SVP

«Das macht man doch diskret und redet nicht darüber»

Bild
Wenn eidgenössische Politik in Sotschi zum Thema wird

«Das macht man doch diskret und redet nicht darüber»

Das «Ja» zur SVP-Einwanderungs-Initiative provoziert Reaktionen in den höchsten IOC-Kreisen. Aber nur inoffiziell. Die Athleten schweigen unisono.
11.02.2014, 07:2211.02.2014, 08:28
Folge mir
Mehr «SVP»

Wer jetzt in Sotschi in den olympischen Unterkünften unter unseren Olympia-Helden eine aussagekräftige Meinungsumfrage zur SVP-Einwanderungsinitiative machen möchte, wird nicht weit kommen: Die Athletinnen und Athleten verpflichten sich durch Unterschrift zur Einhaltung der olympischen Gesetze. Darin ist unter anderem jede Form von politischer Propaganda untersagt.

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold

Das wäre allerdings nicht einmal notwendig: Früh wird den Sportlerinnen und Sportlern in allen Ländern auch in Medientrainings beigebracht, politische Äusserungen zu meiden wie der Teufel das geweihte Wasser. Offiziell mag daher in Sotschi niemand das «Ja» zur SVP-Initiative kommentieren. Sport ist in seiner offiziellen Definition längst unpolitisch geworden. Das ist sowieso besser fürs Geschäft. Viele Gralshüter des olympischen Sportes missbilligen sogar den Medaillenspiegel als unolympischen Chauvinismus.

Gian Gilli mit Skifahrerin Abderhalden.
Gian Gilli mit Skifahrerin Abderhalden.Bild: KEYSTONE

Der Versuch eines vorwitzigen Zaungastes, Olympia-General Gian Gilli mit dem Spruch «Die Schweiz hat gewonnen!» zu einem Kommentar zu provozieren, scheitert. Gian Gilli, durch viele Stürme politisch längst wetterfest geworden, sagt nur leichthin: «Ein überraschendes Resultat», aber er kommentiere den Ausgang der Abstimmung weiter nicht. Ja, ja, er sei Schweizer. «Aber wir sind ja alle auch Europäer...» Er sagt, die Abstimmung sei unter den Athleten schon kurz thematisiert worden. Mehr von den Welschen als von den Deutschschweizern. «Aber nur am Rande.»

«Spinnt ihr eigentlich?»

Aber es gibt hier in Sotschi auch hohe Herren, die gerade heraus sagen, wie es wirklich ist. Beispielsweise Dr. Beat Villiger, in Sotschi ein höchstrangiger Doping-Funktionär. Er sitzt mit den IOC-Generälen seit Jahrzehnten bei Sommer- und Winterspielen zu Tisch. Der begabte Kommunikator erzählt watson: «Am Montag beim Frühstück hat es nur ein Thema gegeben: Unsere Volksabstimmung».

Und, wie sind die Reaktionen in den hohen IOC-Kreisen? Schliesslich hat das IOC seinen Sitz in Lausanne. «Negativ. Fast alle haben mir gesagt: Spinnt ihr eigentlich?»

Beat Villiger ist bei Olympia ein gefragter Mann.
Beat Villiger ist bei Olympia ein gefragter Mann.Bild: Keystone

Aber es ist offenbar nicht einfach so, dass in den höchsten Sportfunktionärskreisen der Welt das Resultat der Abstimmung für Verstimmung und Kopfschütteln sorgt. Dr. Beat Villiger präzisiert: «Ein britischer Vertreter hat mir gratuliert und gesagt: ‹Cool, jetzt können wir daran denken, aus der EU auszutreten.› Kritisiert wird vor allem, dass wir daraus so ein Theater gemacht haben, und die Botschaft einer limitierten Einwanderung um die ganze Welt schicken. Deshalb heisst es: Spinnt ihr, ausgerechnet als Tourismus-Land solche Signale in die Welt hinauszusenden?»

Weltbild der Funktionäre eher konservativ

Dr. Beat Villiger sagt, er habe in den hohen IOC-Funktionärskreisen keine generelle Ablehnung einer Einwanderungsregelung herausgehört. «Viele sagen: Einwanderung zu begrenzen ist selbstverständlich. Aber das macht man doch diskret, redet nicht darüber und posaunt es nicht noch in alle Welt hinaus.»

Die Beobachtungen von Dr. Beat Villiger dürften schon richtig sein: Das Weltbild sehr vieler hoher Sportfunktionäre ist eher konservativ. Nur reden sie öffentlich nie darüber. Es scheint, dass vielen IOC-Würdenträgern die direkte Demokratie und eine offene Diskussion über politische Themen, wie sie bei uns zum politischen Alltag gehört, eher fremd ist. Weil sehr viele aus Ländern kommen, die nicht unsere demokratische Kultur haben.

Adolf Ogi bei seiner Ankunft in Sotschi.
Adolf Ogi bei seiner Ankunft in Sotschi.Bild: Keystone

Auch Altbundesrat Ogi schweigt

Altbundesrat Adolf Ogi (72) ist hier in Sotschi vom Abstimmungsresultat überrascht worden. «Ich ging davon aus, dass es knapp werden könnte. Aber das Ja hat mich doch überrascht.» Er mag dieses «Ja» gegenüber watson nicht weiter kommentieren oder gar dramatisieren. Nun müsse eben der Bundesrat so schnell wie möglich und mit gesundem Selbstvertrauen mit Brüssel verhandeln. «Die Situation ist ähnlich wie damals nach dem EWR-Nein im Dezember 1992. Ich bin gleich danach Bundespräsident geworden und reiste bereits im Februar 1993 nach Davos ans WEF und habe wohl 25 Staatschefs unsere direkte Demokratie erklärt. Das Verständnis für unsere Situation war gross.»

Der SVP-Politiker im Ruhestand ist am Montagabend wieder in die Schweiz zurückgereist. Sein nächster Termin: Am Freitag wird am UNO-Sitz in Genf die englische Übersetzung seiner Biographie («So wa(h)r es» von Georges Wüthrich) offiziell vorgestellt. Der Titel heisst jetzt «Statesman - Sportsman». Adolf Ogi dürfte der erste Bundesrat sein, dessen Geschichte in die Weltsprache Englisch übersetzt wird. 

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Themen
Das könnte dich auch noch interessieren:
0 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!