Nach Rennschluss stürmen die Fans in Misano die Boxenstrasse und schliesslich stehen rund 20'000 Menschen am Fusse des Siegerpodestes um ihrem Idol Valentino Rossi (35) zu huldigen. Er zelebriert den Sieg wie ein König, wie ein Popstar. Tausende von gelben Fahnen mit der Nummer 46 werden geschwenkt. Es ist eine Verehrung, eine Verzückung, die weit über das im Sport übliche Mass hinaus geht.
Natürlich, Misano ist Valentino Rossis Heimstrecke. Er ist ein paar Kilometer entfernt aufgewachsen. Und doch sprengt die Begeisterung jeden Rahmen. Die Spanier haben diese Saison Marc Marquez bei seinen Siegen in Jerez und Barcelona bei Weitem nicht mit dieser Begeisterung, Leidenschaft, Hingabe und Inbrunst gefeiert.
Nie in der Geschichte des Töffrennsportes (seit 1949) hat es diese Begeisterung für einen Fahrer gegeben. Valentino Rossi wird die WM 2014 nicht gewinnen (wahrscheinlich wird er Vize-Weltmeister) und ist unter normalen Umständen nicht mehr dazu in der Lage, ein Rennen gegen Marc Marquez zu gewinnen. Letztmals triumphierte er vor einem Jahr beim GP von Holland in Assen – als Marquez nach einem schweren Trainingssturz angeschlagen war.
In Misano führte der Italiener das Rennen an, als WM-Leader Marquez in der 10. Runde stürzte, sich nach 1:13 Minuten wieder in den Sattel schwang und noch Platz 14 rettete. Es war seit seinem Aufstieg in die Königsklasse erst der zweite Sturz im Rennen. Es ist fraglich, ob Valentino Rossi den Spanier über eine ganze Renndistanz im Griff gehabt hätte.
In Misano hat sich wieder und eindrücklich gezeigt: Nach wie vor ist Valentino Rossi mit Abstand der populärste, charismatischste Rennfahrer aller Zeiten. Im Vergleich zu ihm ist Marc Marquez in diesem Bereich erst ein Lehrling. Er wird respektiert und bewundert – aber bei Weitem nicht so verehrt und vergöttert wie Rossi.
Wie sehr der Italiener die Töff-Szene nach wie vor dominiert und über seinen Rücktritt (frühestens Ende nächster Saison) hinaus beherrschen wird, zeigt sich daran, dass er auch am Erfolg des neuen sportlichen Dominators Marquez mitverdient. Die gesamte Vermarktung des Spaniers läuft über Valentino Rossis Firma «VR46», die inzwischen die meisten MotoGP-Stars unter Vertrag hat. Bei jedem Euro, den Marc Marquez verdient, klingelt es auch in Rossis Kasse.
Valentino Rossis Erfolg gründet nicht bloss auf seinen sportlichen Erfolgen. Mindestens so wichtig ist sein Kommunikations-Talent. In diesem Fach hat er ja bereits den Titel eines Ehrendoktors. Früher war er für seine psychologische Kriegsführung gegen seine Gegner legendär und er brachte so eine ganze Fahrergeneration aus dem inneren Gleichgewicht. Aber Rossi verschwendet keine Energie für verbale Auseinandersetzungen mit Marc Marquez. Ganz im Gegenteil: Er zelebriert öffentlich seine Freundschaft mit dem Spanier und tut so, als freue er sich selber am meisten über dessen Erfolge.
So mehrt Valentino Rossi seinen eigenen Ruhm. Seinen Fans kommt es so vor, als sei er einer der Förderer von Marc Marquez, als sei seine Magie auf den Spanier übergegangen. So schnell kann Marc Marquez nicht aus dem Schatten von Valentino Rossi treten. Manchmal bedeutet Sport mehr als nur Sieg und Niederlage. Rossis Ruhm ist für die Ewigkeit.