Roger Federer kommt im Sommer 2003 so richtig in der Weltspitze an. Den ersten Grand-Slam-Titel gewinnt er in Wimbledon. Rund einen Monat später bietet sich ihm die erste Chance, Weltnummer 1 zu werden. Im Direktduell mit Andy Roddick könnte er im Halbfinal von Montreal den Thron erklimmen. Ein Sieg würde reichen. Nach einem 4:6 und 6:3 führt der Schweizer im Entscheidungssatz 4:2, verliert aber mit 6:7 im Tiebreak. Der Amerikaner gewinnt den Titel und bleibt die Nummer 1.
Vorerst zumindest. Denn Federer bleibt «A-Rod» auch dank dem Sieg im Masters (heute World Tour Finals) auf den Fersen. Beim Australian Open kommt es so zum Dreikampf um die Topposition. Neben Federer und Roddick hat auch Juan Carlos Ferrero die Möglichkeit. Der Vorteil liegt beim Schweizer, der mit einem Sieg uneinholbar ist.
Roddick verabschiedet sich im Viertelfinal mit dem Aus gegen Marat Safin aus dem Dreikampf. Es bleiben Ferrero und Federer. Der Zufall will es, dass die beiden den Platz auf dem Tennis-Thron im Halbfinal ausmarchen. 16'000 Fans in der Rod Laver Arena erwarten einen Thriller. Aber Federer hat keine Lust dazu. Er fertigt den angeschlagenen Spanier glatt mit 6:4, 6:1, 6:4 ab und ist um 21.20 Uhr Ortszeit offiziell der beste Tennisspieler der Gegenwart.
Das tennishistorische Ereignis kommentiert er überlegt: «Im Moment nach dem Matchball überkam mich ein wunderbares Gefühl. Nummer 1 der Welt, davon habe ich geträumt – wie vom Wimbledonsieg. Jetzt habe ich beides geschafft und bin für die ganze Arbeit belohnt worden.»
TV-Interviewer John McEnroe fragt: «Du wirkst so cool auf dem Platz: Du hast wohl überhaupt keine Nerven?» Federers Antwort: «Mein Pokerface täuscht, es ist überhaupt nicht so, dass ich nicht nervös war vor diesem Halbfinal – und schon gar nicht bei den Matchbällen.» Aber das ist jetzt alles egal: Später schickt er auch noch einen Gruss in die Heimat: «Dort werden jetzt wahrscheinlich alle ausflippen. Erst der Sieg der Alinghi, dann die EM-Qualifikation der Fussballer – und jetzt auch noch ich auf Platz 1 der Welt. Das ist unfassbar.»
Federer will noch nicht gross feiern: «Ich werde diesen Meilenstein im kleinen Kreis sicher etwas feiern, aber dann gilt meine Konzentration wieder ganz dem Final vom Sonntag. Denn wenn ich den zweiten Grand-Slam-Titel verpasse, dann ärgert mich das fürchterlich – auch als Nummer 1.» Federer muss sich nicht ärgern: Er lässt Marat Safin beim 7:6, 6:4, 6:2 keinen Stich.
Safin ist die dritte ehemalige Weltnummer 1 (nach Ferrero und Hewitt), welche Federer in diesem Turnier bezwingt. Dazu kommt der Sieg gegen den ehemaligen Angstgegner David Nalbandian. Es war ein durch und durch überragender Auftritt Federers.
Tatsächlich bedeutet der Erfolg des 22-Jährigen für die Schweiz den Eintritt in eine neue Sphäre. Als erst fünfte Nation nach den USA, Spanien, Deutschland und der ehemaligen Tschechoslowakei hat man bei den Frauen und Männern nun mindestens eine Nummer 1 gestellt. Jüngster König wird Federer (22 Jahre 5 Monate) nicht, diese Bestmarke hält Lleyton Hewitt mit 20 Jahren 8 Monaten.
2033 Tage nach seinem Profidebüt am 8. Juli 1998 in Gstaad steht der Baselbieter zuoberst von rund 60 Millionen Tennisspielern in 200 Ländern. 2001 setzte er mit dem Sieg gegen Pete Sampras in Wimbledon ein erstes Ausrufezeichen, als er die Siegesserie des Amerikaners nach 31 Siegen beendet. Der Major-Titel in Wimbledon 2003 war dann definitiv der Startschuss zur grössten Tenniskarriere aller Zeiten.
Alle sind sich einig, dass der Schweizer der kompletteste Spieler der Tour ist und verdient zuoberst steht. Doch jetzt ändert sich etwas: «Ich bin jetzt derjenige, den es zu schlagen gibt.» Niemand konnte da ahnen, dass der Schweizer unbeschreibliche 237 Wochen bis am 18. August 2008 zuoberst bleiben wird. Er pulverisiert damit den Rekord von Jimmy Connors (160 Wochen). Aktuell steht Federer bei 310 Wochen als König, auch das ein Rekord.