Sie haben in diesem Jahr 43 Spiele bestritten, so viele wie niemand sonst. Haben Sie sich übernommen?
Belinda Bencic: Eastbourne war schon ein Stress, das muss ich zugeben. Vielleicht wäre es klüger gewesen, dort nicht zu spielen. Nach dem Final in Mallorca bin ich mit der Trophäe und im verschwitzten Rock direkt zum Flughafen gerannt und wir haben fast den Flug verpasst. Erst dann haben wir realisiert, dass der Flug fast eine Stunde Verspätung hatte. Wir sind dann um drei Uhr in der Nacht in Eastbourne angekommen und am gleichen Abend hätte ich bereits wieder spielen sollen.
Sie reden immer davon, dass Sie in der Vergangenheit zu viel gespielt haben. Trotzdem gönnen Sie sich kaum Pausen, weshalb?
Ich kann auch nichts dafür, dass ich mehr gespielt habe als geplant, weil ich öfter gewonnen habe (lacht). Mir ist bewusst, dass ich aufpassen muss, aber auf Rasen möchte ich am liebsten alles spielen. Leider ist die Saison nur kurz. Im Moment fühlt sich mein Körper gut an, und ich habe keine Probleme. Vielleicht spiele ich im Herbst weniger.
Was gefällt Ihnen auf Rasen so gut?
Das ist schwierig zu beschreiben, aber ich fühle mich vom ersten Moment an auf Rasen wohl. Meine Bewegungen fühlen sich natürlich an. Seit meinem ersten Junioren-Turnier auf Rasen. Es war wie Liebe auf den ersten Blick.
Früher sagten Sie immer, Sie schauen von Runde zu Runde. Hand aufs Herz: Studierten Sie die Auslosung in Wimbledon etwas genauer?
Ich schaue jetzt nicht mehr nur auf die nächste Gegnerin an, das stimmt. Ich mache hier nicht auf Understatement. Ich bin sehr selbstbewusst und weiss, dass ich mit allen mithalten kann.
Trauen Sie sich auch den Sieg zu?
Ich möchte jedes Grand-Slam-Turnier, das ich spiele, gewinnen und ich fühle mich bereit dazu. Das wäre schon unglaublich, aber es ist eine lange Reise.
Bei der Auslosung hatten Sie indes wenig Glück. In Ihrem Viertel befinden sich sieben Grand-Slam-Siegerinnen. Wie gehen Sie damit um?
Ich versuche, es so zu sehen, dass ich für die anderen das harte Los bin. Das gibt ein sehr viel besseres Gefühl. Es ist doch so: Willst du ein Turnier gewinnen, musst du sowieso jede schlagen.
Sie waren sehr früh sehr erfolgreich, fielen danach zurück und arbeiten sich nun wieder nach vorne. Hilft Ihnen diese Erfahrung, oder ist es ein Nachteil, weil Sie an diesen Erfolgen gemessen werden?
Die Erwartungen waren bei mir schon immer hoch, weil ich als Juniorin so erfolgreich war. Für mich ging es viel zu früh viel zu schnell nach oben. Andererseits habe ich die Gewissheit, dass ich wieder nach ganz oben kommen kann, weil ich schon einmal dort war.
Seit dem letzten Herbst ist Ihr Vater Ivan auch wieder Ihr Trainer. Wie wichtig war die Zeit ohne ihn?
Sehr wichtig! Es ist nicht so, dass ich ihn gefeuert hätte, oder wir Streit gehabt hätten, wie behauptet wurde. Wir hatten immer Kontakt und er hat sich immer für mein Tennis interessiert. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich meine eigenen Fehler und Erfahrungen machen muss. Dass ich Zeit und etwas Abstand brauche und mit anderen Trainern arbeiten möchte. Als ich im letzten Jahr niemanden hatte, fragte ich Papi, ob er aushelfen würde und es hat sofort gepasst. Meine Situation mit dem Team ist wirklich ausgezeichnet.
Jetzt mal ganz ehrlich, @BelindaBencic: Welche Interview-Frage können Sie nicht mehr hören? Wen würden Sie gerne einmal interviewen? Das etwas andere Interview mit unserer #Wimbledon-Hoffnung. 🎤🎾 #srftennis pic.twitter.com/gENAbuYUUw
— SRF Sport (@srfsport) 30. Juni 2019
Dazu gehört Fitnesstrainer Martin Hromkovic. Er ist auch Ihr Freund. Können Sie das gut trennen?
Das fiel mir noch nie schwer. Für mich ist die Situation optimal. Martin hat ein gutes Gespür für mich und schafft es, mich mit Abwechslung und Kreativität jeden Tag aufs Neue zu motivieren. Zudem ist er streng – bei ihm käme ich nie auf die Idee, zu sagen: keine Lust.
Wie wohnen Sie hier während des Wimbledon-Turniers?
Wir haben eine Haushälfte gemietet, eine Art Bed and Breakfast. Die Frau macht das beste Morgenessen der Welt, im Schweizer Stil – mit Käse, Schinken, Brot, Früchten und Birchermüesli. Zudem haben wir einen grossen Garten. Generell bin ich lieber in Appartements und Häusern als in Hotelzimmern.
Apropos: Wann haben Sie zum letzten Mal im eigenen Bett geschlafen?
Hm, ich weiss es nicht. Das ist eine gute Frage. Was ist eigentlich mein eigenes Bett? Jenes in Oberuzwil im Haus meiner Eltern? Jenes in der Slowakei, das ich mit meinem Freund teile? Oder jenes in Monaco? Ich würde sagen, ich habe drei eigene Betten. Ich führe ein wenig ein Zigeunerleben.
Sind Sie noch nie aufgewacht und wussten nicht, wo Sie sind?
Doch, das ist mir schon mehrmals passiert. Vor allem dann, wenn ich die erste Nacht an einem neuen Ort bin.
Ist das nicht unangenehm?
Manchmal ist es schon traurig, wenn ich lange von zu Hause weg bin. Hier in Europa ist es besser, weil alles nur einen kurzen Flug von dem Ort entfernt bist, der dein Zuhause ist. Wenn ich in Amerika oder Asien bin, ist es anders. Aber ich will mich nicht beklagen.
Das macht es schwierig, Freundschaften zu pflegen. Haben Sie noch Freundinnen aus Ihrer Kindheit?
Ganz ehrlich? Nein. Ich ging in Wollerau zur Schule, aber ich wüsste nicht, wen ich anrufen könnte, um etwas zu unternehmen. Das gleiche gilt für Oberuzwil, wo mein Elternhaus ist. Das ist zwar schade, aber mein Leben findet eben vor allem in Tennis-Kreisen statt.
Werden Sie in der Schweiz auf der Strasse erkannt und angesprochen?
Selten. Wenn mich die Leute mit der Tennistasche sehen schon, aber nicht, wenn ich in Alltagskleidung unterwegs bin. Das darf auch so bleiben (lacht).
Sie haben nun zwei Mal mit Roger Federer beim Hopman Cup in Perth gespielt und den Rummel um ihn erlebt. Sind Sie froh, bleibt Ihnen das erspart?
Er ist so locker und hat immer alles im Griff. Ich bin schon überfordert, wenn zwei Leute gleichzeitig etwas von mir wollen. Aber Roger hat auch lernen müssen, damit umzugehen. Mit 22 konnte er das wohl noch nicht so gut. Aber ich würde nicht so leben wollen, wie er es muss. Ich könnte das nicht.
Was können Sie bei ihm abschauen?
Er ist viel entspannter als ich. Er war ja in meinem Alter auch so emotional wie ich. Er sagte zu mir: Wenn du älter wirst, legt sich das. Zudem kommt er immer gut gelaunt zum Training. Und wenn es ernst gilt, kann er umschalten und völlig konzentriert sein. Das ist auch mein Ziel – diese Gelassenheit.
Tennis ist ja Ihr Beruf und nicht nur Hobby. Kommt es vor, dass Sie keine Lust haben, auf den Platz zu gehen?
Manchmal habe ich weniger Lust, gehe aber trotzdem zur Arbeit, das gehört dazu. Ich habe das Glück, dass mir mein Beruf Freude macht. Die wenigsten Menschen können das von sich behaupten. Dafür bin ich dankbar.