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Interview

FCSG-Präsident Hüppi: «Es gibt keinen Modus, der für alle gut ist»

St. Gallens Praesident Matthias Hueppi beim Fussball Super-League Spiel zwischen dem FC St. Gallen und dem Neuchatel Xamax FCS, am Sonntag, 3. Maerz 2019, im Kybunpark in St. Gallen. (KEYSTONE/Gian Eh ...
Matthias Hüppi ist mit seinem FCSG auf Kurs.Bild: KEYSTONE
Interview

FCSG-Präsident Hüppi: «Was bei uns passiert, ist ein Musterbeispiel für Teamarbeit»

Am Sonntag beginnt für den FC St.Gallen mit dem Heimspiel gegen Lugano die zweite Saisonhälfte. Präsident Matthias Hüppi spricht im Interview über den Meistertitel 2000, wirtschaftliche Zwänge und eine verpasste Chance mit Trainer Peter Zeidler.
23.01.2020, 15:38
christian brägger, Patricia loher / ch media
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Wissen Sie noch, was am 21. Mai 2000 war?
Matthias Hüppi: Der FC St.Gallen wurde Schweizer Meister.

Das letzte Spiel dieser Saison wird der FC St.Gallen am 21. Mai 2020 austragen. Was passiert dann?
Wir spielen auswärts gegen die Young Boys. Aber das ist eine Fangfrage. Wir sind nicht derart abgehoben, dass wir uns mit einer Finalissima auseinandersetzen. Sicher nicht. Wir wissen, woher wir kommen und dass die Konkurrenz stark ist. Und wir befinden uns heute nicht mehr in einer Zone, wo wir sagen: Hier oben bleiben wir automatisch.

Das erste Auswärtsspiel gegen YB war ein Spektakel.Video: YouTube/SRF Sport

Vor zwanzig Jahren moderierten Sie die Live-Einschaltung des Schweizer Fernsehens zur Meisterfeier in St.Gallen. Was für Erinnerungen haben Sie an jenen Tag?
Wir wussten nicht, ob wir die ganze Infrastruktur vergeblich nach St.Gallen transportiert hatten, weil ja nicht feststand, ob der Club an jenem Tag tatsächlich Meister würde. Aber es war ein Volltreffer. Die Mannschaft schaute das Spiel zwischen Servette und Basel in den Räumlichkeiten einer Bank. Nachdem Servette der Ausgleich gelungen war, versammelten sich draussen auf dem Marktplatz immer mehr Leute. Und dann ging es ab.

Vor 20 Jahren wurde St.Gallen sensationell Schweizer Meister.Video: streamable

Danach war der FC St.Gallen lange eine graue Maus. Die Wahrnehmung hat sich in dieser Saison wieder verändert. Nun werden die Erfolge in der Romandie und im Tessin wahrgenommen. Verspüren Sie Genugtuung?
Natürlich freut uns das. Aber es ist nicht unser Antrieb. An der Gala der Swiss Football League in Bern am Montag erhielten wir sehr viele Reaktionen – aus der ganzen Schweiz. Alle staunen und viele glauben, wir hätten ein Budget von zwölf Millionen Franken oder mehr zur Verfügung. Das zeigt, dass erfolgreicher Fussball zum Glück nicht nur eine Frage des Geldes, sondern vor allem auch eine Frage der Mentalität ist. Was in St.Gallen passiert, ist ein Musterbeispiel für Teamarbeit.

Das Geld in St.Gallen ist permanent knapp. Besteht die Gefahr, von diesem sportlichen Erfolg schnellstmöglich profitieren zu wollen und das Tafelsilber beim ersten Angebot zu verscherbeln?
Es ist ein Spagat zwischen den sportlichen Ambitionen und der wirtschaftlichen Stabilität. Das geht allen Klubs so. Selbst Salzburg verkauft seine Spieler während der Saison, und zwar Spieler, die stechen. Auch da ist es Teil des Geschäftsprinzips. Entscheidend ist, dass man immer weiss, was man macht, wenn so ein Fall eintritt. Nur dann muss man keinem Spieler nachtrauern.

Dann waren Sie nicht enttäuscht, dass sich mit Goalie Dejan Stojanovic einer entschied, den Weg nicht mehr mit St.Gallen weiterzugehen?
Ist ein Projekt wie dasjenige mit Middlesbrough sinnvoll, stellen wir uns nicht quer. Aber wir hätten diese Freiheit gehabt, Dejan Stojanovic hatte ja noch einen Vertrag mit uns. Er kam zu mir ins Büro und es war ein sehr emotionaler Abschied. Natürlich muss man bei einem möglichen Abgang intern abwägen und über allem steht, eine einheitliche Meinung zu haben: Trainer, Sportchef, Präsident.

Sie sagen, der FC St.Gallen habe die Freiheit, einen Spieler nicht ziehen zu lassen. Aber genau diese Freiheit hat er doch aufgrund des ökonomischen Drucks nicht.
Theoretisch haben wir sie. Aber eben, es gibt die wirtschaftliche Seite und die menschliche Seite. Wir waren nicht unter Zwang, Stojanovic um jeden Preis zu verkaufen. Wir nehmen nicht jede Offerte an. Wir haben schon unsere Vorstellungen.

Und wenn dann Cedric Itten für sechs Millionen wechselt, ist die Saison finanziell gerettet?
Wir wollen, dass Cedric bei uns bleibt. Er passt zu uns. Es ist aber schon klar, dass ein Spieler mit seinen Qualitäten Aufmerksamkeit erregt und er irgendwann den nächsten Schritt machen wird. Doch auch dieser Schritt ist nicht nur eine Frage des Geldes. Im Budget haben wir einen gewissen Anteil an Transfererlösen. Wir budgetieren defensiv, um auf eine schwarze Null zu kommen.

«Wir sagen nicht: Vielleicht schneit es uns mit einem Verkauf noch eine Million rein und dann schaut es gut aus.»

Alles, was über das Budget für Transfererlöse hinaus geht, bleibt im Sport, um Reserven in der Hand zu haben für neue Projekte. Oder um auch einmal einen Spieler halten zu können, der ansonsten wahrscheinlich wechseln würde.

Hiefür soll ja auch die Aufstockung des Aktienkapitals dienen.
Was wir mit dem Kapital an zusätzlicher Stärke gewinnen werden, fliesst in den Sport. Wir haben aber auch eine langfristige Verantwortung. Da braucht es Reserven. Wenn wir unsere Ausgangslage anschauen, muss man zudem sagen: Sportchef Alain Sutter hat einen unglaublichen Job gemacht. Ohne finanzielle Reserven stellte er im Sommer 2018 eine Mannschaft zusammen. Das ist der St.Galler Weg. Und unser Trainer Peter Zeidler zieht voll mit. Die Aufgabe reizt ihn. Es ist ja erwiesen, dass er junge Spieler weiterbringt. Junge Spieler, auch junge Schweizer, die irgendwo auf der Welt spielen, werden auf uns aufmerksam. Auf einmal ist einer hier, dann gibt man ihm Zeit und plötzlich ist er Stammspieler.

Um wie viel soll das Aktienkapital aufgestockt werden?
Das kann ich noch nicht genau sagen und ist ein umfassendes Projekt, das mit unseren engagierten Aktionären fein abgestimmt werden muss.

St. Gallens Sportchef Alain Sutter, links, und Praesident Matthias Hueppi, beim Fussball Super-League Spiel zwischen dem FC St. Gallen und dem Neuchatel Xamax FCS, am Sonntag, 24. November 2019, im Ky ...
Matthias Hüppi und Alain Sutter haben den FCSG zum Erfolg zurück geführt.Bild: KEYSTONE

Als Sie kamen, waren Sie das Aushängeschild des Klubs. Das hat sich nun Richtung Zeidler verschoben. Nehmen Sie das auch so wahr?
Ich will starke Leute im FC St.Gallen. Es ist für mich entscheidend, dass ein Trainer den Kontakt pflegt mit der Basis in der Region. Ich spüre, dass ihn das interessiert, so stelle ich mir das vor.

Waren Sie enttäuscht, dass er nicht Trainer des Jahres wurde?
Ja, natürlich. Er hätte es verdient gehabt. Gerardo Seoane ist ein hervorragender Coach, YB-Meistertrainer und ein guter Typ. Ich habe auch ein gutes Verhältnis mit Marcel Koller. Aber aufgrund der Geschichte hätte Peter Zeidler den Titel sicher verdient. Es wäre auch ein Wegkommen von den Konventionen gewesen: Man muss Meister oder Cupsieger werden, um Chancen auf diesen Titel zu haben. Aber man hätte auch einmal einen mutigeren Weg gehen können. Man hat eine Chance verpasst, einen Farbtupfer zu setzen. Natürlich, ich trage mittlerweile die grün-weisse Brille. Aber ich muss nicht mehr neutral sein. Das war ich beim Fernsehen 38 Jahre lang. Im übrigen hat Jordi Quintillà für mich das schönste Tor des Jahres erzielt.

Die Zwölferliga wie in Schottland wird gerade diskutiert. Welcher Modus wäre für St.Gallen gut?
Es gibt keinen Modus, der für alle gut ist. Das Dümmste wäre, wenn ein neuer Modus nicht besser ist als derjenige, den man hatte. Wenn die deutliche Mehrheit im Schweizer Profifussball der Meinung ist, man soll auf zwölf Teams aufstocken, verschliesse ich mich nicht. Ich bin aber dagegen, dass die Anzahl Spiele kleiner wird. Das ist für uns relevant, egal ob Skiferien, Sommer, Winter, Fasnacht. Wir haben immer viele Zuschauer im eigenen Stadion. Deshalb ist im Moment das schottische Modell mit insgesamt 38 Spielen naheliegend. Den Wundermodus gibt es sowieso nicht.

Blicken wir in die Zukunft des FC St.Gallen: Er bleibt Dritter, im nächsten Sommer werden ihm aber viele Spieler weggekauft.
Das steht nirgends geschrieben. Wir werden alles dafür tun um unser Team zusammenzuhalten und sicher nie jammern. Wir müssen, wenn es soweit wäre, einfach Lösungen parat haben. Wir geben jetzt ja auch kein Rangziel bekannt. Schauen Sie, es ist eine grosse Überraschung, dass wir Dritter sind zur Winterpause. Unsere Freunde von CH Media tippten uns ja alle auf den neunten oder zehnten Platz. Nur der Luzerner Redaktor gab uns viel Kredit, er war halt begeistert von uns.

Sie registrieren Prognosen?
Prognosen gehören dazu, sie sind eine Spielerei. Für unsere Arbeit sind sie mir jedoch schnurzegal. Aber ich kenne die Leute ja und denke dann, du würdest es wohl gerne sehen, wenn wir abschiffen. Für uns ist es ja auch eine Überraschung, dass es so schnell so gut lief. Ich nenne als Bild immer diesen grün-weissen Leuchtturm mit ein paar rostigen Flecken. Wir müssen diese Flecken wegbringen, werden sie aber nicht übermalen, sondern von innen heraus verbessern. Sie werden jedoch nie ganz verschwinden, das ist einfach der FC St.Gallen. Heute haben wir jedenfalls eine Stufe erreicht, von der es uns nicht mehr ganz wegspülen kann: Wenn jemand normal tickt und uns wohl gesinnt ist, kann er uns nicht in drei Monaten sagen, alles sei schlecht.

Ist es für den FC St.Gallen möglich, in der Super League vom klammen Ausbildungsverein wegzukommen und einen grundlegend verbesserten Status zu erreichen?
Ja. Aber wir werden nicht über Nacht der FC Basel sein. Das hat sehr viel mit der Champions League zu tun. Bei den Young Boys war es viel Sisyphus-Arbeit mit viel Geld. Und doch dauerte es lange, bis sich der Erfolg einstellte. Wenn wir unser Grundkonstrukt zusammenhalten können, mit Mentalität, Engagement, «Knochenbüez» und Leidenschaft, dann kann unser Weg schon dereinst auf eine andere Ebene führen. Wir wissen jetzt, was in unserer Mannschaft steckt, die Spieler sind wild und zu allem entschlossen.

St. Gallens Praesident Matthias Hueppi beim Fussball Super-League Spiel zwischen dem FC St. Gallen und dem Grasshopper Club Zuerich, am Mittwoch, 3. April 2019, im Kybunpark in St. Gallen. (KEYSTONE/G ...
Hüppi versucht, die Euphorie rund um den FCSG etwas zu bremsen.Bild: KEYSTONE

Welches war das Spiel der Vorrunde, das Sie am meisten begeisterte?
Für mich sind es jene Spiele, in denen das Stadion zu einer Einheit wurde. Die Kurve, alle Sektoren, das ist der Traum von mir. Dann ziehe ich mich in die Katakomben zurück und habe einfach «megafreud». Beim Auswärtsspiel in Sitten war ich überzeugt, dass es sehr gut kommt. Wir gingen ins Wallis, da waren Doumbia, Kasami, Behrami – sie wussten nachher nicht, wo ihnen der Kopf steht. Unsere Spieler liessen ihnen keinen Millimeter Platz.

Wie muss man sich die Heimfahrt mit Matthias Hüppi aus dem Wallis nach einem 2:1-Sieg vorstellen?
Ich bin meistens mit meiner Frau unterwegs. Dann ist es einfach cool, und ich habe das Gefühl, ich sitze in einem Flieger. Alles ist gut. Auch wenn wir verlieren, baue ich auf und werde nie laut gegenüber Spielern und Trainern. Dann stelle ich mich vor sie und verteidige sie wie eine Löwin ihre Kleinen.​

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6 Kommentare
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SörgeliVomChristophNörgeli
23.01.2020 15:49registriert August 2019
Hopp Sännggallä, füre mit em Ballä. Mag es euch gönnen, wenn ihr vorne mitspielt und ich hoffe, dass ihr euch neben Basel/Bern dort vorne etabliert. So wird die Meisterschaft in der Schweiz wieder etwas spannender.
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naegi
23.01.2020 16:09registriert April 2017
Video zur Meisterfeier -> Hühnerhaut
Hopp San Gallä!
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Dr Schiwago
23.01.2020 18:25registriert Januar 2020
Hüppi ist ein Hero, wer hätte das gedacht. Es ist einfach der gute Teamgeist der vorhanden ist, natürlich auch furch diese vielen Talente. Hut ab !
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