Diagnose: Meniskusriss im linken Knie, Probleme mit dem Rücken. Es ist Sommer 2016, als Roger Federerbeschliesst, seine Saison vorzeitig zu beenden und aus dem Hamsterrad, in dem er sich in den letzten zwei Jahrzehnten bewegt hat, auszusteigen. Es fällt ihm leicht, wie so vieles im Leben. Sein Weg zurück beginnt in den Bergen. Er wandert in den Appenzeller Alpen, besucht mit seinen Kindern den Zirkus, verbringt viel Zeit mit Familie und Freunden.
Er tut all das, was in den letzten Jahren zu kurz gekommen war. Ja, Federer findet in diesem Sommer, als er schon 35 Jahre alt ist, Gefallen am Leben neben dem Tennisplatz. Später bekennt der Baselbieter, den Tenniszirkus weniger vermisst zu haben, als er erwartet hätte. Und dass er kurz mit dem Gedanken an den Rücktritt gespielt hätte, den er schnell wieder verwarf.
Er verwendet seine ganze Energie darauf, stark, gesund und in guter Form zurückzukommen, «um im nächsten Jahr offensives Tennis zu spielen». Sein Umfeld bleibt intakt und Federer nimmt sich für die Regeneration viel Zeit. Drei Wochen lässt er sich von seinem Physiotherapeuten Daniel Troxler behandeln. Danach baut er mit seinem Fitnesstrainer Pierre Paganini am Fundament für die Zukunft.
Die Trainer Severin Lüthi und Ivan Ljubicic hegen nie Zweifel daran, dass Federer bald wieder zu den Weltbesten gehört. Im Dezember 2016, so erzählt es Lüthi später, habe er zu ihm gesagt: «Roger, du spielst so gut, du kannst in Melbourne gewinnen.» Als Federer im Januar 2017, 192 Tage nach seinem letzten Spiel, zurückkehrt, ist er nur noch die Nummer 17 der Welt. Doch steht er sofort wieder im Mittelpunkt. Zwei Wochen später gewinnt er im Final des ersten Turniers seines zweiten Lebens gegen Rafael Nadal seinen 18. Grand-Slam-Titel. Das Märchen von Australien ist einer der schönsten Geschichten in Federers Karriere.
Die Titelseite der @lequipe gehört den Schweizern. Heute achtes Duell zwischen Roger Federer und Stan Wawrinka bei einem Grand-Slam-Turnier (6:1). Wer gewinnt? #SupportTheSwiss pic.twitter.com/uNsHNiKaqZ
— Simon Häring (@_shaering) 4. Juni 2019
Diagnose: Knorpelschaden im linken Knie. Es ist Sommer 2017, als Stan Wawrinka beschliesst, seine Saison vorzeitig zu beenden und aus dem Hamsterrad, in dem er sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten bewegt hat, auszusteigen. Es fällt ihm schwer. Er hatte trotz Knorpelschaden weitergespielt, bis es nicht mehr ging. Das war nicht vernünftig, aber typisch für einen Mann, der es darum an die Spitze geschafft hatte, weil er härter zu sich ist als die meisten anderen.
Erst, als es nicht mehr ging, zog Wawrinka die Reissleine und liess sich zweimal operieren. Sein Weg zurück beginnt mit dem Rückzug in sein Inneres. Acht Wochen geht Wawrinka an Krücken, er verkriecht sich in den eigenen vier Wänden. Die Einsamkeit lähmt ihn. Er leidet an depressiven Episoden. Stan Wawrinka war schon immer einer, der sich seiner Schwächen und seiner Verletzlichkeit nicht schämt.
Wawrinka hatte die Welt vermisst, die ihn zuvor tief verletzt hatte. «Für mich war es erschreckend und enttäuschend, wie schnell man in Vergessenheit gerät», sagt der Romand über die Zeit, in der er nicht Teil der Tennis-Karawane war. Als er mit Fitnesstrainer Pierre Paganini das Fundament für die Zukunft legt, verkündet sein Trainer Magnus Norman die Trennung. «Für mich ein Schock. Er hat sich in der schlimmsten Zeit meiner Karriere so entschieden», sagt Wawrinka. Die Pause ist für ihn ein Albtraum. Immerhin: Sechs Monate später kommt es zur Versöhnung mit Norman, der seit einem Jahr wieder sein Trainer ist. Stan Wawrinka (34) hat viel durchgemacht in den vergangenen Jahren. Jüngst folgte die Trennung von Freundin Donna Vekic.
Niemand hatte auf seine Rückkehr gewartet. Seit zwei Jahren wartet Wawrinka auf einen Titel. Doch auch für ihn ist aus dem Albtraum ein Märchen geworden. Auch er hat ein zweites Leben geschenkt bekommen.
Aber Federer liegt Wawrinka einfach nicht so gut. Das Plus für Wawrinka ist sicher die Unterlage.
Natürlich gönne ich den Sieg auch Federer.
Go Stan! Go Roger!