Die Überraschung in Holland war gross, als Bondscoach Louis van Gaal sein 23-Mann-Kader für die WM bekannt gab. Denn er nominierte mit Terence Kongolo einen Spieler, der selbst in seiner Heimat noch keinen allzu grossen Namen hat. Wie auch? Kongolo ist ja erst 20 Jahre alt.
Am Valentinstag 1994 kommt der Innenverteidiger von Feyenoord Rotterdam auf die Welt. Nicht in Kongo-Kinshasa, wo seine Wurzeln sind und auch nicht in Holland – sondern in Fribourg. «Er könnte auch einen Schweizer Pass haben», sagt seine Mutter Edith Kongolo, «ein Anruf würde genügen. Aber Terence will für Holland spielen.»
Schon fünf Monate nach der Geburt wandert Familie Kongolo weiter, siedelt sich in der holländischen Hafenstadt Rotterdam an. Für Terence Kongolo war deshalb immer klar: Wenn er den Durchbruch schafft, dann will er Länderspiele im Oranje-Dress absolvieren.
Er durchläuft alle holländischen Nachwuchsauswahlen, wird mit der U17 Europameister und erhält am 17. Mai seinen Traum erfüllt. Beim Testländerspiel zwischen Holland und Ecuador läuft er erstmals in der «Elftal» auf, der «richtigen» Nationalmannschaft.
Dabei und bei den Trainings hinterlässt Kongolo auf Trainer van Gaal einen derart guten Eindruck, dass der ihn gleich mit an die WM nimmt – ohne ein einziges Pflichtländerspiel in den Beinen. In den ersten beiden Partien sitzt Kongolo noch auf der Bank.
Doch nun gegen Chile könnte sein märchenhafter Aufstieg der letzten Wochen und Monate weiter gehen. Weil Bruno Martins Indi angeschlagen ist, könnte der junge Linksfuss ihn ersetzen. Holländische Medien rechnen damit, dass Kongolo heute um 18 Uhr in São Paulo zu seinem WM-Debüt kommt – sofern van Gaal nicht sein System umstellt und einen Abwehrspieler weniger einsetzt. Holland und Chile sind bereits für die Achtelfinals qualifiziert, es geht aber noch um den Gruppensieg.
«Er kombiniert das beste aus beiden Welten», beschreibt Mutter Edith ihren Sohn: «Er hat die Physis, die Härte und die Geschwindigkeit eines echten Afrikaners und die Ausbildung eines Holländers.»
Seine Ausbilder bei Feyernoord gaben ihm den Spitznamen «Het Been», «das Bein», angelehnt an seine Ausdauer. «Er war einfach immer überall anzutreffen mit seinen langen Beinen», erinnert sich Gaston Taument, der in den 1990er-Jahren selber in der Oranje-Auswahl stand.
«Terence hat eigentlich alles, was ein guter Verteidiger haben muss, er ist ein kompletter Spieler», lobt ihn Taument. Neben dem Platz sei er eine echte Frohnatur, ergänzt sein Teamkollege bei Feyenoord, Tonny Vilhena: «Terence ist immer gut drauf. In der Kabine klopft er stets Sprüche.»
Nach der WM wird Terence Kongolo wieder für Feyenoord spielen, wo er noch einen Vertrag bis Ende nächster Saison hat. Und dann? Ab nach England? Sein 16-jähriger Bruder Rodney, offenbar das noch grössere Talent, wird ab Sommer beim englischen Meister Manchester City weiter ausgebildet, die Mutter und der zweite Bruder Fidel gehen mit auf die Insel.
Bestimmt gehört die Premier League auch zu den sportlichen Zielen von Terence Kongolo. Er sagt, er sei von seinen Qualitäten überzeugt, «aber ich muss noch viel lernen, um einer von Europas Topverteidigern zu werden.»
Mit 20 Jahren hat Terence Kongolo noch Zeit. Der Holländer, der vielleicht die Lösung des Schweizer Innenverteidigungsproblems geworden wäre, wenn seine Familie nicht kurz nach der Geburt in ein anderes Land gezogen wäre.