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Sind die rassistischen Attacken des Präsidenten Ausdruck politischer Ohnmacht? Oder sind sie ein raffinierter Schachzug gegen die Demokraten?
Dass die Attacken auf die sogenannte «Squad» – die vier farbigen Abgeordneten Ilhan Omar, Alexandria Ocasio-Cortez, Ayanna Pressley und Rashida Tlaib – rassistisch gemeint waren, ist offensichtlich. Unklar ist, weshalb Trump zur Rassismus-Keule gegriffen hat. Es gibt dafür zwei diametral entgegengesetzte Erklärungen:
Die Wahlen sind noch 16 Monate entfernt, doch der Wahlkampf hat bereits Fahrt aufgenommen. Trump hat dabei nicht besonders gute Karten. Obwohl die Wirtschaft brummt, dümpeln seine Zustimmungswerte nach wie vor zwischen 40 und 45 Prozent, ein lausiger Wert.
Schlimmer noch: Alle führenden Demokraten schlagen Trump im direkten Vergleich deutlich, Joe Biden liegt gar mit neun Prozentpunkten vorne.
Die «Squad» in Aktion: Rashida Tlaib, Ilhan Omar, Alexandria Ocasio-Cortez und Ayanna Pressley (von links nach rechts). Bild: AP
Das hat gute Gründe: Trump hat kaum politische Erfolge vorzuweisen. Er konnte Obamacare nicht abschaffen und hat auch keine Alternative dazu. Seine Steuerreform ist beim Mittelstand unbeliebt. Die Mauer an der Grenze zu Mexiko beschäftigt die Gerichte, aber keine Bauarbeiter. Die Situation an der Grenze ist chaotisch und menschenunwürdig.
Wird nun doch an einem Hearing aussagen: Sonderermittlern Robert Mueller. Bild: AP
Auch die dunkle Russlandwolke hängt nach wie vor über dem Präsidenten. Voraussichtlich am nächsten Mittwoch wird Robert Mueller vor dem Justizausschuss des Abgeordnetenhauses öffentlich aussagen. Die Gefahr, dass dabei Trumps gebetsmühlenartige Unschuldsbeteuerung («no collusion, no obstruction») ins Wanken gerät, ist gross.
Gerät Trump in Bedrängnis, greift er zum Smartphone und setzt Dutzende von Tweets ab. «Man kann bloss ahnen, was für ein Mix von Enttäuschungen den Präsidenten dazu angetrieben hat, die Tirade vom Sonntag vom Stapel zu lassen», kommentiert die «New York Times».
Das Ziel hat Trump damit erreicht: Seit Tagen sind die rassistischen Attacken das Thema Nummer eins in den USA.
Nach der Niederlage von Mitt Romney gegen Barack Obama gingen die Republikaner über die Bücher und kamen zum Schluss: Wenn wir uns nicht mit den Schwarzen und den Hispanics versöhnen, werden wir nie mehr eine Wahl gewinnen. Zu eindeutig ist der Trend der Bevölkerungsentwicklung.
Hat gegen Obama verloren: Mitt Romney. Bild: EPA/EPA
Donald Trump war dies schnurzpiepegal. Er tat genau das Gegenteil, schürte eine rassistische Birther-Kampagne (die Behauptung, Obama sei nicht in den USA geboren worden) gegen Obama – und gewann.
2020 will er ganz offensichtlich mit dem gleichen Rezept wiedergewählt werden. So stellt die «New York Times» fest: «Mr. Trump hat niemals Interesse bekundet, alle Amerikaner auf seine Seite zu ziehen. Er tut alles, um die Gräben in der Gesellschaft zu vertiefen, indem er seine Gegner zur Weissglut treibt.»
Die Attacke gegen die «Squad» entspricht genau diesem Muster. Trump hat sich auf farbige Frauen eingeschossen, die alle eine progressive Politik vertreten. Er weiss, dass diese vier Frauen bei den gemässigten Demokraten umstritten und bei den unabhängigen Wählern unbeliebt sind.
Im Gleichklang mit Fox News und rechtsradikalen Radiotalkmastern wie Rush Limbaugh unternimmt Trump alles, die vier Frauen als heimliche Anführerinnen der Demokraten darzustellen. Täglich bleuen Sean Hannity & Co. ihren Zuschauern ein, Nancy Pelosi sei bloss auf dem Papier die Chefin der Demokraten. Die wahre Macht liege bei der «Squad», und wer sich dieser Macht nicht füge, werde niedergemacht.
Mit den Angriffen auf Ocasio-Cortez & Co. will Trump die Demokraten dazu zwingen, sich hinter die «Squad» zu stellen und so den Eindruck erwecken, dass tatsächlich die jungen Frauen das Sagen bei den Demokraten haben und die USA in ein «sozialistisches Venezuela» zu verwandeln suchen.
Demonstrantin vergleicht Trump mit Hitler. Bild: EPA
Auf diese Weise will Trump nicht nur seine Basis hinter sich scharen. Er will damit auch die unabhängigen Wähler, vor allem die mittelständischen Frauen in den Vorstädten, dazu bringen, ihre Abneigung gegen ihn zu überwinden und ihm – als kleinerem Übel – ihre Stimme zu geben.
Mit der Wahl von Barack Obama schien es, als ob die USA endlich im Begriff seien, sich aus dem Rassismus-Sumpf zu befreien. Trump hat diese Illusion gründlich zerstört. Rassenhass und Identitätspolitik werden den Wahlkampf 2020 dominieren – und er dürfte einer der hässlichsten der amerikanischen Geschichte werden.