«Packing» war das (Un-)Wort der EM 2016. So ziemlich jeder sprach und schrieb über die damals neue Analyse-Methode, welche der deutsche TV-Sender ARD zum Turnier in Frankreich neben der gängigen Statistikwerte wie Torschüsse oder Eckbälle erstmals präsentierte.
Packing werde den Fussball revolutionieren, hiess es damals. TV-Experte Mehmet sprach gar vom «Heiligen Gral, nach dem lange und vergeblich gesucht wurde.» Packing schaffte es, dass sogar der «Postillon» das Analyse-Tool für seine Satire-Texte aufgriff.
Zwei Jahre später scheint es Packing nie gegeben zu haben. Was wurde aus der statistischen Fussball-Revolution?
watson fragte bei Lukas Keppler nach. Der 30-Jährige ist neben Ex-Profi Stefan Reinartz der Co-Chef der Packing-Mutter «Impect GmbH». Er verrät, dass Packing alles andere als tot ist und lediglich zum «Netflix für Vereine» werden will.
Lukas Keppler, was wurde aus Packing?
Lukas Keppler: Medientechnisch ist es
seit der EM um uns ruhiger geworden. Für RTL lieferten wir die Werte bei den
WM-Qualifikationsspielen und die Sportschau nutzt sie wöchentlich – wenn es
auch nur für ein Spiel ist. Das geht in der Berichterstattung aber fast schon
ein bisschen unter. Die Zusammenarbeit mit Medien haben wir selbst nicht mehr
so forciert, weil wir den Fokus auf das Klubgeschäft legen. Wir arbeiten
derzeit mit acht Bundesligavereinen zusammen (Anm. d. Red.: Leverkusen, Frankfurt, Mainz, Hoffenheim, Gladbach, Stuttgart, Schalke, Hannover) und launchen im Sommer ein
Scouting-Portal.
Was für ein Portal ist das genau?
Bislang haben wir ja nur
die Daten der Fussball-Bundesliga erhoben. Jetzt ist es aber für uns möglich zu
sagen, wer zum Beispiel der effektivste Rechtsverteidiger in Frankreich in der
ersten und zweiten Liga ist, oder wer die besten defensiven Mittelfeldspieler in
Holland und Belgien sind. Wir haben jetzt also nicht mehr nur die
Infos zu den grossen Turnieren, sondern decken ab nächster Saison auch zehn bis
zwölf Ligen sowie die Europa League, Champions League und Jugendturniere ab.
Das ist für uns der nächste grosse Schritt. Es wird eine spannende
Zeit, weil wir erstmals auch auf internationale Vereine zugehen können. England
wird der erste Markt sein, den wir angehen werden.
Das Angebot richtet sich also nicht mehr an Fans, sondern an die Klubs. Ein Netflix für Vereine?
Ja, das kann man so sagen. Unser Ziel ist es, den Vereinen eine möglichst
präzise Vorauswahl der effektivsten Spieler eines Wettbewerbs zu liefern. Neben
unseren Statistiken kann man sich auch die dazugehörigen Szenen des Spielers
im Video anschauen. Mit verschiedenen Gewichtungen kann man die Suche auf die
eigenen Bedürfnisse anpassen, zum Beispiel, dass einem die
Balleroberungswerte eines Offensivspielers wichtig sind, weil das eigene Spiel
sehr auf Pressing ausgelegt ist. Oder Bayern München schaut nach einem Sechser,
der sehr ballsicher ist und viele Gegner überspielt. Die Daten können
natürlich auch für die Gegneranalyse verwendet werden. So können sich die Teams
auf den Gegner einstellen und beispielsweise herausfinden, welcher gegnerische
Innenverteidiger das bessere Aufbauspiel hat.
Welche deutschen Spieler
muss man im Fokus bei der WM haben, weil sie so gute Packing-Werte haben?
Das ist kein Geheimnis, aber Joshua Kimmich ist da absolut herausragend und hat
Philipp Lahms Fussstapfen mehr als ausgefüllt. Vor allem was er in der
Offensive abreisst, ist jetzt bereits Bundesliga-Spitze. Bei den Deutschen stehen
ja viele sehr gestandene Jungs auf dem Platz: Bei Toni Kroos oder Thomas Müller
muss man nicht mehr aufzeigen, auf welchem Niveau sie seit Jahren agieren. Gespannt
sind wir auf das erste grosse Turnier von Timo Werner, der seit zwei Jahren
einer der interessantesten Stürmer der Bundesliga ist. Mit seiner Explosivität
und seinen tiefen Laufwegen öffnet er immer wieder Räume für seine Mitspieler,
von denen die gesamte deutsche Offensive profitieren wird.
Wer noch?
Weil zuletzt viel darüber gesprochen wurde: Ein möglicher Ausfall von
Jerome Boateng würde schon sehr schmerzhaft für das deutsche Team sein, weil er
herausragende Daten im Spielaufbau abliefert. Es ist fraglich, ob das ein Niklas Süle
eins zu eins auffangen kann – in der Bundesliga kann er es noch nicht. Ausser Mats Hummels kommt keiner der Innenverteidiger in der Bundesliga an die Daten von
Boateng heran.
Gibt es einen Spieler,
den du vermisst, weil er so gute Packing-Werte hat?
Mitchell Weiser, der
jetzt von Hertha nach Leverkusen wechselt, weist seit Jahren ein sehr hohes bis
herausragendes Niveau in Berlin nach. Bei Hertha BSC hat er nicht nur die meisten
Gegenspieler, sondern auch Verteidiger überspielt, was für einen Verteidiger sehr
ungewöhnlich ist. Er initiiert sowohl den Spielaufbau und leitet auch
gleichzeitig die meisten gefährlichen Angriffe ein. Unter den deutschen
Aussenverteidigern ist in der Bundesliga nur Kimmich besser.