Er will doch nur spielen. Egal wo, egal gegen wen. Feindselige Atmosphäre, Beleidigungen von den Zuschauerrängen – zu häufig hat er das alles schon erlebt, als dass es ihn aus der Bahn werfen würde. Deshalb war für Xherdan Shaqiri immer klar: Er wird auch in Belgrad dabei sein, wenn sein FC Liverpool in der Champions League beim serbischen Rekordmeister Roter Stern antritt. Nun aber holt ihn der Doppeladler-Jubel bei der WM-Partie gegen Serbien ein.
Jürgen Klopp, Trainer beim FC Liverpool, verzichtet für das heutige Gastspiel in Belgrad auf Shaqiri. Der Entscheid basiert weder auf gesundheitlichen noch sportlichen Gründen. Denn Shaqiri ist in vorzüglicher Form. Nach seinem Wechsel im Sommer von Stoke zu Liverpool hat er sich erstaunlich schnell in diesem gut funktionierenden Ensemble etabliert. Dabei strandete er mit wenig Kredit in der Stadt der Beatles. Einerseits, weil er vom Absteiger kam. Andererseits, weil er mit 17 Millionen Franken Ablöse für Premier-League-Verhältnisse ein Schnäppchen war. Allein, dass Shaqiris Fehlen in Belgrad in ganz Europa thematisiert wird, beweist seinen Stellenwert beim ruhmreichen FC Liverpool, zeugt aber auch von seiner Fähigkeit, sich gegen Widrigkeiten aufzulehnen.
Klopp unterschätzt wohl die mentale Stärke des kreativsten Schweizer Fussballers. Der Deutsche befürchtet einen Spiessrutenlauf für Shaqiri in Belgrad. Aufgrund dessen kosovarischer Abstammung, aber auch wegen des Doppeladler-Jubels an der WM.
«Wir haben von den Spekulationen und vom Gerede gehört, wie Shaq wohl empfangen wird, und auch wenn wir keine Ahnung haben, was passieren wird, wollen wir dahin gehen und uns zu 100 Prozent auf Fussball fokussieren», sagte Klopp. «Wir sind der FC Liverpool, ein grosser Klub, ein Fussball-Team, aber wir haben darüber hinaus keine Message. Keine politische, absolut nicht. Wir wollen den Fokus auf dem Fussballspiel haben, frei von allem anderen.»
Klopps Absicht, Shaqiri zu schützen, in Ehren. Aber erst mit dem Verzicht auf Shaqiri beträufelt Klopp ein normales Champions-League-Spiel mit einer politischen Essenz. Sport und Politik zu mixen, ist – auch wenn dies viele Protagonisten wie Klopp für ein Teufelszeug halten – nicht weiter schlimm. Im Gegenteil. Ohne Politik keine WM in Katar, um nur ein Beispiel zu nennen. Bedenklich an dieser Sache ist aber, dass man beim FC Liverpool vor serbischen Nationalisten, von denen heute viele im Marakana sitzen werden, einknickt.
Shaqiri nicht nach Belgrad fliegen zu lassen, ist weder mutig noch smart noch schlau, sondern basiert einzig auf fehlender Sachkenntnis. Nehmen wir den Doppeladler. Auch in der Schweiz ist ein absonderlicher, seltsam aufgeregter Diskurs darüber entstanden. Warum? Weil er uns fremd ist, wir den Hintergrund nicht kennen und sowieso auf leidenschaftliche Symbolik verzichten. In der Tat ist der Doppeladler aber eine Geste der Zugehörigkeit und nicht der Ausgrenzung. Also weder eine Demütigung gegenüber der Schweiz noch gegenüber Serbien.
Entsprechend unaufgeregt hat die serbische Intelligenzija den Doppeladler-Jubel von Xherdan Shaqiri und Granit Xhaka an der WM zur Kenntnis genommen. Man hat es vielleicht vergessen: Dieses Land hat ein riesiges Spektrum von Intelligenzija, Hochkultur und Bildungsbewusstsein. Aber die Gesellschaft ist durchsetzt von vielen reaktionären Kräften. Dass diese viele wichtige Positionen in Politik, Gesellschaft und Sport besetzen, ist die eigentliche Tragödie Serbiens. Erinnern wir uns nur an die Provokationen des serbischen Aussenministers Ivica Dacic: «Gegen wen spielen wir? Gegen die Schweiz? Gegen Albanien? Oder gegen Pristina?»
Shaqiri büsst nun für eine Geste, die abgesehen von Zugehörigkeit kein politisches Statement beinhaltete. Das ist tragisch. Und der FC Liverpool lässt es zu, dass die Politik den Sport übersteuert. Das ist noch tragischer.
Nun steht der Sieger schon vor dem Anpfiff fest: Es sind die serbischen Nationalisten. Selbst wenn ihre roten Sterne heute Nacht nicht funkeln und eine Niederlage kassieren, werden sich die Nationalisten auf die Schultern klopfen. Schliesslich können sie dem grossen FC Liverpool die Aufstellung diktieren, ohne wirklich aktiv zu werden. Denn auf dem Balkan hat die Begegnung zwischen Roter Stern und Liverpool im Vorfeld nicht die ganz grossen Schlagzeilen produziert. Bis Klopp aktiv wurde und verkündete, er würde in Belgrad auf Xherdan Shaqiri verzichten.