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Dominique Aegerter stürzt beim Unglücks-Rennen von Misano

Second MotoE race at Grand Prix TISSOT dell Emilia Romagna e della Riviera di Rimini at Misano World Circuit Marco Simoncelli. 20 September, 2020 Segunda carrera de MotoE en el Gran Premio TISSOT dell ...
Dominique Aegerter (rechts) kommt in Misano zu Fall und kann nicht um den Tagessieg mitfahren.Bild: www.imago-images.de

Drama um «Domi» Aegerter und die Frage nach dem «Fluch von Misano»

Zum zweiten Mal in seiner Karriere wird Dominique Aegerter in Misano ein Sieg gestohlen. Wenigstens ist er heil davongekommen. Liegt eigentlich ein Fluch über dieser Rennstrecke?
20.09.2020, 17:2620.09.2020, 19:28
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Eigentlich ein ganz normaler Ort. Zumindest auf den ersten Blick. Misano Adriatico ist ein italienischer Badeort mit 13'621 Einwohnern an der adriatischen Riviera, rund 18 Kilometer südöstlich der Provinzhauptstadt Rimini. Hier ist 1972 eine 4,2 Kilometer lange Rennstrecke in Betrieb genommen worden.

Triumph und Drama liegen im Motorradrennsport nahe beieinander. Auf jeder Rennstrecke der Welt. Und wenn wir Glück haben, bleiben alle unversehrt. Wie soeben Dominique Aegerter (29).

Er gewinnt am Samstag das Rennen der elektrischen Töffs und baut die Gesamtführung aus. Am Sonntag startet er aus der Pole Position und wird bereits in der zweiten Runde vom Italiener Tommaso Marcon (20) «abgeschossen» und um den Sieg gebracht. Er kann sich zwar wieder in den Sattel schwingen. Aber es reicht nur noch zum 16. Platz.

Milde Strafe für den Sünder
Tommaso Marcon (20) hat Dominique Aegerter durch rücksichtslose Fahrweise vom Töff geholt. Die Strafe fällt allerdings recht milde aus. Er wird auf der Startposition zum nächsten Rennen am 10. Oktober in Le Mans um drei Ränge zurückversetzt. In Misano war er im Training 12 und er dürfte im Training zum nächsten Rennen ähnlich klassiert sein. Ob 12. oder 15. ist gehupft wie gesprungen und wird den überforderten Hinterbänkler (15. im Gesamtklassement) wenig kümmern.

Die gnädige Bestrafung ist allerdings logisch: Der Italiener fährt im Team von Hervé Poncharal. Der Franzose gehört als langjähriger Präsident der Teamvereinigung IRTA zu den mächtigsten Männern im GP-Business. Da gebietet es die Kunst der Diplomatie, mit seinem Schützling nicht zu streng zu sein zumal ja das nächste Rennen auch noch beim GP von Frankreich ausgefahren wird. Immerhin ist durch die Bestrafung klar, dass der Unfall zu hundert Prozent die Schuld von Tommaso Marcon war.

Die Bestrafung erfolgt aufgrund von Artikel 1:21.2 des GP-Reglements. Dieser Artikel besagt: «Die Fahrer müssen verantwortungsbewusst fahren und dürfen die Konkurrenten weder auf der Strecke noch in der Boxengasse gefährden.» Aufgrund dieses Artikels sind zuletzt Sam Lowes (Moto2) und Johann Zarco (MotoGP) dazu verurteilt worden, zum nächsten Rennen aus der Boxengasse zu starten. Was als Sanktion auch im «Fall Aegerter» angemessen wäre.

Dominique Aegerter fährt zum Zeitpunkt des Unfalles an zweiter Stelle. «Aber natürlich hätte ich gewinnen können.» So wie am Vortag. Als er in der letzten Runde aus der dritten Position heraus Jordi Torres und Matteo Ferrari auf brillante Art und Weise überholt und triumphiert.

Ärger trotz Entschuldigung

Den Vorfall hat der Rohrbacher inzwischen auf dem Video angeschaut. «Einfach verrückt. Der Marcon fährt mir geradeaus und ungebremst ins Hinterrad.» Nur selten ist der Unfallverursacher so glasklar ersichtlich wie in diesem Fall. Immerhin hat sich Tommaso Marcon beim Schweizer entschuldigt. In englischer Sprache. Ist dabei das Wort «f…» gefallen? «Nein» sagt Dominique Aegerter. «Ich habe mich zusammengerissen und die Entschuldigung angenommen. Es bleiben noch zwei Rennen und ich muss nun einfach gewinnen. So einfach ist es.» Es ist sogar noch einfacher: wenn er sich in den zwei letzten Rennen am 10. und 11. Oktober in Le Mans zweimal vor Matteo Ferrari klassiert, kann es auch reichen.

Und dann sagt er in einer Stimmung zwischen Trotz und Resignation: «Entweder gewinne ich hier oder werde um den Sieg gebracht …» Und tatsächlich. 2017 gewinnt Dominique Aegerter in Misano bei strömendem Regen eines der dramatischsten Moto2-Rennen der Geschichte vor Tom Lüthi. Ein paar Tage später wird ihm der Sieg aberkannt. Wegen angeblich illegalen Substanzen im Getriebeöl. Ein Skandal, der nie aufgeklärt worden ist.

ARCHIVBILD ZUR ABERKENNUNG DES SIEGES VON DOMINIQUE AEGERTER IN MISANO, AM SONNTAG, 15. OKTOBER 2017 - epa06196235 Swiss rider Dominique Aegerter of Kiefer Racing celebrates on the podium after winnin ...
Dominique Aegerter jubelt 2017 in Misano, doch der Sieg wird ihm aberkannt.Bild: EPA ANSA

Aber Misano hat uns im Laufe der Jahre nicht nur Episoden um «gestohlene Siege» beschert, die nun mal zum Motorsport gehören. Je mehr wir uns mit dieser Rennstrecke befassen, desto mehr erkennen wir: Es gibt auch eine unheimliche Seite. Ja, es ist als laste ein Fluch auf Misano. Es ist nicht Aberglaube, der mich auf diesen Gedanken bringt. Es ist der Blick in die noch recht junge Geschichte dieses Ortes.

Die Stimmung ist hier eine ganz besondere. Vielleicht ist es die Nähe zum Strand. Die Ferienatmosphäre und die lateinische Lebensfreude, die so unvermittelt wie sonst nirgendwo auf eine der «gnadenlosesten» Sportarten treffen, die keinen einzigen Fehler verzeiht. Möglicherweise ist es auch ein wenig das Wetter: Es kann hier schneller wechseln als bei uns im April. Soeben musste das Moto2-Rennen unterbrochen und neu gestartet werden, weil es fast aus heiterem Himmel geregnet hat. Tom Lüthi ist auf Platz 9 gefahren.

Erinnerung an zwei Todesopfer

Die Rennstrecke ist auf dem Plateau hinter dem Ort angelegt und schon die Fahrt dorthin mahnt daran, dass es – wie Zyniker sagen – diesem rauen Business Kränze nur für die Sieger und die Toten gibt. Die Strasse hin zur Rennstrecke trägt den Namen «Viale Daijiro Kato». In Gedenken an den japanischen Rennfahrer aus dem Team des Italieners Fausto Gresini, der im April 2003 an den Folgen seines Sturzes beim GP von Japan gestorben ist. Und die Rennstrecke heisst «Misano World Circuit Marco Simoncelli». In Gedenken an den italienischen Rennfahrer Marco Simoncelli, der im Oktober 2011 in Malaysia sein Leben auf der Rennstrecke verloren hat. Er fuhr auch im Team von Fausto Gresini.

In Misano stürzte Weltmeister und WM-Leader Wayne Rainey am 5. September 1993 in Führung liegend so unglücklich, dass er seither an den Rollstuhl gefesselt ist. In Misano hat Dominique Aegerters Teamkollege Shoya Tomizawa am 5. September 2010 im Moto2-Rennen sein Leben verloren. Im Mai 2017 erlag Nicky Hayden, 2006 Weltmeister der «Königsklasse», an den Verletzungen, die er sich bei einem Unfall im Training mit dem Rennvelo auf der Strasse unweit von Misano zugezogen hatte.

epa05982019 (FILE) - A file picture dated 12 August 2011 shows US MotoGP rider Nicky Hayden of Ducati team in his team's box before the MotoGP class free practice session at the Masaryk circuit i ...
Nicky Hayden kam nach einem Unfall in der Nähe von Misano ums Leben.Bild: EPA/EPA

Vielleicht ist das alles nur Zufall. Wer sich intensiv mit dem Töffrennsport befasst, sollte sowieso aufpassen, dass er nicht abergläubisch wird. Aber als ich mich mit Jean-Claude Schertenleib über den «Fluch von Misano» unterhalte, wird mir doch etwas seltsam zu Mute. Der Neuenburger ist einer der weltweit grössten Experten. Er hat für den Weltsportverband FIM die gesamte GP-Geschichte aufgearbeitet und schon über 500 Rennen vor Ort verfolgt.

Er erzählt, nun auch ein bisschen nachdenklich geworden, dass er bisher bloss ein einziges Mal in einen Verkehrs-Unfall verwickelt worden ist: auf der Fahrt nach Misano mit einem Freund. Der ehemalige Rally-Pilot sass ausnahmsweise auf dem Beifahrersitz als der Wagen von der Strasse abkam und sich überschlug. Die beiden hatten Glück im Unglück und krochen praktisch unverletzt aus dem Wrack.

Und dann kommt mir in den Sinn: Ein einziges Mal bin ich auf der Rückfahrt von einem Grand Prix mit Reifenschaden auf der Autobahn stehen geblieben. Stundenlang. Bei der Rückreise von Misano. Vielleicht ist es ganz gut, dass es dieses Jahr wegen der Virus-Krise nicht möglich ist, vor Ort zu berichten. Und dann erzählt mir Jean-Claude Schertenleib noch etwas: «Weisst Du, dass Pierfrancesco Chili an Parkinson erkrankt ist?». Das kann doch nicht wahr sein! Er ist erst 56.

Der blonde Italiener hat ein einziges Rennen in der «Königsklasse» gewonnen.

In Misano.

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quelle: semedia / luciano bianchetto/semedia
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