Wenn Ohren Füsse hätten – sie würden wohl davonrennen. Es ist unglaublich laut an diesem Samstagabend in der Sporthalle Bachmatten in Muri. Auf dem Programm: das erste Finalduell in der Mannschaftsmeisterschaft der Ringer. Freiamt gegen Willisau, der «Clásico des Ringens». Seit drei Stunden geht das so. Ein Gewinner ist, wer Ohropax sein Eigen nennt. Hexenkessel Fussballstadion? Pipifax gegen das, was hier passiert. Wahnsinn!
Auch auf der Matte geht es um Gewinner. Zehn Duelle. Vor dem letzten führen die Gäste aus dem Luzerner Hinterland hauchdünn.
Als dann Yves Müllhaupt für die Ringerstaffel Freiamt gewinnt, gibt es kein Halten. Wo beginnt Ekstase? Wenn nicht hier, wo dann? Sieg fürs Heimteam. Noch ein Mannschaftserfolg am nächsten Samstag in Willisau fehlt – und der erste Freiämter Meistertitel seit 2014 und der achte insgesamt wäre Tatsache.
Das sorgt für Schreie aus gut 1500 Kehlen. Die meisten aus Freude. Aber manche auch nicht. Wer Willisau im Herzen trägt, wer die Lions mag, also die Löwen, der brüllt aus Schmerz. Eine Niederlage als Topfavorit.
Früher am Abend: Zwei Stunden vor Beginn ist der Parkplatz voll. Wer zu spät kommt, muss umkehren. Die Halle ist ausverkauft. Das Bier gibt es in Flaschen, die Trommeln tragen die Fans auf ihren Schultern. Der Pöbel schaut eh lieber Fussball.
Einer steht da, den man hier nicht erwarten würde: Sandro Viletta, ehemaliger Skifahrer, Olympiasieger 2014 in der Kombination. Seit einigen Jahren wohnt er im Aargau. Seit zwei Jahren ist er Konditionstrainer der Ringerstaffel Freiamt. «Kraft haben sie genug, bei mir gehts im Intervalltraining um Ausdauer», sagt er.
Die haben die Freiämter an diesem Abend. Fast immer im Rückstand liegend, holen sie nach der Pause kontinuierlich auf und drehen die Partie im letzten Kampf. «Beeindruckend», findet das ein anderer Schweizer Olympiasieger. Nevin Galmarini ist derzeit verletzt und teilt den Sponsor mit den Ringern. Darum ist der Ostschweizer Snowboarder nach Muri gekommen. «Die Mischung aus Kraft und Technik fasziniert mich», sagt er.
Kraft braucht es. Zweifellos. Aber auch Puste. Die wahren Dramen spielen sich im Geräteraum ab. Dann, wenn die sechs Minuten im Scheinwerferlicht vor den euphorischen Fans vorbei sind. Ob Gewinner oder Verlierer – hier liegen sie alle erschöpft am Boden. Schwer schnaufend zwischen Barren und Turnmatten. Das Adrenalin hat sie bis hier hin getragen. Jetzt aber beginnen die Schmerzen.
Draussen in der Halle, in der es immer wärmer wird und der künstliche Nebel tief hängt, bekommt davon niemand etwas mit. Der Wettkampf geht weiter. Zwei nächste Kontrahenten duellieren sich.
In der Pause wird Randy Vock, der Freiämter EM-Bronze-Held, geehrt. Eine Schiene stabilisiert sein Knie. Er ist verletzt und fehlt dem Heimteam. «Er hat Geschichte geschrieben», sagt der Schweizer Verbandspräsident Werner Bossert.
Das hat auch Stefan Reichmuth. Der Ringer der Willisauer hat an der WM Bronze geholt und sich damit für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio qualifiziert. Marc Weber beeindruckt das nicht. Der Freiämter gewinnt vor den Augen von Stefan Burkhalter, dem Schwingeroldie aus der Nordostschweiz, der früher selbst für Willisau gerungen hat.
Dem Ringen aber fehlt, was das Schwingen derzeit erlebt. Der Durchbruch in den Mainstream. Es bleibt eine Randsportart. Fernab von der grossen Öffentlichkeit. Bezeichnend: Während sich Politiker an den Schwingfesten gerne zeigen, schickt der Regierungsrat nur eine schriftliche Botschaft nach Muri, dass der Kanton Aargau den Anlass gerne mit Swiss-Los-Geldern unterstütze. Sportminister Alex Hürzeler bleibt fern.
Vielleicht fehlt dem Ringen aber einfach die Portion Swissness, die das Schwingen so populär macht. Der Verband nennt sich Swiss Wrestling und der Hauptsponsor trägt ebenfalls einen englischen Namen und benennt die Meisterschaft nach seinen Produkten. Aber eigentlich sind sie ja alle froh, überhaupt einen potenten Geldgeber zu haben. Und sowieso: Gerungen wird international und sogar an Olympischen Spielen.
Doch das alles spielt an diesem Samstagabend in Muri keine Rolle. Der Sport fasziniert und hätte mehr Beachtung verdient. Obwohl die Halle ja gar nicht mehr Zuschauer fassen würde – und die Ohren froh sind, dass es nicht noch lauter geht.