die Immobilien. Säubere das System vom Verfall. Hohe Lebenskosten und luxuriöser Lebenswandel werden verschwinden (…) und Unternehmer das System neu aufbauen.» Diesen Rat hat der amerikanische Finanzminister Andrew Mellon seinem Präsidenten Herbert Hoover erteilt, als sich abzeichnete, dass der Börsencrash von 1929 begann, die reale Wirtschaft zu schwächen.
Hoover ist dem Rat von Mellon gefolgt – und hat die Vereinigten Staaten in die schlimmste Wirtschaftskrise gestürzt, die Grosse Depression.
Mellons Geist lebt weiter. Auch heute warnen wieder namhafte Ökonomen vor einer «Zombie-Ökonomie» und empfehlen eine leicht verwässerte Version der Mellonschen Rezepte: Keine staatlichen Hilfen für Unternehmen und schon gar keine grosszügigen Subventionen für Arbeitslose. Das fördere nur Faulheit und Müssiggang.
Die Warner vor der Zombie-Wirtschaft stützen sich gerne auf den Begriff «kreative Zerstörung». Geprägt hat ihn der Ökonom Joseph Schumpeter und gemeint ist damit, dass Unternehmen, die nicht mehr im freien Markt bestehen, keine Daseinsberechtigung mehr haben.
In normalen Zeiten hat die «kreative Zerstörung» ihre Berechtigung. Neue Technologien führen dazu, dass selbst einst mächtige Unternehmen obsolet werden. Ein Ereignis wie die Coronakrise ist jedoch nicht damit vergleichbar. Es trifft schockartig die gesamte Volkswirtschaft.
Um einen Kollaps des gesamten Systems wie in der Dreissigerjahren zu verhindern, muss der Staat daher rasch und grosszügig eingreifen. Das anerkennt auch Thomas Fuster, Wirtschaftsredaktor bei der NZZ. Trotzdem warnte er kürzlich unter dem Titel «Achtung vor der Zombie-Ökonomie» vor zu grosszügigen Subventionen:
Mit anderen Worten: Fuster befürchtet, dass die Zombie-Wirtschaft zur Vorstufe einer Entwicklung wird, die NZZ-Chefredaktor Eric Gujer schon vor Monaten als «Seuchen-Sozialismus» bezeichnet hat.
Als warnendes Beispiel einer Zombie-Wirtschaft wird regelmässig Japan genannt. Auch Fuster malt das Gespenst einer Wirtschaft an die Wand, in der wegen grosszügigen staatlichen Subventionen Innovationskraft und Produktivität zu lahmen beginnen. «Eine solche Entwicklung ist in Japan ansatzweise erkennbar», schreibt er. Leider unterlässt er es, Fakten für diese Behauptung anzuführen.
Was ist in Japan passiert? So wie Ende der 1920er-Jahre in den USA eine riesige Spekulationsblase platzte, zerbarst Ende der 1980-er Jahre eine noch viel grössere Aktien- und Immobilienblase. Der japanische Finanzminister hiess jedoch nicht Andrew Mellon, und er riet seinem Premierminister auch nicht, alles zu liquidieren. Im Gegenteil: Die japanische Regierung hielt ihre Banken an, in Not geratene Unternehmen über Wasser zu halten.
Die volkswirtschaftliche Begründung für dieses Vorgehens lieferte Richard Koo, der Chefökonom der Nomura-Bank. Der international renommierte Volkswirt hat schon vor Jahren in mehreren Büchern schlüssig erklärt, weshalb massive Staatshilfe keineswegs in eine Zombie-Wirtschaft münden.
Koo sollte Recht bekommen: Japan ist heute keineswegs ein von Sklerose geplagtes Land. Obwohl es die älteste Bevölkerung aller Nationen aufweist und obwohl diese Bevölkerung schrumpft, ist die japanische Volkswirtschaft nach wie vor die drittgrösste der Welt. Das Pro-Kopf-Einkommen der Erwerbstätige steigt immer noch stetig, und wer die Japaner als technologisch zurückgeblieben bezeichnet, ist noch nie in Tokio gewesen.
Was das Staatsdefizit betrifft: Mit bald 300 Prozent des Bruttoinlandprodukts ist Japan für westliche Verhältnisse astronomisch hoch verschuldet. Doch die Japaner geraten deswegen keineswegs in Panik. Sie haben auch keinen Grund dazu: Mehr als die Hälfte dieser Schulden hat inzwischen die Bank of Japan aufgekauft. Bankrott gehen daher einzig die unverdrossenen Spekulanten, die immer wieder auf eine japanische Staatspleite setzen.
Hohe Staatsschulden hat auch China. Im Westen gibt man sich daher gerne einer Illusion hin, die der «Economist» kürzlich wie folgt zusammengefasst hat:
Diese Einschätzung ist zwar simpel und verständlich. Sie hat aber einen schweren Makel: Sie hat nichts mit der Realität zu tun. Die chinesische Wirtschaft steht derzeit sehr solide da. Nochmals der «Economist»:
Natürlich besteht die Gefahr, dass die Coronahilfe von einigen schwarzen Schafen missbraucht wird. Doch wer angesichts des gewaltigen Schocks, den die Pandemie ausgelöst hat, bereits von einer «volkswirtschaftlichen Sklerose» spricht, handelt fahrlässig. In der Schweiz zeichnet sich zudem ab, dass die Staatshilfen rund die Hälfte weniger kosten werden als ursprünglich befürchtet. Gemäss Berechnungen der CS-Ökonomen werden sie sich nicht auf rund 30, sondern bloss auf rund 16 Milliarden Franken belaufen.
Die wahre Gefahr droht nicht von einer eingebildeten Zombie-Wirtschaft. Wirklich gefährlich sind die untoten Warner vor eben dieser Zombie-Wirtschaft.
Das ist wohl neben dem Mythos um „zu hohe Staatsverschuldung“ der zweite grosse Mythos unter Hobbyökonomen, die im letzten Jahrhundert stecken geblieben sind. Ich kenne absolut keinen Menschen, der nicht einer sinnvollen und erfüllenden Arbeit nachgehen möchte. Das Bild der Hängematte ist nicht nur falsch, es ist auch menschenverachtend! Helfen wir doch den Leuten auf eigenen Beinen stehen zu können, statt sie dafür zu bestrafen, dass ein externer Schock ihre Arbeit wegnahm.
„...dass Unternehmen, die nicht mehr im freien Markt bestehen, keine Daseinsberechtigung mehr haben“
Spätestens ab dieser Aussage wird‘s absurd. Was seit Februar/März passiert ist hat absolut gar nichts mit dem freien Markt zu tun. Die Politik hat ganze Wirtschaftszweige unter Zwang geschlossen und zwei Monate später je nach Kraft der Lobbyorganisation wiedereröffnet. Die Situation ist politisch verursacht! Definitiv keine Frage der (freien) Wirtschaft!