In Zeiten der Coronavirus-Pandemie sind auch die Interviews anders, als man sich das gewohnt ist. Statt wie üblich im Stadion oder in einem Café finden die Gespräche per Telefon statt. Wir erreichen ZSC-Stürmer Denis Hollenstein an seinem freien Nachmittag.
Denis Hollenstein, Sie spielen in dieser Saison individuell so stark auf wie seit fünf Jahren nicht mehr. Was sind die Gründe?
Ich fühle mich sehr wohl. Natürlich habe ich auch super Mitspieler, was immer hilft. Die Pucks fallen einfach rein, ich muss einfach schiessen. Was sicher auch hilft, ist, dass wir ein längeres Sommertraining hatten, als wir uns das gewohnt sind.
Also fühlen Sie sich fitter als in den letzten Jahren.
Ja, sicher. Wir hatten ein einwandfreies Sommertraining und arbeiten auch jetzt weiterhin an unserer Fitness. Das zahlt sich schon aus, wenn du im Sommer eineinhalb Monate länger hast, um dich auf eine Saison vorzubereiten.
Haben Sie mit fortschreitendem Alter auch Ihr Spiel und Ihre Routinen angepasst, um den Strapazen einer National-League-Saison gerecht zu werden?
Nicht besonders. Ich würde sagen, ich trainiere etwas gezielter als noch früher. Mit Übungen, die komplett aufs Eishockey ausgerichtet sind. Aber ich glaube, das ist ein allgemeiner Trend im Sport.
Haben Sie mit Sven Andrighetto eigentlich eine Wette am Laufen, wer mehr Tore schiesst in dieser Saison?
(lacht) Nein gar nicht. Wir versuchen beide uns gegenseitig zu helfen. Es war schön zu sehen, dass es ihm gleich auf Anhieb so gut lief.
Sie sind selbst schon sehr erfahren. Können Sie trotzdem von einem Spieler wie Andrighetto und dessen Erfahrungen profitieren?
Man kann von jedem Spieler profitieren. Es geht darum, jeden Tag besser zu werden und etwas Neues dazuzulernen. Man sieht immer wieder etwas, das man sich abschauen kann. Bei «Ghetto» ist das beispielsweise der Speed und wie er zur Scheibe Sorge trägt.
Es fällt auf, dass Sie die ganze Saison über immer wieder mit vielen verschiedenen Spielern in einer Linie gespielt haben. Der Erfolg bleibt aber konstant.
Ich versuche einfach, mein Spiel durchzuziehen. Natürlich wäre es cool, immer mit den gleichen Spielern zusammenzuspielen. Aber wir hatten Verletzungen und sonstige Ausfälle. Da muss man das Beste daraus machen und versuchen, die eigenen Mitspieler besser zu machen. Ich glaube, das ist mir gut gelungen.
Was bedeutet das für Sie, Ihr Spiel durchzuziehen?
Mein Spiel versuche ich relativ einfach zu halten: Geradlinig spielen und den Zug aufs Tor suchen. Es soll nicht kompliziert sein. Wenn wir eine Chance haben, auf die Kiste loszuziehen, dann gehen wir auch.
Sie wirken gegen aussen immer relativ ruhig und besonnen. Geben Sie in der Kabine auch mal den Tarif durch?
Ich kann durchaus mal lauter werden. Zwischendurch ist das auch notwendig und wird auch gemacht.
Vor dem Sieg gegen Zug waren die ZSC Lions in eine kleine Minikrise gestürzt. Was war los?
Das werden wir immer wieder gefragt. Wenn wir die Antwort wüssten, könnten wir es auch verhindern, überhaupt in eine solche Phase zu kommen. Wir sind defensiv vermutlich nicht ganz so gut gestanden, wie wir das üblicherweise tun in dieser Saison. Dann wird es in dieser Liga schon schwierig.
Braucht eine Mannschaft zwischendurch auch ein kleines Tief, um im Kampf um die Meisterschaft für alles vorbereitet zu sein?
Man kann aus jeder Situation etwas Positives herausziehen. Wir haben gewusst, dass es so nicht weitergehen kann und dass wir über die Bücher müssen. Der Match gegen Zug war dann schon wieder sehr gut. Darauf können wir aufbauen.
Wo müssen sich die ZSC Lions noch verbessern, um in den Playoffs zu bestehen?
Auf die Playoffs hin müssen wir überall noch zulegen. Wenn wir dort weit kommen wollen, müssen wir auf allen Ebenen top sein. In der Mannschaft müssen alle am gleichen Strick ziehen, alle das Gleiche wollen. Ich bin überzeugt, dass wir jetzt schon einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung gemacht haben.
Der Meistertitel fehlt noch in Ihrem Palmarès – was würde er Ihnen bedeuten?
Das ist das grösste Ziel, das jeder Hockeyspieler hat. Ich glaube, es wäre das Highlight meiner Karriere.
Und was spricht dafür, dass es dieses Jahr mit den ZSC Lions klappt?
Das ist noch ein ganz langer Weg. Ich habe vollstes Vertrauen in die Mannschaft, aber jetzt müssen wir zuerst die nächsten Spiele in Angriff nehmen. Alles andere ist zu weit vorausgedacht.
Diese Saison ist so oder so speziell. Wie seid Ihr als Mannschaft mit Quarantänen und kurzfristigen Spielverschiebungen umgegangen?
Am Anfang war das sicher schwierig. Aber nach der ersten Quarantäne wussten wir, dass es immer passieren kann. Viel ändern kannst du daran sowieso nicht. Du sitzt einfach zu Hause, versuchst, dich fit zu halten und die Zeit so gut es geht abzusitzen. Wir sind uns auch bewusst, dass wir äusserst privilegiert sind, dass wir unseren Beruf trotz der aktuellen Situation ausüben dürfen. Es ist schön, dass wir jeden Tag in die Eishalle dürfen. Das hilft uns, das alles gut zu meistern.
Mit 23 Jahren sind Sie von Ihrem Jugendklub Kloten nach Genf gewechselt. Warum hatten sie sich damals zu diesem Schritt entschieden?
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich – abgesehen von einem Abstecher in die kanadische Juniorenliga – meine ganze Karriere bei Kloten verbracht. Für mich war damals die Zeit gekommen, um auch mal etwas anderes zu sehen. Ich habe viele Erfahrungen gemacht und durfte den Spengler Cup gewinnen. Das war riesig.
Was war härter: Als junger Spieler in die Westschweiz zu ziehen oder den Kloten-Fans zu sagen, dass Sie zum ZSC wechseln?
Definitiv das Zweite. Wie ich schon damals betont habe, war das kein einfacher Schritt. Aber ich will auch mal noch Schweizer Meister werden. Bei Kloten war die Situation damals unklar, viele Spieler haben den Klub verlassen und niemand wusste, wie es genau weitergeht. Bei den ZSC Lions bot sich mir eine riesige Chance. Sie haben in den letzten Jahren schon mehrfach gezeigt, dass sie den Titel holen können.
Ganz grundsätzlich war die letzte Saison bei Kloten extrem schwierig. Sie waren Captain und Topskorer, konnten aber den Abstieg nicht verhindern. War die Last auf Ihren Schultern zu gross?
Ich glaube nicht. Wir hatten eine gute Mannschaft, aber wenn du einmal in einer solchen Negativspirale drin bist, ist es extrem schwierig, wieder herauszukommen. Man hat es dann auch gesehen, dass wir nicht annähernd unser volles Potenzial abrufen konnten. Vieles spielte sich im Kopf ab.
Was haben Sie aus dieser Saison gelernt?
Extrem viel. Damals war es definitiv nicht einfach, mit diesem Druck umgehen zu können. Aber für die Zukunft hat mich das stärker gemacht.
Bei Kloten waren Sie nicht nur Captain, sondern auch Identifikationsfigur und Publikumsliebling, beim ZSC dann plötzlich noch einer von vielen.
Es war natürlich etwas ganz anderes. Ich wurde aber sofort sehr gut aufgenommen, vom Publikum wie auch von der Mannschaft. Viele Spieler habe ich schon gut gekannt, was es nochmals deutlich einfacher machte. Die Jungs haben mir geholfen, wo sie konnten.
Ist es Ihnen fast lieber, nicht ständig im Rampenlicht zu stehen, oder wünschten Sie sich manchmal wieder eine grössere Rolle?
Nein, wir haben viele gute Spieler hier beim ZSC, die Last ist so gut verteilt. Es macht es auch etwas einfacher, wenn nicht immer ich der Spieler bin, der nach dem Spiel das Interview geben muss.
Trainer Rikard Grönborg ist nun in seiner zweiten Saison beim ZSC. Länger war noch kein Trainer beim Team, seit Sie ebenfalls dort sind. Was zeichnet ihn aus?
Grönborg ist das gesamte Paket. Er hat viel Erfahrung, kommuniziert gut und hat eine klare Vorstellung davon, wie wir spielen sollen. Wir wissen alle, was wir zu tun haben und jeder Spieler will das auch umsetzen. Das ist sehr wichtig für eine Mannschaft.
So wie Sie aktuell spielen, sollen Sie auch für die Nationalmannschaft wieder ein Thema sein. Stehen Sie in Kontakt mit Patrick Fischer?
Dieses Jahr gar nicht. Ich habe ein Mail erhalten, dass die Turniere unter der Saison nicht stattfinden und mehr Informationen gab es bislang noch nicht.
Die nächste WM findet nun komplett in Lettland statt. Weissrussland/Belarus wurde als Co-Gastgeber gestrichen. Haben Sie als potenzieller WM-Teilnehmer diese Debatte mitverfolgt?
Nein. Im Moment konzentriere mich voll auf die Saison mit dem ZSC. Erst wenn die Playoffs vorbei sind, wird die WM zum Thema.