Granit Xhaka hat bei Arsenal London eine besondere Aufgabe. Er soll das Team als Captain anführen und mitreissen.
Doch der Schweizer Nationalspieler wird seiner Rolle derzeit nicht gerecht. Er zieht eine Seuchensaison ein – und wird dafür schon länger als Hauptschuldiger an den schwachen Leistungen des Teams von Fans und Medien an den Pranger gestellt.
Definitiv zum Bruch ist es gestern Abend gekommen. Bei seiner Auswechslung gegen Crystal Palace (2:2) nach 60 Minuten lässt sich Xhaka viel Zeit, wird ausgepfiffen und provoziert die Fans mit seinen Gesten. Dazu sagt er zwei Mal «Fuck off».
Über die Aktion von Xhaka braucht man nicht zu diskutieren. Das war absolut inakzeptabel. Trainer Unai Emery kann den Schweizer in den nächsten Partien nicht aufstellen, ohne seine Glaubwürdigkeit zu verlieren. Als Captain ist er sowieso untragbar geworden.
Der «Fall Xhaka» zeigt jedoch noch eine weitere, hässliche Seite des Fussballs. Viele Fans sind so verwöhnt, dass sie es in Ordnung finden, eigene Spieler auszupfeifen. Das bezieht sich nicht nur auf Arsenal-Fans, gegen das eigene Team gepfiffen wird regelmässig und an vielen Orten.
Unbefriedigende Leistungen gehören nun mal zum Fussball. Genauso wie Misserfolg. Wer ein Happy-End will, soll ins Kino, Theater oder meinetwegen in die Oper gehen. Mit dem Fussball-Ticket kauft man sich auch ein Stück Ungewissheit – ein Risiko, enttäuscht nach Hause zu gehen.
Das Fansein ist rational nicht zu erklären. Es bestimmt mehr als nur die Stimmungslage während den 90 Minuten, das ganze Wochenende oder gar die ganze Woche kann vom Ergebnis des eigenen Teams abhängig sein. Und so haben viele Fans das Gefühl, sie hätten durch den Kauf des überteuerten Tickets das Recht, mitzuentscheiden, wer für den Verein spielen soll.
Und so wichtig es ihnen ist, so machtlos sind die Fans. Ihr einziges Instrument, um Einfluss zu nehmen, ist der Besuch im Stadion. Dort können sie ihr Team mit guter Stimmung tragen – oder wie im «Fall Xhaka» auch einzelne Spieler zerstören.
Xhaka ist nicht der Mann, der Arsenal zum Meistertitel oder dem Gewinn der Champions League führen wird. Aber es ist trotzdem nicht ganz zufällig, dass er sowohl unter Arsène Wenger als auch bei Unai Emery unumstrittener Stammspieler war. Wir sprechen hier von zwei Weltklasse-Trainern, die seine Qualität schätzen oder geschätzt haben.
Nun hat Xhaka einen schwachen Saisonstart eingezogen. Und es wird nicht einfacher, wenn man in der Krise steckt und ständig Kritik auf einen einprasselt. Jeder, der selbst mal halbwegs ambitioniert einen Sport betrieben hat, weiss, dass es ohne Selbstvertrauen verdammt schwierig wird. Dass man plötzlich Dinge hinterfragt, die zuvor wie von alleine funktioniert haben.
Es muss der Horror sein, in solchen Situationen noch zusätzlich von den eigenen Fans ausgepfiffen zu werden. Man kann Granit Xhaka viel vorwerfen, mangelnden Einsatz und Kampfgeist jedoch nicht – auch wenn sein Spielstil manchmal etwas lethargisch wirkt.
Warum haben sich die Arsenal-Fans trotzdem so speziell auf Xhaka eingeschossen? Klar, er bleibt spielerisch seit Wochen hinter den Erwartungen zurück. Dazu kommt, dass Xhaka ein selbstbewusstes Auftreten hat. Er hat eine hohe Meinung von sich selbst und versteckt diese nicht. Er traut sich, Klartext zu sprechen und hohe Ziele zu formulieren. Gegen aussen wirkt er dadurch schnell arrogant.
Eine Mischung, die zusammen mit seinem Amt als Kapitän natürlich explosiv ist. Nun hat es geknallt. Speziell in England halten sich dann auch die Medien nicht zurück und giessen weiter Öl ins Feuer.
Dass Granit Xhaka nun heftig kritisiert wird, daran trägt er grösstenteils selbst Schuld – doch auch die Fans sind grosse Verlierer in der ganzen Sache. Oder fühlen sie sich nun als Gewinner? Dass Xhaka derart provoziert wurde, dass er sich zu solch einem Aussetzer hat hinreissen lassen, darauf sollte niemand stolz sein.
Diese Praxis, Fussballer mental zu zermürben, darf nicht zur Gewohnheit werden. Dass Xhaka nun so unten durch muss, das hat er nicht verdient – das hat keiner. Auch das Argument, dass ein Profifussballer zu viel verdient, zieht nicht. Muss sich einer alles gefallen lassen, weil er Millionär ist? Muss sich einer deshalb moralisch kaputt machen lassen? Muss sich jemand deshalb beleidigen lassen?
So selbstbewusst er gegen aussen wirkt, auch unter dem Trikot mit der Nummer 34 und dem Namen Xhaka drauf steckt ein emotionaler, verletzlicher Mensch. Ihm ging es gestern zu weit und er liess sich in den Emotionen zu etwas hinreissen, was ihm nicht so schnell vergeben wird.
Zum Wohle beider Parteien bleibt vorübergehend eigentlich nur die Bank oder gar die Tribüne. Da wird auch die Entschuldigung, die heute noch von Xhaka kommen wird, vorerst nicht viel ändern. Ob er eine Zukunft bei den «Gunners» haben wird, steht noch in den Sternen. Die Fans haben den Abgang von Xhaka aber provoziert und werden ihn womöglich bekommen. Dann hätte der verwöhnte Schnösel auf der Tribüne diesen Kampf definitiv gewonnen.
"ICH ZAHLE ALSO BIN ICH"
Egal ob im Stadion eigene Spieler auspfeifen, sich in den Zug drängeln vor andere ausgestiegen sind, sich beim Autofahren wie ein Assi zu verhalten, sich bei einer kleinen Zugs- oder Flugverspätung als Lese-"Reporter" auf 20min zu empören und viele andere Dinge, welche man tagtäglich bemerkt. Viele haben das Gefühl, aus welchen Gründen auch immer, sich alles erlauben zu dürfen und sich wie ein Trumpeltier zu benehmen, bloss weil sie ein paar Fränkli ausgegeben haben.