Namhafte Historiker wie Anne Applebaum, Timothy Snyder oder die ehemalige Aussenministerin Madeleine Albright warnen seit dem Amtsantritt von Donald Trump davor, dass der Faschismus in den USA ein Comeback erleben könnte.
Sie tun dies mit guten Gründen: Trump versucht alles, um den Rechtsstaat und die Demokratie auszuhebeln. Er verunglimpft Institutionen wie das FBI und die CIA. Er hat den Justizminister zu seinem persönlichen Anwalt mutiert und er bezeichnet kritische Journalisten als «Feinde des Volkes».
Trump teilt zudem einige Charakterzüge mit Hitler. Er ist nicht nur extrem narzisstisch. Wie der «Führer» ist er auch ein Hypochonder, verachtet Intellektuelle, hat keinerlei Humor, ist bewegungsfaul und arbeitsscheu. Die Ähnlichkeit von seinem wichtigsten persönlichen Mitarbeiter Stephen Miller zu Josef Goebbels ist zudem unübersehbar.
Die Ereignisse der letzten Wochen haben jedoch gezeigt, dass der Faschismus-Vergleich zumindest verfrüht ist. Was sich derzeit in den USA abspielt, hat wenig Ähnlichkeit mit den Ereignissen in Deutschland in den Dreissigerjahren. Es ist vielmehr ein groteskes Schauspiel, wie es weder Salvador Dalí hätte malen noch Friedrich Dürrenmatt sich hätte ausdenken können.
Das zeigt eine Rekapitulation der Ukraine-Affäre: Trump setzt die frisch gewählte ukrainische Regierung unter Druck, um einerseits seinen gefährlichsten Rivalen bei den kommenden Wahlen ausser Gefecht zu setzen und andererseits eine längst widerlegte These neu zu beleben, wonach die Ukraine versucht habe, die Wahlen 2016 zugunsten von Hillary Clinton zu beeinflussen.
Ein Whistleblower lässt diesen Plan auffliegen. Selbst die Republikaner sind zunächst verunsichert und wollen den Kopf des Präsidenten retten, indem sie sagen, das sei zwar dumm gelaufen, aber es reiche nicht für ein Amtsenthebungsverfahren.
Nun zeigt sich, dass Trump nicht zufällig im Weissen Haus sitzt. Jeder andere hätte versucht, die Spuren zu verwischen und zu verharmlosen. Nicht so Trump: Er veröffentlicht eine Transkription des Telefongesprächs mit Wolodymyr Selenskyj, dem Präsidenten der Ukraine, und behauptet seelenruhig, es sei «perfekt» gewesen.
Das Telefongespräch ist alles andere als «perfekt». Es ist vielmehr ein klares Schuldgeständnis, wie allein das inzwischen legendäre Zitat zeigt, in dem Trump Selenskyj auffordert: «Ich möchte aber, dass Sie uns einen Gefallen erweisen…» (I’d like you to do us a favour, though…)
Die Juden verwenden für solch unverfrorenes Vorgehen den Ausdruck «Chuzpe». Was Trump hier macht, ist Chuzpe auf Stelzen. Er legt ein Bekennerschreiben vor und behauptet gleichzeitig, die Tat, zu der er sich bekennt, habe gar nicht stattgefunden.
Und er kommt damit durch: Die Republikaner wollen nun plötzlich ebenfalls kein Fehlverhalten mehr gesehen haben, obwohl in den Hearings ein von Trump selbst eingesetzter Botschafter und mehrere, über jeden Zweifel erhabene Diplomaten genau das Gegenteil aussagen.
Mit anderen Worten, Trump ist es gelungen, die Abgeordneten und Senatoren der Grand Old Party (GOP) dazu zu zwingen, zu behaupten, zwei plus zwei sei fünf und diesen Schwachsinn durch alle Böden hindurch zu verteidigen.
Mehr noch: Sie sehen Trump nicht mehr als Täter, sondern als Opfer einer teuflischen Verschwörung der Demokraten. Sie steigern sich dabei in eine wahre Hysterie. Am Tag des Impeachments im Repräsentantenhauses geht ein Mitglied der GOP gar so weit, die Anklage gegen Trump mit der Kreuzigung von Jesus Christus zu vergleichen.
Nicht weniger absurd geht es auf den Wahlkampfveranstaltungen Trumps zu. Seine Fans skandieren: «Read the transcript» und bekennen gleichzeitig fröhlich, selbst davon keine Zeile gelesen zu haben.
Trump selbst mäandert derweil in seiner mehr als eine Stunde dauernden Rede von einem vor Selbstmitleid triefenden Punkt zum nächsten. Gelegentlich lässt er gar seine loyalsten Fans ratlos zurück, etwa wenn behauptet, man müsse wegen Wasserbeschränkung das Klo zehn Mal spülen, oder wenn er vor explodieren Abwaschmaschinen warnt.
Die Aufmärsche der Nazis waren einst streng organisierte Anlässe, begleitet von einer Choreographie mit Fahnen, Fackeln und Uniformen. Trumps Wahlkampf-Veranstaltungen hingegen sind eine Art ausser Kontrolle geratene Bierzelt-Partys, groteske Karnevals, wie sie gelegentlich in dystopischen Sci-Fi-Filmen zu sehen sind.
Trump verspricht auch kein tausendjähriges Reich – er philosophiert über die Klospülung. Er ist kein Führer – er jammert über die Medien und die Demokraten. Aber er hat es geschafft, die politische Realität so vernebeln, dass intelligente und einst vielleicht sogar ehrenwerte Frauen und Männer aus Überzeugung behaupten, zwei und zwei ergäben fünf.
Was Trump erreicht hat ist komisch und furchterregend zugleich – und es wird kein gutes Ende nehmen.