Seinen ersten grossen Auftritt bei dieser WM versemmelt Lionel Messi schon vor dem Anpfiff gegen Bosnien-Herzegowina. Er, der sonst die Fussballfans rund um den Globus reihenweise in Verzückung versetzt, bricht in den Katakomben des legendären Maracanã einem Einlaufbub das Herz. Der Dreikäsehoch wittert den Moment seines Lebens und stürmt in Erwartung auf ein Handshake mit seinem grossen Idol heran. Doch Messi ignoriert den aufgeregten Knirps einfach und geht grusslos vorbei. Hat er ihn nicht gesehen? Kaum – schliesslich sind die Beiden fast auf gleicher Augenhöhe. Einfach fies!
Bei seiner dritten WM-Teilnahme will der Zauberfloh endlich auch in der argentinischen Nationalmannschaft beweisen, dass er wohl der grossartigste Fussballer seines Landes seit Diego Maradona ist. 2006 hatte er als 18-jähriger Debütant einmal getroffen, 2010 wurde zum Albtraum – jetzt will er mit einer starken Endrunde die für seine Verhältnisse fast schon verkorkste Saison mit Barcelona doch noch zum Guten wenden.
Gegen Bosnien-Herzegowina startet dieses Unterfangen vielversprechend. Sead Kolasinac spediert eine Freistossflanke von Messi bereits nach drei Minuten unglücklich ins eigene Netz. Doch diese Pace kann Argentiniens Nummer zehn nicht lange halten. Als Schiedsrichter Joel Antonio Aguilar Chicas aus El Salvador beim Stand von 1:0 zur Pause pfeift, blickt Messi auf eine insgesamt sehr diskrete erste Halbzeit zurück.
In der zweiten Halbzeit steigert sich Messi deutlich und krönt seine Leistung in der 65. Minute mit einem Kunstwerk. Kurz zuvor hatte er noch einen Freistoss in die Wolken gehauen, doch bei diesem Angriff passt einfach alles: Nach einem Steilzuspiel auf Gonzalo Higuian stürmt Messi in den freien Raum und erhält den Ball zurück. In atemberaubender Manier tanzt er entlang der Strafraumgrenze gleich drei Bosnier aus und schliesst mit einem präzisen Linksschuss via Innenpfosten ab.
Es ist deutlich zu sehen, welch ein riesiger Stein Argentiniens Hoffnungsträger nach seinem ersten WM-Tor seit acht Jahren vom Herzen fällt. Er jubelt völlig hemmungslos und spielt sich in den folgenden Minuten in einen kleinen Rausch.
Weil der Anschlusstreffer der kämpferischen Bosnier durch Ibisevic zu spät erfolgt, kann sich Messi am Ende seines ersten WM-Auftritts in Brasilien als Matchwinner feiern lassen. Auch seine Statistiken können sich sehen lassen – zumindest auf den ersten Blick: 97 Mal war die Nummer zehn am Ball, nur der Mittelfeldkollege Javier Mascherano hatte mit 112 mehr Kontakte. Vier der zwölf argentinischen Torschüsse gab Messi ab – und er war an beiden Toren entscheidend beteiligt.
Erst bei genauerem Hinsehen wird auch auf dem Statistikblatt ersichtlich, dass der Zauberfloh noch mächtig Luft nach oben hat: Die Quote seiner erfolgreichen Pässe liegt am Ende bei mageren 80 Prozent. Jeder fünfte Ball landete beim Gegner – Verteidiger Marcos Rojo ist mit 78,6 Prozent als einziger Spieler aus Argentiniens Startformation noch schlechter. Der Teamdurchschnitt liegt mit 90,2 Prozent deutlich höher.
Messis Laufdistanz fällt mit 8,6 Kilometern in 94 Minuten unterdurchschnittlich aus. Immerhin hat er sich von 4,0 Kilometern in der ersten Halbzeit auf 4,6 in der Zweiten gesteigert. Auch 22 seiner 32 Sprints liess sich Messi in der zweiten Hälfte notieren und seine Topspeedmarke konnte er von 24,3 auf 28,8 Stundenkilometer erhöhen.
Messis Steigerung hat wohl auch mit der Systemumstellung zu tun, welche Trainer Sabella in der zweiten Halbzeit vorgenommen hat. Der argentinische Coach reduzierte die Verteidigungsreihe von fünf auf vier Spieler und brachte Higuain als zweiten echten Stürmer.
Für diese Taktik machte sich nach dem Schlusspfiff auch Matchwinner Messi stark: «Das Beste war heute das Ergebnis. Erst in der zweiten Hälfte wurde es besser. So müssen wir unbedingt weiterspielen.» Wenn dieses Vorhaben gelingt, dann könnte diese WM trotz des Stotterstarts doch noch zu derjenigen des grossen Lionel Messi werden. Und vielleicht bekommt der kleine verschmähte Ballbub aus den Katakomben dabei auch noch eine zweite Chance.