Es hätte ein Triumphzug werden sollen, doch es wurde zum Desaster. Denn die Adria Tour ist nun der Ursprung von diversen Covid-19-Fällen in der Tenniswelt und darüber hinaus.
Novak Djokovic wollte die aufgrund der Corona-Pandemie entstandene Zwangspause im Tennis-Zirkus nutzen, um seiner Heimat Serbien und der Balkanregion im allgemeinen etwas zurückzugeben. Eine Region, die von Djokovic im normalen Tour-Alltag nicht viel zu sehen kriegt. Eine Region, in der ihm die Herzen zufliegen. Eine Region, die der Spieler selbst ebenfalls liebt.
Doch mit seiner Herkunft gehen auch diverse Komplexe einher. Djokovic wuchs im kriegsversehrten Kopaonik, nahe der serbisch-kosovarischen Grenze auf. Der heute 33-Jährige erlebte die Gewalt des Kosovokrieges aus nächster Nähe und wuchs in Armut auf. «Die Narben aus dieser Zeit sind bis heute nicht verheilt. Nicht auf dem Tennisplatz und schon gar nicht in der Seele von Novak Djokovic», schrieb Tennisjournalist Simon Häring kürzlich in der «Schweiz am Wochenende».
«Wir mussten in einer Schlange für Brot, Milch und Wasser anstehen. Diese Dinge machen dich stärker und hungriger», sagte Djokovic nach seinem Titel am Australian Open dieses Jahres. Dabei geht es laut Häring um mehr als den Erfolgshunger. Es gehe auch um Liebe und Anerkennung.
Sebastiàn Fest, ein Tennisexperte, der unter anderem für die «Zeit», «El Mundo» und den «Blick» schreibt, hat über die Jahre viele Erfahrungen und Begegnungen mit Novak Djokovic gemacht. Nach der missglückten Adria Tour berichtet der Journalist auf Twitter von seinen Erlebnissen mit dem Serben – und gibt so auch Einblick in das Leben Djokovics.
Fest fragte Djokovic einmal: «Musstest du netter sein als alle anderen, weil du von Serbien bist?»
1) #Djokovic: "De juvenil, cuando empecé a jugar torneos de #tenis, cuando decía que venía de #Serbia la gente se volvía muy cautelosa y prudente".
— Sebastián Fest (@sebastianfest) June 23, 2020
Djokovic antwortete, dass die Leute um ihn herum früher plötzlich viel vorsichtiger agierten, als sie erfuhren, dass er Serbe war. «Das war ein ziemlich hässliches Gefühl. Doch dank meinen Erfolgen konnte ich den Menschen meine wahre Persönlichkeit zeigen. Ich konnte zeigen, dass auch Serben gut sein können», führte die Weltnummer 1 aus.
Trotz oder gerade wegen seiner tragischen Vergangenheit in diesem Land sei Djokovic serbischer Nationalist, schreibt Fest. Er sagt sogar, dass der Tennisstar «vom historischen Recht auf ein Grossserbien überzeugt ist». Und dass sich die Unabhängigkeit des Kosovo für Djokovic angefühlt haben müsse, als würde ihm ein Arm abgerissen.
4) Cuando se analiza a #Djokovic hay que tener algunas cosas muy claras: estamos ante un patriota serbio, alguien profundamente convencido del derecho histórico a una Gran Serbia, alguien que sintió que la independencia de #Kosovo fue como si le arrancaran un brazo.
— Sebastián Fest (@sebastianfest) June 23, 2020
Ein weiterer grosser Faktor bei Djokovics Suche nach universeller Liebe dürften auch die Eltern sein. Einerseits weil sie ihre eigenen grossen Erwartungen auf ihren Sohn übertragen. Andererseits weil sie ihn mit unüberlegten Aussagen auch immer wieder zurückwerfen und auf jegliche Kritik an ihrem Sohn allergisch reagieren.
Jüngstes Beispiel ist Vater Srdjan Djokovic, der nach der Absage der Adria Tour die Schuld offenbar gerne abschieben möchte. Im serbischen Fernsehen kritisierte Vater Djokovic Grigor Dimitrov: «Er wusste, wie und wo er sich angesteckt hatte. Dass er sich nicht sofort hat testen lassen, ist nicht richtig. Er hat Kroatien, Serbien und uns als Familie grossen Schaden zugefügt.»
Und so muss Novak Djokovic immer wieder die Wogen glätten. Er wollte von Beginn weg so beliebt sein, wie Roger Federer und Rafael Nadal das seit Jahren sind. Doch weil er das so krampfhaft versucht, erreicht er eher das Gegenteil. So bleibt ihm letztlich nur die Option, erfolgreicher zu sein als seine Rivalen.
Sebastiàn Fest schreibt, dass kaum jemand, der Djokovic einmal persönlich getroffen hätte, ein schlechtes Wort über ihn sagen könne. Der Serbe sei nie unfreundlich. «Er kann jede Person, die er trifft, in deren Landessprache begrüssen und hat immer einen passenden Spruch parat», erklärt Fest.
Ob da jeweils ernst gemeinte Empathie dahinter stecke oder ob es sich doch nur um Kalkül handle, sei jedoch schwierig zu beantworten. Fest ist der Überzeugung, dass Djokovic es für wichtig hält, empathisch zu sein. Doch sein Hirn höre nie auf zu arbeiten: «Selbst wenn Djokovic spontan scheint, ist er berechnend.»
9) Pregunta difícil de responder. Tras 14 años siguiendo a #Djokovic por el mundo y tras haber hablado varias veces con él mi impresión no ha variado: cree sinceramente que empatizar es bueno, pero su cerebro nunca para. Incluso cuando parece espontáneo está calculando.
— Sebastián Fest (@sebastianfest) June 23, 2020
Wie kommt es also, dass ein Mensch, der oft so überlegt agiert und zweifelsohne auch intelligent ist, sich immer wieder derartige Fehltritte leistet? Sebàstian Fest sieht die Antwort in narzisstischen Zügen. «Das ist noch oft so bei Menschen, die in einer Sache die Weltbesten sind. Djokovic glaubt, dass er alles machen kann und hat damit meistens Recht. Er glaubt daran, dass man mit Liebe und guten Schwingungen alles erreichen kann. Dass er mit der Kraft seines Körpers dreckiges Wasser ins sauberes Wasser verwandeln kann.»
Da sei es nur ein kleiner Schritt zur Überzeugung, dass Djokovic mit Körper und Geist stärker sei als das Coronavirus, schreibt Fest.
Doch dieses Mal hat er sich stark verschätzt. Im ersten offiziellen Statement nach seinem positiven Corona-Test stand noch nichts von Reue oder Fehlern. Doch der Serbe meldete sich gestern Abend auf Twitter auch noch selbst zu Wort. Es tue ihm Leid, dass die Adria Tour Schaden angerichtet habe, schrieb er und fuhr fort: «Wir waren überzeugt, die Gesundheitskriterien zu erfüllen. Doch wir lagen falsch. Es war noch zu früh.»
— Novak Djokovic (@DjokerNole) June 23, 2020
Einmal mehr muss Novak Djokovic Wogen glätten.
höchstens seine sportlichen Leistungen "würdigen"