Nichts Neues zu Beginn des Montagmorgens. Der Temporär-Fussballfan beginnt den Tag auf der Arbeit mit den Nachwehen des Wochenendes, trinkt drei Tassen Kaffee und rettet sich dadurch irgendwie in den Mittag.
Doch dann passiert es. Ein wenig Zeit, endlich die Social-Media-Kanäle abzuklappern und der Temporär-Fusballfan stösst auf Twitter, Facebook oder Instagram auf folgenden Post:
Just three days to go 👍👌🙌 #worldcup #russia2018 pic.twitter.com/qVy9WivjSW
— BBC Sport (@BBCSport) 11. Juni 2018
Die Realisierung ist eingetroffen. Diese Woche beginnt die WM! OMG. Weil die Mittagspause allerdings nicht reicht, sich genügend Halbwissen anzueignen, um damit die Arbeitskollegen zu beeindrucken, holt er dies am Abend nach.
Danach ist er – und jetzt beginnt das Drama – gewappnet für den Dienstag.
Nun ist der Temporär-Fussballfan ready. Mit einem selbstbewussten Grinsen betritt er am Dienstagmorgen das Büro und «ellbögelt» gleich den ersten Kollegen, der doch dreimal in der Woche Fussball spielt: «Endlich WM, so geil. Ich bin ja gespannt, wie die Schweiz abschneiden wird. Aber dieser Seferovic, was hat der noch in der Nati zu suchen gopfertammi?»
📂 1 Week
— BetVictor (@BetVictor) 7. Juni 2018
└📂 7 Days
└📂 168 Hours
└📂 10,080 Minutes
└📂 604,800 Seconds
└📂 Football experts everywhere
The #WorldCup is exactly one week away! pic.twitter.com/ldFpoZViFB
Der Temporär-Fussballfan kommt von Minute zu Minute besser in Fahrt. Während des Mittags und in den Pausen nutzt er die Sprechlücken anderer gekonnt aus, um mit einem mega spannenden und total neuen Fakt ins Gespräch zu kommen. Und natürlich markiert er dich danach auf Facebook, da ihr ja gerade darüber gesprochen habt.
Uii, schon Mittwoch? Morgen ist es ja bereits soweit. Aber der Temporär-Fussballfan weiss noch gar nicht, wo er das Eröffnungsspiel schauen wird. Dafür weiss er auswendig, in welchen 37'000 Bars das Spiel übertragen wird. Aber alleine will er natürlich nicht gehen. Ganz enttäuscht erklärst du ihm, dass du bereits vor rund vier Jahren abgemacht hast bei deinem besten Kollegen. Zuhause. Mit Bier. Ohne ihn.
Der Mittwoch vergeht. Bis am Abend plötzlich noch die WhatsApp-Nachricht eintrifft: «Hey, wie geht's? Ich habe eine Tippgruppe für die WM auf watson erstellt. Mach doch mit, wär' lustig.» Natürlich machst du mit. Schliesslich bist du ja mutig.
Döö dööö dö dörööö, dööö döö dö dörööötö ...
Die russische Hymne summend, begrüsst der Temporär-Fussballfan die ganze Entourage am Donnerstagmorgen mit einem lauten «Nastrovje!» Endlich WM, yeah. Heute macht er bereits um 16 Uhr Feierabend. Er als «langjähriger Fussballfan» hat natürlich alles Recht dazu.
Aber natürlich ist auch ihm nicht entgangen, dass mit Russland gegen Saudi Arabien das Eröffnungsspiel etwa so spannend ist, wie die Menükarte eines Hot-Dog-Standes. Und sowieso. Was hat die WM eigentlich in Russland zu suchen? Die sind doch eh alle korrupt bei der FIFA. Heieiei.
Das Spiel ist genau so herausgekommen, wie es der Temporär-Fan erwartet hat – egal, wie das Spiel ausgeht. Und die Eröffnungsfeier: WOW. So spektakulär.
Du versuchst ihm zu erklären, dass das ganze «Tam Tam» rund um den Fussball nichts im Stadion verloren hat und wieso das Resultat so nie und nimmer erwartet werden konnte. Nickend stimmt er dir zu und zieht eine Tür weiter. «Hey, hast du gesehen gestern? Was soll das ganze Gedünsel vor dem Spiel? Fussball wollen wir sehen ...»
Der Temporär-Fan, noch voller Begeisterung von der grandiosen Stimmung an der Zürcher Langstrasse mit den sonst immer mühsam lauten Portugiesen und Spaniern, erwacht zuhause. Alles gut. Er bleibt dort. Es ist Samstag. Wir haben frei.
Der Temporär-Fan weiss noch nicht so recht, wie er sich verhalten soll. Endlich spielt die Schweiz, aber «Nati-Bashing» ist ja feng so in Mode, dass man damit auch recht gut ankommt. Er schreibt mal schüchtern in den Gruppenchat: «He Jungs, heute Schweiz-Match, hä?» und wartet mal die Reaktionen ab.
Fürs Public Viewing im Super-Geheimtipp am Zürich Hauptbahnhof hat er mal vorsichtig die Schweiz-Fahne im Rucksack dabei. Man weiss ja nie. Und bei der ersten vergebenen Chance von Seferovic weiss er als erstes: «Ich hab's schon immer gesagt, dieser Seferovic, ein Chancentod! Lieber würde Vlädu mal den Gavranovic spielen lassen. Gopfetammi.»
Du kommst am Montag verkatert, aber super glücklich ins Büro. Die Schweiz hat soeben Brasilien geschlagen und du hast die Nacht durchgemacht. Vom Temporär-Fan fehlt derzeit jede Spur. Du freust dich. Bis er um 11 Uhr doch noch eintrudelt. Zerstört von der langen Nacht. Zu sehr im Elend, um zu reden. Du freust dich wieder.