Viereinhalb Jahre musste Roger Federer auf seinen 18. Grand-Slam-Titel warten. 2017 beendete er in Australien diese lange Durststrecke und reihte Erfolg an Erfolg. Der «Maestro» triumphierte im letzten Sommer auch in Wimbledon und verteidigte nun auch seinen Australian-Open-Titel.
Damit hat der mittlerweile 36-jährige Tennis-Künstler endgültig all seine Kritiker Lügen gestraft, die ihn während seiner vergeblichen Grand-Slam-Jagd bereits abgeschrieben hatten. Und das waren nicht wenige: Tennis-Legenden, Fans und Journalisten.
Zur letzten Garde gehört Charlie Eccleshare. Der Sportredaktor des englischen «Telegraph» schrieb Federer im Mai 2016 ab, als Federer geplagt von einer Knieverletzung gerade die Sandsaison abbrechen musste. In seinem Artikel «Why Roger Federer will never win another grand slam» führte der Journalist in sechs Punkten aus, warum Federer nie mehr ein Grand-Slam-Turnier gewinnen werde.
Eccleshares Fazit: «Federers Alter, die vergebene Jagd nach dem 18. Major-Titel und die atemberaubenden Fortschritte von Novak Djokovic bedeuten, dass Federer seine Karriere höchstwahrscheinlich mit 17 Slams beenden wird.» Als 34-Jähriger sei für ihn die Anstrengung, gegen die physisch starken Modellathleten der ATP-Tour noch einmal 21 Sätze zu gewinnen, nahezu unmöglich.
Anders als viele Kollegen seiner Zunft schert sich Eccleshare aber keinen Deut um den sonst oft gerne bemühten Leitsatz «Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern». In einem offenen Brief hat sich der Tennis-Experte des «Telegraph» nun bei Federer für seine Fehleinschätzung entschuldigt.
«Rog, es tut mir leid, dass ich dich so hoffnungslos unterschätzt habe», beginnt Eccleshare. «Damals sah die Welt noch etwas anders aus. Du warst verletzt und Andy Murray und Novak Djokovic schienen das Tennis für die nächsten Jahre zu dominieren. Und es gab noch keinen Brexit, der uns schmerzlich daran erinnert hat, dass alles möglich ist.»
«Seit ich mein Stück geschrieben habe, hast du mich nicht einmal, nicht zweimal, sondern bereits dreimal eines besseren belehrt. Jedes Mal, wenn du ein weiteres Grand-Slam-Turnier gewinnst, werde ich auf Social Media ins Lächerliche gezogen. Fair enough, ich verdiene es.»
«Geblendet von deiner vierjährigen Major-Dürre, habe ich ein paar Dinge nicht kommen sehen: Dass sich auch deine Rivalen verletzen können, dass du hart an deiner Rückhand arbeiten wirst und deinen unstillbaren Appetit auf Tennis.»
«Ich hoffe, du kannst mir meine mangelnde Vorstellungskraft genauso vergeben, wie meine Unfähigkeit, zu realisieren, dass sogar der Zahn der Zeit ohne Satzverlust überwunden werden kann. Ich versichere dir, dass ich in Zukunft keine umfassenden Vorhersagen mehr machen werde.»
Wir glauben übrigens, dass Federer Mr. Eccleshare verzeihen wird. Denn Irren ist ja bekanntlich menschlich und Vergeben göttlich. (pre)