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Sechs Gründe, warum das Inflationsgespenst zurück ist

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Sechs Gründe, warum das Inflationsgespenst zurück ist

15.12.2020, 10:2116.12.2020, 06:58
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Der Präsident der US-Notenbank, Jay Powell, hat kürzlich eine neue Geldpolitik verkündet. Die Fed könne gut mit einer Inflation von über zwei Prozent leben und denke keineswegs daran, ihre Politik der tiefen Zinsen in absehbarer Zeit zu ändern, so Powell.

Seither herrscht Aufruhr unter Investoren und Ökonomen. Der grösste Vermögensverwalter der Welt, BlackRock, warnt seine Kunden vor einem kurzfristigen Teuerungsschub. Der «Economist» fragt in seiner aktuellen Titelstory besorgt: «Will Inflation return?», und die Zunft der Ökonomen diskutiert derweil ein Buch, das genau dieses Szenario in Aussicht stellt.

FILE - In this July 31, 2019, file photo, Federal Reserve Chairman Jerome Powell speaks during a news conference following a two-day Federal Open Market Committee meeting in Washington. President Dona ...
Hat keine Angst vor der Inflation: Jay Powell, Präsident der US-Notenbank.Bild: AP

Dabei schien die Inflationsfrage gegessen. Wer unter 50 Jahre alt und in unseren Breitengraden aufgewachsen ist, kennt sie ohnehin nur vom Hörensagen. Seit den Neunzigerjahren hat es in den Industriestaaten keinen nennenswerten Inflationsschub mehr gegeben.

Konservative Ökonomen haben zwar unablässig und ängstlich nach dem Hyperinflations-Wolf Ausschau gehalten. Doch der böse Wolf hat sich nie blicken lassen. Die Warner haben sich blamiert, und für Ökonomiestudenten sind Begriffe wie Zweitrunden-Effekt und Kerninflation zu Fremdwörtern geworden.

Die Zentralbanker haben die Inflation nur teilweise in die Knie gezwungen. Sie haben zwar mit einer grausamen Geldpolitik – mit einer mittels hohen Leitzinsen hervorgerufenen künstlichen Rezession – mitgeholfen, die Teuerung zu zähmen. Weit wirksamer war jedoch die Globalisierung. Durch die Öffnung der Märkte in China und den ehemals kommunistischen Ländern in Osteuropa wurde über Nacht ein riesiges neues Arbeiterheer geschaffen. Gewerkschaften hatten mit ihren Forderungen nach Lohnerhöhungen keine Chance mehr.

Doch nun kündet sich möglicherweise eine neue Ära an, in der Inflation wieder mehr als eine theoretische Option wird. Dafür gibt es sechs Gründe, drei kurz- und drei langfristige Gründe. Hier sind sie:

Boom nach der Coronakrise

Die Coronakrise war für alle, die weder ihren Job verloren noch auf Kurzarbeit gesetzt wurden, ein gewaltiges Zwangs-Spar-Programm. Teure Diners und kostspielige Ferien im Ausland waren 2020 ein No-Go. Dank dem medizinischen Quantensprung in Sachen Impfen, sieht es nun so aus, als ob wir im Frühjahr zumindest einen Teil dieses Geldes werden ausgeben können. Unklar ist jedoch, ob die Wirtschaft diese sprunghaft ansteigende Nachfrage auch bewältigen kann.

Damit könnte genau die Situation entstehen, die Milton Friedman als typische für die Inflation definiert hat: Zu viel Geld jagt zu wenig Güter und Dienstleistungen. Und das wiederum lässt die Preise in die Höhe schiessen.

Schwacher Dollar

Die USA haben im Frühjahr mit einem 3-Billionen-Dollar-Hilfspaket ihre Wirtschaft über Wasser gehalten. Noch in dieser Woche soll ein 900-Milliarden-Dollar-Paket nachgereicht werden. Finanziert wird das Ganze durch die Fed, will heissen, de facto mit der Druckerpresse.

Das alles hat das Vertrauen in den Greenback nicht wirklich gestärkt. Der Dollarkurs ist in den Keller gerasselt. Weil jedoch die meisten Rohstoffe immer noch in der amerikanischen Währung abgerechnet werden, werden sich die Rohstoffhändler mit steigenden Preisen für die entgangenen Kursverluste entschädigen wollen und damit die Teuerung antreiben.

Sorglose Politiker und Banker

In den letzten drei Jahrzehnten hat die Inflation – zumindest in den Industriestaaten – nur in den Köpfen von konservativen Ökonomen stattgefunden. In der Schweiz beispielsweise leben wir seit ein paar Jahren gar mit einer leichten Deflation, in Japan kämpft die Zentralbank gar seit Jahrzehnten gegen dieses Übel an.

Das hat dazu geführt, dass sich bei Politikern und Zentralbankern eine gewisse Sorglosigkeit breitgemacht hat. Inflationswarnungen werden mit einem wissenden Lächeln zu Seite geschoben. Das könnte zu einem Ketchup-Flaschen-Effekt führen. Will heissen: Die Teuerung könnte auf einen Schlag herausplatzen und den ganzen Tisch versauen. Sie dann wieder in die Flasche zurückstopfen zu wollen, dürfte nicht ganz einfach werden.

So weit die kurzfristigen Szenarien. Weit gefährlicher sind jedoch die langfristigen Trends, die sich abzeichnen.

«Kaltes» wird zu «heissem» Geld

Es gibt zwar nur eine Hunderternote, aber es gibt zwei Arten von Geld: Das Geld, das die Zentralbanken drucken, und das Geld, das die privaten Banken mittels Kredite schaffen. Die Summe dieser beiden bildet die Geldmenge, die sich im Umlauf befindet.

Nach der Finanzkrise sind die Kredite der privaten Banken zurückgegangen. Um ein Absacken der Wirtschaft zu verhindern, haben die Notenbanken dies mit einer Erhöhung des Zentralbankengeldes kompensiert, vor allem mit dem Mittel des Quantitativen Easing. Sie haben im grossen Stil Staatsanleihen, aber auch Wertpapiere von Unternehmen aufgekauft und so viel neues Geld in Umlauf gebracht.

Der grösste Teil des Zentralbankengeldes liegt jedoch untätig im Finanzsystem und wird deshalb auch «kaltes» Geld genannt. Sollten die Ökonomen Recht behalten und sollte sich die Wirtschaft im kommenden Jahr nachhaltig erholen, dann könnte sich dieses kalte Geld rasch erhitzen und zu «heissem» Geld werden. Das heisst konkret: Die Banken erteilen wieder Kredite. Zusammen mit dem Zentralbankengeld bläht sich daher die Geldmenge auf – und die Inflationsspirale beginnt zu drehen.

Die Globalisierung schlägt zurück

Wie erwähnt wurde die Inflation vor allem deshalb gezähmt, weil dank der Globalisierung Milliarden von neuen Arbeitskräften auf den Jobmarkt kamen. Die Klimaerwärmung, die neue Rivalität der USA und China und jetzt die Coronakrise haben einen starken Gegentrend hervorgerufen. Globale Supply Chains sind out, dezentrale und regionale Versorgungsketten sind in.

Gleichzeitig wird die Bevölkerung in den Industriestaaten und in China immer älter. In Afrika und in Teilen von Asien gibt es zwar jede Menge junge Menschen. Anders als China verfügen diese Länder jedoch nicht über die nötigen Produktionsstätten. Junge Männer aus diesen Ländern als Arbeitskräfte ins eigene Land zu holen, ist politisch unmöglich geworden.

Anti-Globalisierung und die demographische Entwicklung werden eine neue Inflationswelle bewirken. Das zumindest sagen Charles Goodhart und Manoj Pradhan in ihrem Buch «The Great Demographic Reversal», ein Buch, das derzeit von der Fachwelt intensiv diskutiert wird.

Der wachsende Staatsschuldenberg

Zuerst die Finanz- und jetzt die Coronakrise haben dazu geführt, dass sich die Staaten im grossen Stil verschulden mussten. «Inflation wäre ein bequemer Weg, den Stress auf die Staatskassen abzubauen», stellt der «Economist» fest. Mit einer harten Geldpolitik könnten dies die Zentralbanker verhindern, doch es ist fraglich, ob sie es tun werden. Der Druck auf die Zentralbanker ist heute schon gross und dürfte sich noch verstärken. Deren viel gepriesene Unabhängigkeit ist in Gefahr, zumal ihre Hauptwaffe gegen die Inflation, die Erhöhung der Leitzinsen, für die Staatskasse katastrophale Folgen hätte.

Ist damit der nächste Inflationsschub vorprogrammiert? Müssen wir uns also schleunigst nach Alternativen zum Franken umsehen? Einer, der davon überzeugt ist, ist der Schweizer Kryptowährungs-Pionier Marc Bernegger. In seiner Kolumne im Magazin «Schweizer Monat» warnt er vor einer kommenden Hyperinflation und empfiehlt als Alternative zu den klassischen Währungen das «digitale Gold». «Ich bin persönlich davon überzeugt, dass Bitcoin und andere digitale Vermögenswerte von den aktuellen und in ihren langfristigen Folgen dramatischen Entwicklungen nur profitieren können», so Bernegger.

Bitoin ist wieder gefragt. (Archivbild)
Soll man sich mit Bitcoin vor der Inflation schützen?Bild: KEYSTONE

Doch Vorsicht. Der Bitcoin-Kurs schwankt nach wie vor stärker als eine Pappel im Sturm. Zudem stammt die Theorie der Kryptowährungen aus der ökonomischen Steinzeit, und es ist keineswegs klar, wie damit eine moderne Wirtschaft gesteuert werden soll.

Eine kommende Inflation ist somit keineswegs eine beschlossene Sache. Sollte Corona tatsächlich besiegt werden, ist wohl ein kurzer Teuerungsschub denkbar. Doch Vieles spricht gegen eine neue Inflations-Ära. So ist nicht sicher, ob die in der Coronakrise vernichteten Jobs zurückkehren werden. Viele Unternehmen haben entdeckt, dass ein Teil davon gar nicht mehr nötig sein wird.

Dazu kommt, dass sich die Digitalisierung und künstliche Intelligenz allmählich zu einem Jobkiller entwickeln. Solange das Damoklesschwert der Arbeitslosigkeit über der Wirtschaft schwebt, hat die Inflation keine Chance.

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88 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Liberty-Or-Death
15.12.2020 11:07registriert Dezember 2020
Auch hier gilt: Das Geld in sichere Werte umschichten:
Gold, Kinder, Alkohol
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E7#9
15.12.2020 12:13registriert Dezember 2019
@Löpfe: Im Artikel vom 21.10. zur Idee des Helikoptergeldes von jeweils CHF 7‘500.— schrieben Sie noch: „...in Europa und auch in der Schweiz warnen geldpolitische Hardliner vor einer NICHT VORHANDENEN Inflationsgefahr.“
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chrissy_dieb
15.12.2020 10:40registriert Januar 2020
Zuerst ein Kompliment: Der Autor wandelt sich zu einem sauber-sachlichen Analysator - sehr gut.

Und jetzt zwei Kritikpunkte:
1. "Sorglose Politiker und Banker" Auch der hiesige Author meinte vor 2 Monaten erst noch, das Warnungen in den Wind zu setzen sind: "In Europa und auch in der Schweiz warnen geldpolitische Hardliner vor einer nicht vorhandenen Inflationsgefahr."[1]
2. Wird "Hyperinflation" inflationär gebraucht. Wir sprechen von 3-10% p.a. Inflation, nicht von 50% pro Monat.

[1] www.watson.ch/wirtschaft/schweiz/172410005-7500-chf-weshalb-helikopter-geld-keine-bloede-idee-ist
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