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Interview

Vaucher und Schäfer besorgt: Coronavirus bedroht Fussball und Eishockey

Denis Vaucher, Direktor des Schweizer Eishockeyverbandes, links, und Claudius Schaefer, CEO der Swiss Football League SFL, rechts, sprechen nach das Podium zum "Strategie Sportwirtschaft 5.0&quot ...
Denis Vaucher (links) und Claudius Schäfer machen sich Sorgen um den Schweizer Spitzensport.Bild: keystone
Interview

Vaucher und Schäfer im Doppel-Interview: «Befinden uns seit 10 Tagen im Überlebensmodus»

Voraussichtlich am Mittwoch berät der Bundesrat, wie es mit den Grossveranstaltungen weiter geht. Für den Schweizer Profisport geht es um die Existenz.
10.08.2020, 19:45
Rolf Bichsel / Keystone-SDA
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Claudius Schäfer, der CEO der Swiss Football League, und Denis Vaucher, Direktor der National und Swiss League, stellten sich Keystone-SDA zum grossen Doppel-Interview. Die Hoffnung lebt, dass ab Mitte September und dem Start in die neuen Saisons die Stadien zu mindestens 50 Prozent gefüllt werden dürfen. Ansonsten droht dem professionellen Sport in der Schweiz das Lichterlöschen.

Herr Schäfer, Herr Vaucher: Ist der Mittwoch der wichtigste Tag für den Schweizer Profisport?
Schäfer: Es ist nicht der erste wichtige Tag. Es gab in der Vergangenheit schon ein paar sehr wichtige Tage. Die Bundesratssitzungen sind zu einem Pfeiler geworden in unserem Geschäftsleben. Aber es ist schon so: Der Mittwoch ist ganz wichtig für den professionellen Schweizer Sport. Wir gehen davon aus, dass die 1000-er-Grenze aufgeweicht wird, dass mehr Leute in den Stadien dürfen. Für den Fussball wäre das dringend notwendig.
Vaucher: Fürs Eishockey präsentiert sich die Lage gleich. Seit sechs Monaten befinden wir uns im Krisenmodus und seit zehn Tagen sogar im Überlebensmodus. Es geht jetzt wirklich darum, alle Vorkehrungen zu treffen, damit wir uns keine Vorwürfe machen müssen, sollte der Entscheid in die falsche Richtung gehen. Ich mache mir Sorgen. Aber ich gehe trotzdem davon aus, dass wir Mitte September mit mehr als 1000 Zuschauern spielen können.

YBs Jean-Pierre Nsame, rechts, und Jordan Lefort tragen den Pokal zu den Fans, nach dem Fussball Meisterschaftsspiel der Super League zwischen den Berner Young Boys und dem FC St. Gallen, am Montag, 3 ...
YB durfte den Meistertitel im eigenen Stadion nur vor 1000 Zuschauern bejubeln.Bild: keystone

Aber die Vorzeichen stehen nicht gut. Die Fallzahlen sind hoch, zuletzt stand im Raum, Grossanlässe bis Ende März weiter zu verbieten und Versammlungen wieder auf 100 Personen zu begrenzen.
Vaucher: Nicht der Bundesrat, sondern ein paar Gesundheitsexperten stossen in diese Richtung. Das sind Varianten, die sich in der Vernehmlassung befanden. Eine andere Variante ist diejenige, die wir favorisieren - nämlich mit Schutzkonzepten vor mehr als 1000 Zuschauern zu spielen. Und wir setzen bis am Mittwoch alles daran, dass es so kommt.
Schäfer: Es gibt viele Gründe, die für uns sprechen. Letzte Woche hörten wir aus Frankreich, dass dort Openairs, Konzerte, Kulturanlässe wieder vor über 5000 Leuten stattfinden können - mit Sicherheitsabstand und mit Maske. Wir arbeiten mit Hochdruck an Schutzkonzepten. Wir wissen aus den gemachten Erfahrungen relativ genau, was wir anders und besser machen müssen. Ich erachte es als grosses Plus, dass wir nach den Erfahrungen der letzten zwei Monate gut vorbereitet sind.
Vaucher: Wir müssen auch lernen, mit der Situation zu leben. Wir reden immer von der Anzahl Infizierter. Wir hatten im Eishockey zuletzt auf Stufe U17 Covid-Fälle. Aber sie verliefen meines Wissens alle nicht symptomatisch. Wir müssen abwägen: Entweder gehen wir am Virus zu Grunde, wovon ich nicht ausgehe, oder wir werden wirtschaftlich an den Abgrund gedrängt. Dort stehen wir jetzt. Und es darf unter keinen Umständen passieren, dass wir abstürzen. Wir reden hier nicht nur von den Profiklubs, sondern auch vom Nachwuchs.
Schäfer: Wir erstellten vor Jahren eine Studie, was alles an der Fussball-Liga hängt. Wir kamen auf 3300 Vollzeitstellen allein schon in der Super League. Das Konstrukt Super League entspricht einer mittleren Kantonalbank. Wir sind ein wirtschaftlicher Faktor. Das müssen wir immer wieder betonen, denn es ist nicht im Bewusstsein drin. Im Zusammenhang mit Fussball wird immer schnell um Löhne diskutiert.
Vaucher: Und es kann nun wirklich nicht sein, dass primär über Spielerlöhne diskutiert und damit noch argumentiert wird. Im Eishockey arbeiten wir schliesslich intensiv an einem Financial Fairplay. Wir sind alle der Meinung, dass Schutz wichtig ist. Darum haben wir Konzepte entwickelt. In dieser Beziehung war der Fussball Vorreiter. Die Fussballer wurden ins kalte Wasser geworfen. Wir konnten von ihnen lernen. Fakt ist: Wir können auch die Zuschauer schützen. Ich kann nicht verstehen, dass wir in einer Sportstätte trotz Maskenpflicht nicht mehr als 1000 Leute begrüssen dürfen, hingegen Demonstrationen ohne Limiten erlaubt sind. Vielleicht sollten wir unsere Spiele als Demonstrationen deklarieren. Die Fans demonstrieren, dass ein Team ein Tor schiesst. Wäre das nicht ein kreativer Ansatz?

Ein Demonstrant im Rollstuhl, bei einer Demonstration gegen den Coronavirus Lockdown, am Samstag, 16. Mai 2020, vor dem Bundesplatz, in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Demonstrationen sind in der Schweiz auch mit mehr als 1000 Personen erlaubt.Bild: KEYSTONE

Reden wir von Zahlen. Wie viel kosteten die letzten zwei Monate fast ohne Zuschauer die Klubs?
Schäfer: Ich kann keine absoluten Zahlen nennen. Wir waren froh, dass wir die 1000 Leute ins Stadion lassen durften. Wir erachteten das als wichtiges Zeichen. Aber nochmals: Das ist keine Option für die Zukunft. Den Klubs entstehen Kosten für die Organisation der Spiele, die Einnahmen fehlen aber.
Vaucher: Wir rechnen in der National League im Durchschnitt mit einer halben Million Umsatz pro Spiel, Umsatz nicht Gewinn. Mit nur 1000 Zuschauern resultiert ein Riesenverlust. Eine Meisterschaft mit 1000 Leuten bis Ende März wäre für die National League keine Option. Für den Fall müssten wir uns einen Lockout überlegen. Es sei denn, der Bund gibt uns A-fonds-perdu-Beiträge. Dann sieht es anders aus. Mit den Bedingungen, die an die rückzahlbaren Notkredite geknüpft sind, wird das Problem aber einfach um zwei Jahre nach hinten verschoben.

Der Praesident des FC Sion, Christian Constantin, beobachtet das Geschehen im Fussball Meisterschaftsspiel der Super League zwischen dem FC Sion und dem FC Thun im Stade de Tourbillon, am Samstag, 25. ...
Christian Constantin setzte sich schon vor dem Restart gegen Geisterspiele ein.Bild: keystone

Diese Notkredite beanspruchten bislang weder die Fussball- noch die Eishockey-Liga.
Schäfer: Es liegt ein Vertrag auf dem Tisch, der für das Baspo fertig ausgehandelt ist. In diesem Vertrag gibt es zentrale Punkte, die wir nicht unterschreiben können. Die Liga wäre Darlehensnehmer. Wenn ein Klub ausfällt - und das gab es auch schon, und gerade in der aktuellen Situation ist die Gefahr noch grösser, das so etwas passieren könnte - würde die Liga haften. Dieses Risiko dürfen wir nicht eingehen. Zudem müssten wir 35 Prozent, also 35 Millionen, mit Sicherheiten unterlegen. Wir versuchten gerade im Bereich Sicherheiten andere Lösungen aufzuzeigen, die in der Wirtschaft gang und gäbe sind. Diese wurden nicht akzeptiert.
Vaucher: Diese Kredite könnten als Konsequenz den Fussball und das Eishockey zu Boden reissen. Das vorliegende Konstrukt berücksichtigt die wirtschaftlichen Abhängigkeiten im Profisport zu wenig.

Herr Schäfer, sie haben letzte Woche gesagt, dass sie schwarz sehen für einige Klubs, wenn nicht mehr Zuschauer in die Stadien dürfen.
Schäfer: Bei einigen Klubs machen die Zuschauer bis zu 45 Prozent aller Einnahmen aus. Die Gelder aus den Fernsehverträgen decken im Durchschnitt 10 Prozent der Einnahmen ab. Es fallen vor allem lokale Sponsoren weg, die sich die Unterstützung nicht mehr leisten können. Das sind Meldungen, wie wir sie mitbekommen. Ein grosser Teil der Einnahmen ist seit Februar weggefallen. Dass die Klubs über Monate im Krisenmodus überleben konnten, zeigt doch auch, dass der Fussball und sicher auch das Eishockey nicht so krank sind, wie oft behauptet wird. Dass wir nach sechs Monaten noch keinen zahlungsunfähigen Klub haben, ist für mich ein wichtiges und gutes Zeichen gegen Aussen. Die meisten Klubs wirtschaften gut. Natürlich half die Kurzarbeit. Aber klar ist auch: Es wird nicht so weitergehen.
Vaucher: Im Eishockey sieht es nicht anders aus. Von Kurzarbeit und Covid-Bürgschaften profitierten wir kurzfristig, aber das ist ein Tropfen auf den heissen Stein. Im Eishockey verfügen wir in der National League über eine Stadionkapazität von 100'000 Plätzen. Stand heute verkauften wir schon 50'000 Saisonkarten. Die Gelder sind bei den Klubs. Und die Klubs brauchen diese Liquidität heute, um den Betrieb sicherzustellen. Wenn die Klubs diese Zuschauereinnahmen zurückzahlen müssen, dann geht eher früher als später das Geld aus.

ARCHIVBILD ZUM ABBRUCH DER SAISON DER NATIONAL LEAGUE, AM DONNERSTAG, 12. MAERZ 2020 - Wegen der Zunahme des Coronavirus in der Schweiz wird auch dieses Spiel ohne Zuschauer gespielt, anlaesslich des  ...
Keine Fans, keine Playoffs – die vergangene Hockey-Saison fand ein ungewohntes Ende.Bild: KEYSTONE

Die Schutzkonzepte für nächste Saison gehen von 50-prozentigen Auslastungen aus.
Vaucher: Wir wollen uns nicht auf absolute Zahlen oder Prozentzahlen festlegen. Viel hängt doch von den Sportstätten ab. Nehmen wir ein Eisstadion mit zehn Eingängen. In dieses Stadion lassen sich Zuschauer einfach rein und raus bringen. In anderen Stadien haben wir andere Voraussetzungen. Aber: Wir reden von Mindestwerten. Unter 50 Prozent kann man es vergessen.

Das sind nicht gerade defensive Forderungen.
Schäfer: Wir stehen in engem Kontakt mit dem BAG. Wir gehen mit unseren Vorkehrungen weiter als die aktuell gültigen Regeln. Heute gilt: Du musst Abstand halten, wenn der Abstand nicht eingehalten werden kann, kommt die Schutzmaske dazu. Wir verlangen die Schutzmaske schon im Eingangsbereich, wir werden Abstandsregelungen vorsehen, wir planen ohne Gästesektor und ohne Stehplätze. Wir gehen wirklich weit. Deshalb ist für mich klar, dass wir die Kapazitäts-Forderung von mindestens 50 Prozent stellen dürfen. Ich weiss: Quervergleiche sind schwierig und vielfach auch nicht zielführend. Aber im schönsten Schwimmbad der Schweiz, wie ich als stolzer Berner mal behaupte, badeten während der letzten Hitzewelle wohl bis 15'000 Leute. Was für andere gilt, müsste auch für den professionellen Sport gelten.
Vaucher: Das Glatt-Zentrum in Zürich wird an einem normalen Tag von 30'000 Leuten besucht - ganz ohne Schutzmasken. Im Eishockey-Schutzkonzept werden wir weit gehen. Auch wir werden wohl an der nächsten Ligaversammlung entscheiden: Keine Gästesektoren, Maskenpflicht, personalisierte Tickets, Contact Tracing.

Fussball Fans mit dem noetigen Scherheitsabstand beim Super League Meisterschaftsspiel zwischen dem FC Luzern und dem FC Zuerich vom Freitag, 31. Juli 2020 in Luzern. (KEYSTONE/Urs Flueeler)
Wer ins Stadion will, muss Abstand zu den Mitmenschen halten.Bild: keystone

Wäre es nicht gescheiter, die Covid-Krise auszusitzen?
Vaucher: Was heisst hier aussitzen? Rechtlich gesehen könnte man sich theoretisch mit einem Konkurs gewisser finanzieller Verpflichtungen entledigen, der Reputations-Schaden wäre aber unermesslich. Wenn die Zuschauer nicht ins Stadion dürfen, und wenn wir vom Bund keine A-fonds-perdu-Hilfe kriegen, dann müssten wir über einen Lockout nachdenken. Also eine Saison lang nicht spielen - mit Kurzarbeit und Arbeitslosenunterstützung, aber ohne Konkurs über die Runden kommen. Spielerverträge müssten neu verhandelt werden. Später wird dann wieder rauf gefahren.

Macht sich solche Gedanken auch der Fussball?
Schäfer: Das wäre der Worst Case. Wenn wir von einer Verlängerung des Verbots für Grossanlässe bis Ende März reden, dann stellen sich die ganz wichtigen Fragen. Die meisten Klubs könnten ohne Zuschüsse gar nicht überleben. Noch einmal: So weit darf es nicht kommen.

Aber für die breite Öffentlichkeit ist umstritten, ob überhaupt schon wieder vor vielen Fans gespielt werden soll.
Vaucher: Es gilt, Aufklärungsarbeit zu betreiben. Es ist klar: Auch wir werden Covid-Fälle haben. Wir müssen mit dem umgehen können. Der Spielbetrieb ist nur das eine. Die Zuschauer sind das andere. Wir wollen auch, dass die Zuschauer gesund bleiben. Denn wir brauchen die Zuschauer, für die Emotionen im Stadion und damit wir den Spielbetrieb finanzieren können.
Schäfer: Die Klubs müssen ungemein genau und seriös mithelfen. Im Vordergrund steht logischerweise die Gesundheit der Menschen. Wir werden das Schutzkonzept verschärfen, weil wir gesehen haben, dass gegen Ende der Meisterschaft vieles nicht mehr so lief, wie wir das vorgegeben hatten, auch auf dem Spielfeld. Wir sahen zum Beispiel einen Trikot-Tausch oder überschwänglichen Torjubel - beides untersagt. Natürlich passieren solche Fehler aus Emotionen raus, schliesslich stehen junge Leute auf dem Platz. Aber in dieser Beziehung müssen wir besser werden. Auf diese Punkte legen wir im angepassten Schutzkonzept grossen Wert. (dab/sda)

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1 Kommentar
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g-raff
10.08.2020 21:53registriert März 2019
Problematisch werden, könnte nun das bisherige Vorzeigebesipiel Bundesliga. Diese hat nun entschieden bis im Oktober ohne Fans zu spielen. Dies ist dort eher tragbar, da die TV-Einnahmen viel relevanter für das Vereinsbudget ist.

Ich befürchte, dass nun die Sprüche von wegen "Fussball-Millionären" kommen, was in der Schweiz schlichtweg Einzelfälle betrifft.

Der sozio-kulturelle Nutzen und die Bedeutung für den Arbeitsmarkt dürfen nicht unterschätzt werden. Hoffentlich werden die Liga-Forderungen erfüllt.

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