Alles klar? So scheint es. Joel Wicki rauschte mit sechs Blitzsiegen in den Schlussgang. Nur Christian Stucki ist gegen ihn auf den Beinen geblieben. Doch dieser Gestellte im 5. Gang am Sonntagmorgen ist unerheblich.
Ein Gestellter (ein Unentschieden) genügt Joel Wicki im Schlussgang zur Besteigung des Throns. Er hat alle Vorteile auf seiner Seite. Er ist zwar leichter und kleiner (182 cm, 107 kg) als der sanfte Riese aus dem Bernbiet (198 cm, mindestens 150 kg).
Aber er ist am Ende eines glühend heissen Tages frischer. Alles spricht für den 12 Jahre jüngeren, flinkeren Herausforderer.
Joel Wicki verliert nach 41 Sekunden. Der neue König heisst Christian Stucki. Die letzte, die einzige königliche Hoffnung der Berner.
Es ist schon berührend, dass im Wettstreit der Bösen der freundlichste Mann triumphiert hat. Stuckis Lehrer Hansjörg Wegmüller (7. bis 9. Klasse) hat einmal über den neuen König gesagt: «Christian überragte alle anderen um mehrere Kopflängen. Er war aber sehr rücksichtsvoll mit allen Mitschülern. Auch bei Ballspielen. Oft verzichtete er auf den eigenen Vorteil. Sowieso war er gegenüber Kleineren und Schwächeren immer hilfsbereit. Er hob die Kleinen sogar auf eine Mauer, damit er mit ihnen auf Augenhöhe diskutieren konnte.»
So wie er als Schüler war, ist er heute noch, mit 34 Jahren und längst zum Titanen von 198 Zentimetern Grösse und mindestens 150 Kilo Gewicht herangewachsen. Es ist unmöglich, diesen Mann nicht zu mögen. Christian Stucki war schon vor diesem Fest der König der Herzen – und der Titel wäre ihm geblieben, wenn er den Thron nicht bestiegen hätte.
Nun hat Christian Stucki nicht nur seine Gegner, er hat auch die Geschichte besiegt. Noch nie ist einer König geworden, der älter als 31 war. Ja, er ist nach Werner Bürki und Matthias Glarner erst der dritte König, der den 30. Geburtstag schon gefeiert hat. Und noch nie hat einer in der Neuzeit den Thron bestiegen, der zuvor einen eidgenössischen Schlussgang verloren hat. Christian Stucki unterlag 2013 im eidgenössischen Schlussgang zu Burgdorf seinem Freund Matthias Sempach.
Was hat nun 2019 in Zug den Ausschlag gegeben? Nicht Kraft. Nicht Technik. Dieser Schlussgang ist im Kopf und in der Seele entschieden worden. Durch den Willen eines Mannes, der weiss, dass er eine allerletzte Chance hat, seine Karriere zu krönen. Der noch einmal alles in diesen einen, seinen wohl letzten ganz grossen Kampf investiert. Der alle seine Kräfte mobilisiert und einer Naturgewalt gleich entfaltet. Der erstaunlich flinke Riese bringt an einem guten Tag eine unbesiegbare Kombination aus Gewicht, Kraft, Wucht, Standfestigkeit, Explosivität, Technik und Beweglichkeit ins Sägemehl.
Es ist ein guter Tag für Christian Stucki. Sein 6. Eidgenössischer Kranz ist ein goldener.
Er entscheidet diesen Kampf, bevor er begonnen hat. Er schreitet mit einer geradezu einschüchternden Mischung aus Entschlossenheit und Ruhe als erster in den Ring und wartet dort auf seinen Gegner.
Christian Stucki markiert eine schier unheimliche Präsenz, die in einer Zweikampfsportart so wichtig ist und seinem jungen, fast naiv wirkenden Gegner signalisiert: Ich bin «böse» (im Schwingen sind die Guten böse), sehr böse und Du hast keine Chance. Vor dem ersten Zusammengreifen ist förmlich zu spüren, dass Christian Stucki diese Chance packen wird.
Dieser Schlussgang mahnt geradezu dramatisch an das Trauma der Innerschweizer von 1989. Der Blick zurück lohnt sich. Er erklärt uns die Gegenwart.
Eugen «Geni» Hasler ist 1989 der himmelhohe Favorit im eidgenössischen Schlussgang zu Stans. Bei diesem Kampf ist der Innerschweizer der Routinier und sein Herausforderer Adrian Käser ein 18-jähriger Neuling, der noch nie ein grosses Fest gewonnen hat. Aber die Parallelen sind faszinierend.
Es ist ein glühend heisser Sonntag wie jetzt in Zug. Der junge Käser, ein risikofreudiger Schwinger, unbekümmert, gelassen, beherrscht, ruhig und selbstsicher, aber respektlos, explosiv, hat nichts zu verlieren. Er ist seinem um sechs Jahre älteren Gegner Eugen Hasler an Gewicht, Grösse, und Erfahrung weit unterlegen. Einzige Pluspunkte: seine jugendliche Unbeschwertheit und seine relative Frische am Ende eines heissen Tages. Und sein Selbstvertrauen. Er wird nicht mit einer technischen Finte oder grösseren Kraftreserven gewinnen. Sondern weil er das Selbstvertrauen eines Königs hat und seinen Gegner mental «zerstört». Ganz ähnlich wie jetzt Christian Stucki.
Adrian Käser hat den wuchtigen Angriffsversuchen des haushohen Favoriten getrotzt. Mitten im Schlussgang legt Eugen Hasler, leicht am Mund verletzt, eine taktische Kampf- und Verschnaufpause ein und begibt sich zur Erfrischung an den Brunnen am Rande des Kampffeldes.
Adrian Käser macht in dieser psychologisch alles entscheidenden Phase instinktiv und mit erstaunlicher Reife und Nervenkraft das Richtige: Auch er geht, unbeeindruckt und gemessenen Schrittes stolz und zielbewusst, als wäre er der König, zum Brunnen, an dem sich sein Gegner eben retabliert, kühlt sich ab und begibt sich, ohne den Kontrahenten eines Blickes zu würdigen, als Erster wieder in den Sägemehlring zurück.
Dort wartet er in provozierender, herausfordernder Haltung auf Hasler. Genau so wie sich jetzt Christian Stucki vor dem Kampf als erster in den Sägemehlring begibt.
In diesen Sekunden gewinnt Adrian Käser den Schlussgang. Denn in diesem Augenblick hat er seinem Gegner signalisiert, dass er jetzt Herr der Lage, König des Sägemehlringes ist. Er gewinnt in der 10. Minute durch Gammen und Überdrücken. Ein Schlussgang, der an Spannung und Dramatik vielleicht nie mehr überboten werden kann.
Nun, 30 Jahre später hat Adrian Käser als TV-Experte den Triumph von Christian Stucki kommentiert.
Es ist wie es ist. Die Innerschweizer können nicht König. Sie haben erst einen König (Harry Knüsel 1986). Die Berner nun mit Christian Stucki bereits den 24.
Das Drama hat in Sichtweite des Zuger Hockeytempels stattgefunden. Die Zuger haben mächtig investiert, um die Berner vom Thron zu stossen.
Wenn es im nächsten Frühjahr zum «Schlussgang», zum Playoff-Finale zwischen den Zug dem SC Bern kommen sollte, werden die «Dämonen» von 1989 und 2019 die Zuger heimsuchen.
Gmögige Cheib 😎.
-Gratuliere zum Sieg-
Aber den Artikel find ich ehrlich gesagt recht mässig.... Z. B. : "Sondern weil er das Selbstvertrauen eines Königs hat und seinen Gegner mental «zerstört»."........ Öhmm nein?
Eher er ist schwerer, grösser, kräftiger, hat mehr Erfahrung und konnte im Gegensatz zum ersten aufeinander treffen den ersten Fehler / Unachtsamkeit nutzen bevor ihm die Puste ausgeht?