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Ich habe immer über den Eishockey-Cup gelacht – bis ich gestern in Rappi war

Fans von Ajoie beim Swiss Ice Hockey Cup 1/2 - Finalspiel SC Rapperswil-Jona Lakers gegen den HC Ajoie in Rapperswil am Donnerstag, 4. Januar 2018. (KEYSTONE/Walter Bieri)
Eishockey-Cup interessiert keinen? Selbst aus dem Jura reisten am Donnerstagabend fast 1000 Fans ins ferne Rapperswil-Jona.Bild: KEYSTONE
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Ich habe immer über den Eishockey-Cup gelacht – bis ich gestern in Rappi war

Der Eishockey-Cup wird seit seiner Wiedereinführung von vielen Seiten belächelt. Selbst von uns. Wir versprechen keine endgültige Besserung, aber es soll gesagt sein: Für einige Teams und Fans gehört der Wettbewerb zu den Saisonhighlights. 
05.01.2018, 09:4705.01.2018, 23:02
Reto Fehr
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Mein Sohn entdeckt gerade die Welt. Er ist noch kein Jahr alt, hat aber längst ein Lieblingsspielzeug: eine zerdrückte PET-Flasche. Es gibt für ihn nichts Grösseres, als das quietschende Geräusche machende Plastikding, das ich normalerweise achtlos in die PET-Sammlung schmeisse. Wir können ihm die pädagogisch wertvollsten Spielsachen, die leuchtendsten, blinkendsten, klirrendsten und farbigsten Erfindungen der Babyindustrie hinlegen – die PET-Flasche bleibt sein absoluter Favorit. 

Die letzten Sekunden der Partie mit unerreichter Kameraführung.Video: streamable

Mir erschliesst sich die Faszination nicht. In der Erwachsenenwelt hat eine zerdrücke PET-Flasche keinen Wert. So ähnlich scheint es bei vielen National-League-Klubs, Fans und Medien mit dem Eishockey-Cup zu sein, als dieser vor vier Jahren wiedereingeführt wurde. Auch wir bei watson lachten in den letzten Saisons über den Wettbewerb, den niemand ernst nimmt, keine Zuschauer anzieht und für eine der grössten Blamagen unserer Sportgeschichte sorgte. Wir können natürlich nicht versprechen, dass wir in Zukunft den Cup ernst nehmen und euphorisch für den Event ins Feld ziehen werden. 

Aber heute mache ich das.

Denn ich war gestern mal wieder in Rapperswil-Jona. Nicht weil ich die Lakers mag. Im Gegenteil. In meiner Jugend gingen wir regelmässig ins Lido. Immer in die Gästekurve. Egal wer kam. Lugano, Fribourg, Lausanne, Herisau, Ajoie, Olten, Sierre, La Chaux-de-Fonds, der Zürcher SC, Ambri, nochmals Lugano, wieder Fribourg – wirklich egal: Ich war gegen Rappi. So auch gestern. Nicht mehr auf den Stehplätzen, sondern gemütlich sitzend. Und mit jedem Tor kleiner werdend.

Aufbruchsstimmung in Rapperswil
Die Rapperswil-Jona Lakers dominieren die Swiss League und peilen den Aufstieg an. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird für die allfällige Ligaqualifikation ein weiterer Ausländer verpflichtet (ab dieser Saison nicht mehr mit 2, sondern 3 Ausländern).

Doch auch im Umfeld ist das Eishockey-Fieber zurück: «Es kommen viele neue junge Fans sowie ältere Zuschauer wieder, die früher an den Spielen von Rapperswil waren. Diese Fans trugen uns [gegen Davos] richtiggehend. Das zeigt, dass diese Stadt wieder für NLA-Hockey bereit ist», so Goalie und Publikumsliebling Melvin Nyffeler. 

Trotzdem machte es grossen Spass. Denn das Stadion war mit 6100 Zuschauern ausverkauft (letztmals kamen im dritten Spiel der Ligaqualifikation gegen Langnau in der Abstiegssaison 2014/15 über 6000 Zuschauer). Ich traute meinen Augen kaum, als ich 15 Minuten vor Spielbeginn das Stadion erreichte. Schon kurz nach dem Bahnhof waren Fangesänge zu hören. Vor der Arena standen sich die Fans die Beine in den Bauch, um auf die Stehplatz-Tribüne zu kommen. Nicht alle schafften es pünktlich zum Spielbeginn.

Die Choreos zum Spielbeginn – da waren noch nicht alle Fans im Stadion.Video: streamable

Auch die Ajoie-Kurve platzte aus allen Nähten. 800 Jurassier seien angereist, heisst es. Über zwei Stunden dauert die Autofahrt von Pruntrut in die Rosenstadt. Nicht schlecht für einen Donnerstagabend. Sie trugen ihren Teil zur grossartigen Stimmung bei – selbst noch beim 0:4.

Es fehlte an diesem Abend an nichts, was eine Hockey-Party ausmacht: Zwei offensiv ausgerichtete Teams, schöne Choreographien der Fanlager – inklusive nettem «Liga Mafia»-Gruss an den Verband –, die Forderung nach Freiheit für Ultras, Drittelspausen-langes Anstehen am völlig überforderten Verpflegungsstand, eine kurze Bierbecher-Wurf-Auseinandersetzung. Halt wie richtig. 

Liga Mafia
Finde den Gruss aus Rapperswil an die Eishockey-Verbandsspitze.bild: watson

Es war den Spielern, Fans und Zuschauern völlig egal, dass in der «grossen Eishockey-Welt» ihre Partie belächelt und der Wettbewerb nicht ernst genommen wird. Es lebe die zerdrückte PET-Flasche! Schade, dass viele von uns deren Faszination nicht mehr sehen. Es gibt nämlich manchmal nichts Besseres. 

Wer gewinnt den Eishockey-Cupfinal?

Selbst der Stadionspeaker liess sich nach der Schlusssirene von der Atmosphäre mitreissen: «Merked eui dä 4. Februar, dänn isch dä Cupfinal. Gägä wer, wüssedmer nonig. Die andere spieled na. Aber es isch au egal, die butzedmer sowieso weg.» Die Menge tobte und er verabschiedete sich treffender als alle langen Worte je könnten: «Merci villmal. Alles geili Sieche!»

Quasi die 2-Liter-PET-Flasche: Despacito mit Eishockey-Spielern

Video: watson/Laurent Aeberli, Reto Fehr, Lea Senn

Die besten 50 Eishockey-Spieler des Jahres 2017

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25 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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spiox123
05.01.2018 09:58registriert Februar 2014
Ich findes jedes zusätzliche Spiel welches ich schauen gehen darf super. Sei das Cup oder Champions League. Neue (alte) Gegner, neue Stadien und meist eine familiäre Stimmung und ein Fest ohne das es 100 Polizisten braucht. Auch wirtschaftlich für die kleinen Klubs wertvoll. Und je nach Partie gibt es wirklich packende Spiele. Schade gibt es bei den grossen Klubs nicht so viele Zuschauer und es wird nicht richtig ernst genommen :(
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Linksanwalt
05.01.2018 10:08registriert September 2015
Der Cup ist eh eine gute Sache. Da können die «unterklassigen» Teams zeigen was sie können und das machen sie auch echt gut.
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egemek
05.01.2018 11:58registriert Mai 2016
Ich war im Viertelfinal auch beeindruckt. Tolle Stimmung, gute Chicken Nuggets und ein super Spiel von Rappi. Das einzig störende war die grosse Polizeipräsenz, als wir das Spiel verliesen und natürlich die Leistung von Zug...

Würde Rappi den Cupsieg und den Aufstieg gönnen. Da können die Klotenfans noch lange von grauer Maus sprechen, aber im Moment sehe ich Rappi lieber im A als Lehmanns Rumpf-Team...
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