Gerardo Seoane, nach wenigen Monaten als Super-League-Trainer
will Sie der Meister
verpflichten. Gab es Momente, in
denen Sie zweifelten?
Gerardo Seoane: Nein. Von Beginn
weg bin ich unbeschwert in die Gespräche
mit YB gegangen. Bereits nach dem
ersten Treffen spürte ich: Das passt
zwischen uns. Deshalb war für mich
immer klar: Sollte sich YB für mich entscheiden,
sage ich zu. Das beinhaltet
natürlich, dass ich mir die Aufgabe zutraue.
Woher kommt dieses Selbstbewusstsein?
Ich habe mich darauf vorbereitet, war
ja schon sieben Jahre als Trainer in Luzern
tätig. Dabei habe ich mich in Bereichen
wie Öffentlichkeitsarbeit und
Führungsqualitäten weitergebildet. Ich
war bereit für meinen Super-League-Start
in Luzern und bin es jetzt auch in
Bern. Das ist zwar eine Stufe höher,
aber immer noch in der Schweiz.
Man kann Kurse absolvieren. Aber
Theorie und Praxis unterscheiden
sich stark. Allein die Medienarbeit
als U21-Trainer ist marginal.
Mein Vorteil ist, dass ich in 16 Jahren als
Profi meine Erfahrungen mit den Medien
gemacht habe. Andererseits kann ich
die Zeit nutzen, um andere Trainer bei
ihren öffentlichen Auftritten zu beobachten
und daraus zu lernen. Wie kommuniziert
ein Ralph Krueger nach dem
WM-Aus mit der Eishockey-Nati? Oder
wie verhält er sich, wenn er die Viertelfinals
erreicht? Wenn man sich bewusst
mit einem Thema auseinandersetzt, erzielt
man Fortschritte.
Ihr Vorgänger Adi Hütter agierte
äusserst kontrolliert und bewusst.
Haben Sie sich vor diesem Interview
auch überlegt, welche Botschaft
Sie platzieren wollen?
Nicht spezifisch auf dieses Interview,
sondern auf den Event, der auf uns zukommt.
Was wollen Sie im Hinblick auf die
Champions-League-Qualifikation
gegen Dinamo Zagreb vermitteln?
Uns erwartet eine grosse Herausforderung.
Wir spielen gegen einen Serienmeister.
Eine Mannschaft, die sich gewohnt
ist, zu gewinnen. Und es erwartet
uns eine spezielle Ambiance:
Abendspiel, alle Augen sind auf uns gerichtet.
Es braucht zweimal eine sehr
konzentrierte Leistung, zweimal eine
möglichst tiefe Fehlerquote, um den
Einzug in die Champions League zu
schaffen. Aber diese Herausforderung
nehmen wir an. Wir wollen in die
Champions League.
Wie gross gewichten Sie die Freude
an dieser Herausforderung?
Die Freude ist spürbar.
Es ist aber bereits auch der
Zeitpunkt der Abrechnung.
Nein, das sehe ich ganz anders. Wir reden
hier von einem Projekt. Und ich habe
für drei Jahre unterschrieben. Wir
wollen national vorne dabei sein. Wir
wollen eine gute Adresse sein für junge
Spieler. In unserer Zusammenarbeit geht
es um viel mehr als eine Begegnung, die
man als Abrechnung bezeichnet.
YB war der Champions League nie
näher. Die Erwartungshaltung ist
enorm. So nach dem Motto: Jetzt
muss es klappen. Muss es?
Entscheidend für mich ist die interne
Grundhaltung. Wir betrachten die beiden
Spiele gegen Zagreb nicht als Last,
sondern als Chance. Wir bürden uns
keinen Druck auf, der lähmt. Wir wollen
den Druck in Energie umwandeln.
Wie es Roger Federer auch immer wieder
schafft. Hunger und Wille sind die
entscheidenden Parameter. Nach dem
Titelgewinn den Hunger auf Erfolg wieder
zu aktivieren – das war einer der
wichtigsten Aspekte meiner bisherigen
Arbeit bei YB. Die Mannschaft brennt
auf diese Chance gegen Zagreb.
Es steht wahnsinnig viel Geld auf
dem Spiel, wodurch YB noch näher
an Basel rücken könnte.
Der Klub ist auf solidem Fundament gebaut.
Der Sportchef, der Geschäftsführer
– alle haben die Zahlen im Griff,
und wir haben deshalb keinen finanziellen
Druck, die Champions League erreichen
zu müssen.
Sie galten als unbequemer Spieler.
Haben Sie als Trainer eine Affinität
für Ihr Alter Ego?
Jeder Trainer hat eine Affinität für jene
Spieler, die helfen, seine Ideen und
Werte umzusetzen. In der Regel sind
das die zentralen Spieler. Wie bei uns
die Achse mit von Bergen, Sanogo und
Hoarau. Ziel muss es aber auch sein,
den Kreis der Leader zu vergrössern.
Haben Sie Verständnis für Spieler
wie Sie einer waren, die nicht alles
abnicken?
Unbedingt. Wenn von den Spielern gefordert
wird, dass sie mitdenken, mitgestalten
und mitentwickeln, sollen sie
auch ihre Meinung sagen dürfen.
Und wenn es kontrovers wird?
Grundsätzlich ist das kein Problem,
wenn es im Dienste der Mannschaft
passiert. Wenn der Spieler im Dienste
der Mannschaft handelt, ist das in meinem
Interesse.
«Im Dienste der Mannschaft». Hängt
dieser Spruch in der YB-Kabine?
Nein. Diese Haltung vermittle ich den
Spielern auf eine andere Weise.
Ihre Bedingungen bei YB sind hervorragend.
Allein, weil Sie das Meister-Team
fast komplett übernehmen
konnten. Ist die Behauptung böse,
mit dieser Equipe surfe jeder beliebige
Trainer auf der Erfolgswelle?
Jeder kann es einordnen, wie er will.
Fakt ist, dass wir uns als Trainerteam
sehr gut gefunden haben und die
Mannschaft voll mitzieht. Es war nicht
angebracht, Sachen, die funktionieren,
zu ändern, schliesslich wurde in den
letzten Jahren sehr gute Arbeit geleistet.
Aber natürlich setze ich Schwerpunkte,
die mir wichtig sind. Als Trainer
bin ich aber nur ein Puzzleteil dieses
Konstrukts.
Wie weit dringen Sie in den
Gesprächen mit den Spielern
in deren Privatsphäre vor?
Um ein Gesamtbild zu erhalten, sind
für mich gewisse Informationen wichtig.
Ausserdem wird bei YB der Familiensinn
grossgeschrieben.
Wie viel Privates geben Sie von sich
preis?
Das interessiert die Spieler nicht. Innerhalb
des Trainer-Teams tauschen wir
uns privat aus. Das ist halt altersbedingt.
Aber mit 39 ist die Altersdifferenz
zu den Spielern nicht derart gross.
Geben Sie bewusst nicht viel von
Ihnen preis, um eine klare Trennlinie
zu schaffen?
Teilweise schon. Verstehen Sie mich
nicht falsch: Ich stecke meine Nase
nicht ständig in die Privatangelegenheiten
der Spieler. Aber mich interessiert
beispielsweise, ob Assalés Familie in
der Schweiz wohnt oder nicht.
Sie haben selbst zwei Kinder.
Ja, eine elfjährige Tochter und einen
neunjährigen Sohn. Aber die Tochter
könnte auch schon 16 sein.
So schwierig?
Nein, überhaupt nicht. Sie geht ihren
Weg und ist für ihr Alter schon sehr
weit.
Wie ist das für Kinder eines Vaters,
der eine öffentliche Person ist?
Sie kriegen davon kaum etwas mit.
Wie soll das funktionieren?
Sie lesen keine Zeitungen und surfen
kaum auf Online-Portalen. Und in der
Schule werden sie selten mit den negativen
Begleiterscheinungen konfrontiert.
In der Schweiz ist das zum Glück
noch möglich.
Nun, nach Ihrem Abgang in Luzern
wurden Sie übelst beleidigt.
Das waren nur vereinzelte Reaktionen.
Zu Hause war das kein Thema.
Finden die Kinder Ihren Beruf
cool?
Der Sohn mehr als die Tochter. Sie
klagt hin und wieder: Schon wieder
Fussball!
Die letzten YB-Trainer könnten in
der Aussendarstellung nicht unterschiedlicher
sein. Der kumpelhafte,
emotionale Uli Forte und der kontrollierte
und distanzierte Adi
Hütter.
Ich bin hier, um als Trainer zu arbeiten.
Das tönte bei Hütter genau gleich.
Mag sein. Aber das ist meine absolute
Überzeugung. Fussball-Trainer ist ein
anspruchsvoller Job. Man muss ihm fast
alles unterordnen.
Bereitet es Ihnen Mühe, ständig unter
Beobachtung zu stehen? Jedes
Bier im Ausgang wird registriert?
Nein, ich kenne fast nichts anderes, seit
ich mit 16 Profi geworden bin. Als Trainer
hüpft man nicht am Open Air auf
dem Gurten herum.
Würden Sie gerne?
Nein, das interessiert mich nicht.
Da ziehe ich es vor, stattdessen ein
Tennis-Match zwischen Federer und
Wawrinka zu schauen.
Welchen Verzicht bedauern Sie?
Gar keinen. Sicher, Freundschaften zu
pflegen, ist schwierig. An den Wochenenden
arbeite ich und Ferien habe ich
meist, wenn alle anderen arbeiten.
Aber der Job gibt mir unendlich viel.
Was gibt Ihnen der Job?
Eine tiefe Befriedigung, weil ich meine
Leidenschaft zum Beruf machen konnte.
Und unglaublich viele Emotionen.
Wir haben das Privileg, Menschen begeistern,
ihnen eine gute Show zeigen
zu können.