Sie sind mit 22 Jahren als Spieler zum FC Basel gestossen. Wie kam es dazu?
Ich habe in der südbadischen Auswahl gespielt, als eine Anfrage von Delémont kam. Die wollten mich unbedingt, boten mir 15'000 Franken für meine Unterschrift. Ich dachte damals, das kann doch nicht sein, dass ich Geld kriege, um Fussball zu spielen. Der nächste Gedanke war, dass ich ja den FC Basel anfragen könnte, wenn die schon Interesse haben.
Also haben Sie einfach mal angerufen?
Ja, ich habe im Telefonbuch nach Helmut Benthaus (damals FCB-Trainer; die Red.) gesucht und ihn tatsächlich gefunden. Das wäre heute undenkbar. Natürlich hatte ich mich vorbereitet auf dieses Gespräch. Ich stellte mich vor, sagte, was ich mache, dass ich in der Auswahl gespielt und viele Tore geschossen hätte. Er war sofort interessiert, sagte aber, dass ich mich in einer Woche wieder melden soll, weil sie noch mitten in der Meisterschaft steckten. Das machte ich dann.
Haben Sie auch beim FCB eine Antrittsgage gekriegt?
Ich habe 600 Franken gekriegt im Monat. Das war ein ordentlicher Lohn für einen Studenten. Ich studierte in Lörrach an der Pädagogischen Hochschule Mathematik und Sport.
Wie war für Sie eigentlich der Übergang vom Leben als Fussballprofi ins Leben danach?
Das war ein einschneidendes Erlebnis. Eigentlich bin ich dann erwachsen geworden (lacht). Als Spieler hat man viele Freiheiten.
Das war schon damals so?
Man war privilegiert. Natürlich nicht so wie heute. Das kann man nicht vergleichen. Ich habe damals ja auch noch nebenher studiert. Das wäre heute auch nicht mehr möglich. Heute trainieren sie zweimal am Tag. Wir trainierten einmal in der Woche am Morgen, sonst immer abends um 18 Uhr. Ich konnte nebenher das Studium absolvieren. Das ginge nicht mehr. Vermutlich hätte ich meinen Weg in der Welt, wie sie heute ist, gar nie so gemacht.
Warum?
Weil ich wohl kaum nur auf Fussball gesetzt hätte. Dann wäre ich Fussballer gewesen und dann? Mit 33? Dann hätte ich keinen Beruf. Dieses Risiko wäre ich wohl nicht eingegangen, sondern hätte mich für den Lehrerberuf entschieden.
Wann fiel denn eigentlich die Entscheidung, Trainer zu werden?
Ich habe mich 1983 zum Lehramt angemeldet, wollte als Lehrer arbeiten. Aber das Schulamt in Freiburg meinte, weil ich zehn Jahre nicht als Lehrer tätig war, müsse ich eine Nachprüfung machen. Da hätte ich noch einmal viel büffeln müssen, und das wollte ich nicht. Ich war sauer. Und sagte mir, dass ich es als Trainer probiere.
Was in Zug klein begann, hat Sie bis ganz oben gebracht. Sie haben mit Dortmund und Bayern die Champions League gewonnen. Bei Dortmund hat Ihnen der Körper Grenzen gesetzt. Sie erlitten einen Darmdurchbruch.
Ich hatte einen Hexenschuss. Man hat mir Cortison gespritzt, um mich fit zu kriegen. Ein Divertikel im Darm entzündete sich und platzte. Ich hatte einen empfindlichen Magen-Darm-Trakt. Vermutlich weil vieles auf den Magen schlägt, wenn man viele Sorgen hat, viele Probleme, Druck, Stress. Ansonsten wurden mir die Grenzen erst wirklich bewusst, als ich bei Bayern 2004 ein Burnout hatte.
Sie zogen sich zurück.
In Engelberg, wo wir eine Wohnung haben. Damals dachte ich, dass ich nie mehr als Trainer arbeite. Nach anderthalb, zwei Jahren begann ich wieder zu studieren, als Angebote kamen. Das war ein Zeichen, dass es mir wieder besser geht. Nach zweieinhalb Jahren, im Februar 2007 hat mich Uli Hoeness angerufen. Magath hatte gerade gegen Bochum 0:0 gespielt, Bayern war nur Zweiter. Es hat gebrannt in München. Es war Magaths Ende.
Und da konnten Sie nicht mehr Nein sagen.
Ich habe spontan zugesagt. Aber für mich war klar, dass ich das nur bis Ende Saison mache. Februar bis Mai. Überschaubar. Da wusste ich, dass ich nicht in ein Burnout laufe. Zwei, drei Wochen später spielten wir in der Champions League gegen Real Madrid und warfen sie raus. In der Euphorie habe ich ein Jahr verlängert.
Haben Sie das später bereut?
Nein, das nicht. Aber ich merkte schnell, dass ich Gefahr laufe, mich zu sehr zu strapazieren. Der Druck kam wieder, die Erwartungshaltung spürte ich stärker. Ich wollte aufhören, bevor ich in ein weiteres Burnout reinlaufe. Schon neun Monate vor Saisonende habe ich der Vereinsführung gesagt, dass ich nicht verlängern werde. Wir waren zwar vom ersten bis zum letzten Tag auf dem ersten Platz, ein schönes Gefühl, aber die Vernunft hat sich auch dort durchgesetzt. Zugleich kam auch die Anfrage vom Schweizer Fussballverband. Von 50 bis 60 Spielen im Jahr mit Bayern auf 10 bis 15 Spiele mit einer Nationalmannschaft – das ist ein grosser Unterschied.
Haben Sie lange überlegen müssen?
Nein, ich hatte immer ein gutes Verhältnis zur Schweiz. Sie ist mir näher noch als Deutschland, ich bin öfter in die Schweiz gefahren als in den Schwarzwald.
Nachdem Sie 2014 Ihre Karriere beendet hatten, bot ein Klub aus China 25 Millionen Franken, um Sie aus dem Ruhestand zu locken.
Es war ein gigantisches Angebot, eigentlich unmoralisch. Man kann dazu fast nicht Nein sagen. Aber die Vernunft hat in diesem Augenblick die Grenze erkannt. Ich wollte nicht ein weiteres Jahr oder gar zwei Jahre meines Lebens opfern, um in China Geld zu verdienen. Um diese Zeit kam mein erstes Enkelkind auf die Welt, das wollte ich auch erleben, zur Familie schauen. Ich habe damals auch mit meinem Sohn gesprochen, er wird ja wahrscheinlich mal das Vermögen erben.
Sie wollten seine Meinung hören?
Ja, natürlich. Ich habe nie in meinem Leben annähernd so viel verdient. Aber da habe ich eine Grenze gezogen. Vielleicht auch durch die Grenzerfahrungen die ich gemacht habe mit dem Burnout. China wäre eine ganz andere Herausforderung gewesen, eine ganz andere Kultur. Und das mit der Familie. Natürlich hätte ich auch die Familie meines Sohnes mitnehmen können. Wir hätten ein grosses Haus gekriegt. Oder zwei.
Sie sagten trotzdem Nein.
Ja. Ich habe gelernt, zu Entscheidungen zu stehen, die ich einmal getroffen habe. Das ist ähnlich, wie wenn man Aufstellungen macht. Kurz vor einem Spiel kommen fast immer Zweifel. Aber da bringt es nichts, alles über den Haufen zu werfen.
Welche Grenzen mussten Sie als Trainer ziehen?
Man muss die Mannschaft immer im Griff haben, die Zügel straff halten. Die Spieler müssen wissen, wie weit sie gehen können. Ich habe da ja fast schon eine Doktorarbeit in Psychologie gemacht bei Bayern München mit Oliver Kahn, Lothar Matthäus, Mario Basler, Stefan Effenberg. Das sind alles Persönlichkeiten, aber auch verrückte Typen. Die in den Griff zu kriegen, war schon eine Herausforderung.
Wie haben Sie das geschafft?
Ich habe es mir einfach gemacht, indem ich Geldstrafen verhängte. Wenn es eine Schlägerei gab in einer Disco vor einem Spiel, war halt eine hohe Summe fällig.
War das Mario Basler?
Ja, ja. Er stellt das gerne anders dar, dass er gar nicht beteiligt gewesen sei. Aber das weiss ich besser. Oliver Kahn hat die Weihnachtsfeier verlassen, sagte, das Kind sei krank, und dann war er in der Disco. Effenberg wurde mit Alkohol am Steuer erwischt. Das kann man als Trainer auch nicht dulden.
Und warum Geldstrafen?
Weil es für mich gerechter war. Viele sagen, dann setz ihn doch auf die Bank. Aber wenn ich einen Leistungsträger auf die Bank setze, dann schade ich mir selbst. Wenn ich statt Oli Kahn den zweiten Torwart spielen lasse und wir verlieren, dann bin ich am Schluss der Depp. Darum mussten sie hohe Geldsummen für einen karitativen Zweck bezahlen.
Schmerzt Spieler eine solche Strafe überhaupt?
Ja, egal wie viel sie verdienen. Sie müssen eine Strafe zahlen, das ärgert immer. Und wenn es nur ein Strafzettel ist. Die Spieler kriegen zwischen 20'000 und mittlerweile 50'000 Euro Busse. Ich habe mal 100' 000 Euro Busse gesprochen.
Wofür?
Das war für Pizarro und Elber. Die rückten nach dem Winterurlaub zu spät ein. Sie sagten, sie hätten das Flugzeug verpasst und kämen einen Tag zu spät. Dann waren sie auch nicht da. Sie kamen erst am dritten Tag. Sie machten zwei Tage länger Urlaub. Das war respektlos auch gegenüber dem Team, dem Verein. Da musste ich hart durchgreifen.
Sie werden am 12. Januar 70. Entschuldigen Sie die Direktheit, aber fühlen Sie sich alt?
Ich bin eigentlich ein Typ Mensch, der immer im Jetzt lebt. Das Alter spielt im Augenblick keine Rolle. Wichtig sind Gesundheit und körperliche Verfassung. Ich fühle nicht wie ein 70-Jähriger, wie ich früher dachte, dass sich ein 70-Jähriger fühlen muss. Alles ist relativ. Die Familie ist intakt, ich bin gesund, kann das Leben frei gestalten, fast wie ein Künstler. Mein Leben war vorher immer von Terminen bestimmt, alles war vorgegeben. Ich konnte nicht selbst bestimmen, wann in der Bundesliga gespielt wird und wann das Training ist.