Eigentlich wollte Donald Trump schon zu Ostern den Lockdown wieder aufheben, «die Kirchen voll packen» und die Wirtschaft wieder in Gang bringen. Daraus wurde nichts. Nun will der Präsident spätestens am 1. Mai zumindest teilweise zur Normalität zurückkehren.
Zu diesem Zwecke hat er eine weitere Taskforce ins Leben gerufen mit dem hochtrabenden Titel «Great American Economic Revival Industry Group». Von dieser Gruppe hochrangiger Wirtschaftsführer erhofft sich Trump Rückendeckung für sein Vorhaben.
«Heute habe ich mit den Führern der renommiertesten Unternehmen und Organisationen unseres Landes gesprochen, um abzuklären, wie wir die amerikanische Wirtschaft wieder zum Laufen bringen», erklärte der Präsident vollmundig an der gestrigen Pressekonferenz und betonte: «Wir wollen unser Land wieder öffnen.»
Einmal mehr verkündete Trump heisse Luft: Viele der Wirtschaftsführer wussten gar nichts von ihrem Glück. Andere ärgerten sich, dass der Stab des Weissen Hauses nicht einmal in der Lage war, ihre Namen korrekt zu buchstabieren – und alle überbrachten dem Präsidenten die ernüchternde Botschaft: Wir haben viel zu wenig Tests, um den Lockdown aufzuheben.
Obwohl Trump gebetsmühlenartig wiederholt «wir haben die besten Tests», ist die Situation desolat. Das Onlineportal Politico meldet, dass die Anzahl der Tests rückläufig und die Labors überlastet seien. Nur wer Symptome von Covid-19 aufweist, hat überhaupt eine Chance, getestet zu werden und muss dafür stunden-, ja tagelang in einer Autokolonne ausharren.
Dabei ist der Bedarf riesig: Gouverneur Andrew Cuomo sagt, dass allein in der Stadt New York über 30 Millionen Tests notwendig wären.
Arbeiten nicht getestete Angestellte auf engem Raum zusammen, kann das katastrophale Folgen haben. Das zeigt das Beispiel einer Fleischverabeitungsfabrik in der Stadt Sioux Falls im Bundesstaat South Dakota. Dort sind innert kürzester Zeit mehr als 600 Menschen an Covid-19 erkrankt. Einige sind inzwischen verstorben.
Die Fabrik musste geschlossen werden. Sioux Falls gilt als neuer Hotspot der Coronakrise. Trotzdem weigert sich die Gouverneurin Kristi Noem, ein Hardline-Trump-Fan, die überfälligen Lockdown-Regeln in Kraft zu setzen.
Inzwischen sind mehr als 20 Millionen Amerikaner arbeitslos. Trump weiss, dass sich dies verhängnisvoll für seine Wiederwahl auswirken kann, selbst wenn er durchgedrückt hat, dass sein Name auf den staatlichen Checks steht, die jetzt verteilt werden. Mit zwei Strategien versucht er daher, von seinem eigenen Versagen abzulenken. Zum einen drischt er auf die Weltgesundheitsorganisation WHO und China ein.
Der Präsident hat angeordnet, die amerikanischen Zahlungen an die WHO einzustellen, obwohl nicht einmal klar ist, ob er das überhaupt kann. Das dürfte ihn wenig kümmern. Es geht einzig darum, seiner Basis «frisches Fleisch» zum Frass vorzuwerfen. Eine internationale Organisation an den Pranger zu stellen, funktioniert dabei immer.
Die WHO ist keineswegs über jeden Zweifel erhaben. Sie ist, wie alle Verwaltungen, manchmal wenig effektiv, und Trump ist nicht der Einzige, der ihr zu grosse Nähe zu China vorwirft. Doch mitten in einer Pandemie die WHO zu kastrieren, ist idiotisch. Nicholas Kristof beschreibt es in der «New York Times» wie folgt:
Bill Gates ergänzt:
Wie immer führt Trump die Angriffe auf China in enger Kooperation mit seinem Propagandasender Fox News durch. Diesmal handelt es sich um eine neue Version der These, wonach das Virus aus einem Biolabor in Wuhan entwichen sei. Neu ist, dass es sich nun nicht mehr die Folge eines militärischen Versuchs handle, sondern um einen Unfall.
Der chinesischen Regierung wird nun vorgeworfen, sie habe diesen Unfall viel zu lange verschwiegen und so dazu beigetragen, dass sich das Virus global ausbreiten konnte.
Gleichzeitig versucht Trump, die Gouverneure der einzelnen Bundesstaaten, vor allem die demokratischen, in Bedrängnis zu bringen. Er verfolgt dabei eine perfide Doppelstrategie: Einerseits behauptet er fälschlicherweise, er habe die «absolute Macht», ihnen vorzuschreiben, wann und wie sie den Lockdown aufzuheben hätten.
Gleichzeitig jedoch schiebt er die Verantwortung auf eben diese Gouverneure ab und schützt sie nicht gegen Angriffe auf den von ihm empfohlenen Lockdown.
So haben Trump-Fans in Lansing, der Hauptstadt des Bundesstaates Michigan, im Tea-Party-Stil gegen die Politik der Gouverneurin Gretchen Whitmer demonstriert. Trump hatte sie zuvor in Tweets heftig attackiert.
Die Gouverneure greifen derweil zur Selbsthilfe und beginnen, ihre Politik gegenseitig abzustimmen. Es gibt dabei eine Ostgruppe (Delaware, New Jersey, New York, Connecticut, Rhode Island und Massachusetts) und eine Westgruppe (Kalifornien, Washington, Oregon und Nevada).
Ob Angriffe auf WHO und China oder die Teile-und-herrsche-Politik gegenüber den Gouverneuren, all dies kann nicht von den harten Fakten ablenken. Und die sind: Die USA haben weltweit die meisten Infizierten – über 600’000, und die meisten Toten – über 30’000.
Damit geht oftmals der Verlust der Krankenversicherung einher, nicht nur für den einzelnen sondern die ganze Familie. Für ein Land mit solch ungenügenden sozialen Auffangnetzen, ist die Aufhebung im Mai alternativlos. Ansonsten kommt es zur sozialen Katastrophe, die ebenfalls gesundheitliche Folgen hat!