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Unvergessen

Der HSV stolpert 2009 im Derby gegen Werder Bremen über eine Papierkugel

Gleich kommt es zu einem Zwischenfall, der im Nordderby heute noch Thema ist.
Gleich kommt es zu einem Zwischenfall, der im Nordderby heute noch Thema ist.bild: premiere
Unvergessen

Der HSV stolpert im Derby gegen Bremen über diese Papierkugel

7. Mai 2009: Der Zufall will es, dass die Erzrivalen Hamburger SV und Werder Bremen innert 19 Tagen gleich vier Mal gegeneinander spielen müssen. In Erinnerung bleibt vom Pokal-Halbfinal, den Halbfinals im UEFA-Cup und der Bundesliga-Partie besonders eine kuriose Szene.
07.05.2023, 00:0107.05.2023, 13:20
Ralf Meile
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Der Fussball ganz im Norden erlebt am Ende der Nuller-Jahre eine erfolgreiche Zeit. Der Hamburger SV ist ein Bundesliga-Spitzenteam, das regelmässig europäisch spielt. Er hat alle Chancen auf den ersten Meistertitel seit 1983. Werder Bremen ist noch erfolgreicher, der Rivale wird in den sechs Saisons zwischen 2004 und 2009 Meister, zwei Mal Zweiter und zwei Mal Dritter.

Mit diesen Voraussetzungen geht es zwischen dem 22. April und dem 10. Mai 2009 in aussergewöhnliche Derby-Wochen. Im DFB-Pokal, im UEFA-Cup und in der Bundesliga kommt es innerhalb von 19 Tagen gleich zu vier Begegnungen. Werder-Trainer Thomas Schaaf meint, man müsse aufpassen, nicht den Überblick zu verlieren, in welchem Wettbewerb man gerade gegen den HSV spiele.

Provokateur wird zum Matchwinner

Die Serie beginnt mit dem Halbfinal im DFB-Pokal. In Hamburg bringt Per Mertesacker die Bremer früh in Führung, nach Ivica Olics Ausgleich in der 67. Minute kommt es zu einer Verlängerung. Beide Goalies halten grossartig, Frank Rost im HSV-Tor ebenso wie sein Gegenüber Tim Wiese. Im Penaltyschiessen wehrt der Muskelprotz drei Versuche der Hamburger ab, Werder fährt nach Berlin.

Das Elfmeterschiessen in voller Länge.Video: YouTube/hansgleiter

Später kassiert Wiese eine Busse von 8000 Euro, weil er nach dem Spiel auf den Zaun vor dem eigenen Fanblock klettert und «Scheiss HSV!» in ein Megaphon brüllt.

Team Bremen celebrates after the German Soccer Cup, DFB-Pokal, semifinal match between Hamburger SV and Werder Bremen in Hamburg, northern Germany, Wednesday, April 22, 2009. (AP (AP Photo/Axel Heimke ...
Berlin, Berlin, Bremen fährt nach Berlin!Bild: AP

Es folgt das Halbfinal-Hinspiel des UEFA-Cups. Werder hatte unter anderem Milan ausgeschaltet, der HSV sich gegen Galatasaray und Manchester City durchgesetzt. In Bremen gelingt den Hamburgern die Revanche für das Pokal-Aus, dank Piotr Trochowskis Kopfball nach einer halben Stunde gewinnen die Hamburger mit 1:0.

Aber das ist im Europacup bekanntlich erst die halbe Miete. Denn nun wird erneut im Volksparkstadion in Hamburg gespielt. Und es folgt ein Spiel fürs Geschichtsbuch.

Gravgaards fatales Luftloch

Der HSV tritt nach dem Auswärtssieg mit breiter Brust an. Noch ein Endspiel wollen sich die Rothosen vom Erzrivalen nicht nehmen lassen. Als Ivica Olic nach 12 Minuten zum 1:0 trifft, sieht es für die Hamburger noch besser aus. Aber sie verpassen es, rechtzeitig nachzulegen. Und so kann der majestätische Brasilianer Diego ausgleichen und nun braucht Bremen nur noch ein Tor, um wegen der Auswärtstoreregel in den Final zu kommen.

epa01722586 Werder Bremen's Diego (L) scores past Hamburg goalkeeper Frank Rost during their UEFA Cup soccer match at the HSH Nordbank arena in Hamburg, Germany on 07 May 2009. EPA/MAURIZIO GAMBA ...
Diego bezwingt HSV-Keeper Frank Rost.Bild: EPA

Es folgt ein Kampf auf Biegen und Brechen, in dem die Kräfte zunehmend schwinden. Beiden Teams bieten sich Chancen aufs nächste Tor, die besseren hat der HSV. Doch das 2:1 erzielt Werder-Stürmer Claudio Pizarro.

Noch bleibt Zeit, denn die Anzeigetafel zeigt, dass erst 66 Minuten gespielt sind. Die Hamburger rennen vergeblich an, bis die Partie in der 83. Minute entschieden wird. Verteidiger Michael Gravgaard will den Ball zu Torhüter Rost passen. Doch just als er zum Schuss ansetzt, rollt der Ball über eine Papierkugel auf dem Feld, er hüpft über Gravgaards Fuss und es gibt Eckball. Frank Baumann nickt nach Diegos Flanke zum 3:1 ein – Werder Bremen hat auch den zweiten Derby-Halbfinal für sich entschieden.

Der Moment, der in die Geschichte eingeht.Video: YouTube/CeMo224
HSV – Werder Bremen 1:3 (1:1)
51'000 Zuschauer. Schiedsrichter: de Bleeckere (Belgien).
Tore: 1:0 Olic (12.), 1:1 Diego (29.), 1:2 Pizarro (66.), 1:3 Baumann (83.), 2:3 Olic (87.).
Hamburger SV: Rost; Demel (63. Boateng), Gravgaard, Mathijsen, Jansen (77. Aogo); Jarolim, Alex Silva (72. Benjamin); Pitroipa, Trochowski; Olic, Petric.
Werder Bremen: Wiese; Fritz, Mertesacker (53. Prödl), Naldo, Boenisch; Baumann; Frings, Özil; Diego; Pizarro (90. Niemeyer), Rosenberg (62. Hugo Almeida).

«Hamburg gibt sich die Kugel», titelt der «Spiegel». Unglücksrabe Gravgaard kann es kaum fassen: «So viel Pech kann man doch gar nicht haben», sagt der Däne. «Ich habe mich voll auf den Ball konzentriert, und plötzlich sprang der einfach weg.» Sein Trainer Martin Jol nimmt ihn in Schutz:

«Der Junge kann nichts dafür, es war einfach Pech.»

Der routinierte Torhüter Frank Rost meint mit der Erfahrung seiner 35 Lebensjahre schulterzuckend: «So ist das eben in solchen Spielen. Die Kleinigkeiten entscheiden.» Selten steckt so viel Wahrheit in dieser ausgelutschten Fussballweisheit.

«Ich kann Bremen nicht mehr sehen»

Nichts wird es für den HSV mit einem Titelgewinn, dem im Saisonendspurt das Benzin ausgeht. Out im DFB-Pokal, out im UEFA-Cup und in der Bundesliga in der Krise. Nach 21 Runden noch auf Rang 1 und nach 26 Runden auf Rang 2 wird es am Ende bloss Platz 5. Das vierte Nordderby geht 0:2 verloren, Hugo Almeida ist Werders zweifacher Torschütze. «Ich kann Bremen nicht mehr sehen», nervt sich HSV-Trainer Martin Jol.

epa01722692 Werder Bremen players Tim Wiese (L) and Torsten Frings celebrate at the final whistle during their UEFA Cup soccer match against Hamburger SV at the HSH Nordbank arena in Hamburg, Germany  ...
Bremer Jubel in Hamburg: Tim Wiese und Thorsten Frings.Bild: EPA

Bis heute warten die Hamburger auf einen weiteren Titel. Auch in Bremen neigt sich eine lange Ära grosser Erfolge dem Ende entgegen. Den DFB-Pokal gewinnt Werder 1:0 gegen Bayer Leverkusen, den UEFA-Cup-Final verliert es ohne den gelbgesperrten Diego gegen Schachtar Donezk 1:2 nach Verlängerung. Der Erfolg über Leverkusen ist bis heute der letzte Titelgewinn der Bremer.

«Als Erstes habe ich nach dem Spiel Frustsaufen gemacht!» Einer, der über 60 Jahre zum HSV geht, ärgert sich masslos.Video: YouTube/nite80

Papierkugel kommt ins Museum

Die Papierkugel – nach einer Choreo von HSV-Fans aufs Feld geworfen – wird nach dem Spiel versteigert, 4510 Euro werden bezahlt. Mittlerweile befindet sich das obskure Stück Fussballgeschichte im «Wuseum», dem vereinseigenen Museum von Werder Bremen.

Werder-Fans widmeten der Papierkugel im eigenen Wiki ausserdem einen witzigen Eintrag. Dort lernen wir, dass ihr vollständiger Name «Die Papierkugel Gottes» lautet und dass der Marktwert des Stürmers «unverkäuflich» sei. Sein Werdegang wird so beschrieben: «Papierkugel avancierte vom unbeschriebenen Blatt zum Helden im UEFA-Cup-Halbfinale gegen den HSV, indem er sich heldenhaft in den Lauf von Gravgaard warf und so den entscheidenden Eckball herausholte.»

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5 Kommentare
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DruggaMate
07.05.2020 07:54registriert Januar 2019
Jaja, 2009 und das Nordderby auf drei Hochzeiten. Danach ging's rasant bergab mit dem HSV. Als könnte man dies als Fan jemals vergessen 😪😭
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