In wenigen Monaten wird aus einem strahlenden Helden ein Depp. So salopp lässt sich das Drama um Dominique Aegerter nach dem ersten GP der Saison in Doha auf einen Nenner bringen. Ein charismatischer Pilot, der zu den talentiertesten der Welt gehört, der diese Saison Rennen und den WM-Titel gewinnen will, ist nur noch ein Häufchen Elend. Er kam im ersten Rennen lediglich auf den schwer enttäuschenden 15. Platz – sein Teamkollege Tom Lüthi aber ist mit dem gleichen Material aufs Podest gefahren (3.). Wie ist das möglich?
Der Markenwechsel (Suter zu Kalex) und das verregnete Testprogramm alleine haben diese Krise nicht verursacht. Wie so oft sind nicht Fahrwerk, PS-Zahlen oder die Reifen das Problem. Die Ursache finden wir im Kopf des Rennfahrers. Gerade wegen der extremen Fixierung auf die Technik werden die «weichen Faktoren» wie Selbstvertrauen und «Nestwärme» unterschätzt. Die «wilden Kerle» reagieren oft wie nervöse Rennpferde auf kleinste Veränderungen im Umfeld. Ja, gelegentlich mahnen sie an die Prinzessin auf der Erbse.
Dominique Aegerter ist in diese Krise geraten, weil sein Umfeld (vorübergehend?) nicht mehr stimmt. Er hat das Vertrauen in sein Team und damit sein Selbstvertrauen verloren. Er ist unversehens der einsamste Mann im Fahrerlager geworden. Wie konnte das passieren?
Dominique Aegerter hat letzte Saison den Aufstieg zum nationalen Sportheld, zum Triumphator vom Sachsenring und zu einem der besten Rennfahrer der Welt in einem Team geschafft, das seine Familie war. Das in den letzten vier Jahren um ihn herum entwickelt und auf seine Bedürfnisse abgestimmt worden ist. Diese Mannschaft war seine Heimat, sein Rückzugsort, sein Halt. Seit nun ausgerechnet Erzrivale Tom Lüthi sein Teamkollege geworden ist, hat er diese Heimat verloren.
Dominique Aegerter ist ein Fremder in seinem eigenen Haus geworden. Alles dreht sich inzwischen um Tom Lüthi. Der schlaue Weltmeister von 2005 hat mit seiner Erfahrung und seinem Charme alle um die Finger gewickelt. Teamchef Fred Corminboeuf, ein freundlicher Opportunist, der letzte Saison nur für Dominique Aegerter und dessen Wohlbefinden da war und ihm die Wünsche von den Augen abgelesen hat, scharwänzelt nun um Tom Lüthi herum. Im schönen, für Dominique Aegerter gebauten Töffnest ist ein Kuckuck ausgeschlüpft. Tom Lüthi flog nicht über das Kuckucksnest. Er ist darin gelandet.
Anders als Tom Lüthi musste Dominique Aegerter im GP-Rennsport noch nie eine Krise überwinden. Heute ist schon beinahe vergessen, dass Tom Lüthi nach 2007 vier Jahre lang auf seinen nächsten GP warten musste. Gerade weil bei Dominique Aegerter bis heute alles nach Wunsch und Programm gelaufen ist, treffen ihn diese ersten echten Unstimmigkeiten so hart.
Die Krise ist spektakulär. Aber sie kann in wenigen Wochen überwunden werden. Er muss bloss lernen, Tom Lüthi zu ignorieren, alle störenden Einflüsse zu verdrängen und sich wieder vollständig konzentrieren zu können. So kann er zügig, aber ohne Hast seinen Platz an der Spitze der internen Hierarchie zurückzuerobern. Krisenlösung mit der Brechstange hat in diesem Sport noch nie funktioniert. Und der Sieger vom Sachsenring darf nicht der Versuchung billiger Ausreden erliegen, die in diesem Sport so wohlfeil sind.
Weil nicht fehlendes Talent oder fehlende technische Voraussetzungen die Krise verursacht haben, weil es einzig und allein an der Persönlichkeit des Fahrers liegt, ist die Chance sehr gross, dass Dominique Aegerter aus dieser Krise herauskommt und dann stärker sein wird als zuvor.