Zürich* meint: Zürich und Umland.
Warum? Es ist die Frage aller Fragen, die mich wieder einmal ereilt. Im Aufstieg zum Gottschalkenberg. Steil ist er und die Sonne knallt auf mich runter, dass der Schweiss nicht tropft, sondern in Bächen fliesst. Warum also tue ich mir das an?
Tags zuvor steige ich am Bahnhof Stadelhofen aus dem Zug und rolle mit dem Rennvelo zum Chinagarten. Dort beginnt die Samstags-Etappe des Gigathlons. Und sie beginnt gleich mit einem nicht zu unterschätzenden Anstieg hinauf nach Witikon. Doppelt hart für die Single-Athleten, die dann bereits einen 12 km langen Trailrun durch die Stadt und drei Kilometer im Zürichsee hinter sich haben.
Als Mitglied eines Fünfer-Teams darf ich mich also nicht beklagen; erst recht nicht, da anschliessend die Abfahrt hinunter nach Dübendorf ansteht. Schon bald beginnt ein längeres Auf und Ab in Richtung Tösstal. Dort steht das Haupthindernis des Tages an: Der Aufstieg hinauf von Wila nach Sitzberg und noch etwas weiter bis Sternenberg. Gut, dass ich diese Gegend gut kenne und weiss, wo ich Brunnen zum Auffüllen des Bidons finde.
Frisches Wasser brauche ich, denn gemütlich wird die Fahrt bis ins Etappenziel in Uster nicht. Kaum wieder unten im Tösstal geht's auch schon wieder auf der anderen Talseite hoch nach Dürstelen.
Welch ein Kontrast zur Stadt Zürich und seinem wunderbaren Speckgürtel voll mit Autohändlern, Einkaufszentren und Fabriken! Abgelegen ist dieses kleine Dürstelen, scheinbar fernab der Zivilisation. Auch das ist der Kanton Zürich: ein Bergkanton. Keine ganz neue Erkenntnis, aber Gigathleten, die aus den «richtigen» Bergen kommen, dürfte es überraschen.
Am nächsten Morgen bin ich wieder auf dem Velo, dieses Mal bei der Allmend Brunau. Dort wird das Zentrum des Gigathlons eingerichtet und am Sonntag befinden sich Start und Ziel aller Disziplinen dort. Nun, wenn die Beine nach 80 Kilometern und rund 1600 Höhenmetern am Vortag schon etwas schwerer sind, wird eine kurze Einrollphase gewährt. Doch schon bald geht es wieder in die Höhe: auf den Albispass.
Als ich es geschafft habe, wartet oben die Polizei. Aber nicht auf mich, sondern auf die unzähligen Töfffahrer, die an diesem Sonntag ebenfalls unterwegs sind. Die Grosskontrolle verleitet mich zu einem Grinsen und – zugegeben ein bisschen asozial – ich wünsche mir, dass manch einer, der nur knapp und laut knatternd an mir vorbei raste, sein Portemonnaie zücken muss.
Nun verlässt der Gigathlon den Kanton Zürich. Es geht nach Sihlbrugg und hinauf nach Menzingen ZG. Von dort aus gilt es, auf einer schmalen Nebenstrasse, den Gottschalkenberg zu erklimmen. Grandios ist die Aussicht, kaum vorhanden der Verkehr. Ein Bijou. Das nur einen Haken hat, dafür einen gravierenden: Die Auffahrt ist zum Teil sehr steil. So steil, dass ich mich mühelos dazu überwinden kann, kurze Fotostopps einzulegen.
Warum tue ich mir das an? Die Frage schiesst mir hier durch den Kopf – wie so oft, wenn ich mich in einem happigen Anstieg befinde. Sie ist nicht einfach zu beantworten, ich könnte eigentlich ja auch umdrehen. Aber ein sehr guter Grund ist mit Sicherheit das Gefühl von grosser Befriedigung und Freude, das sich beim Erreichen der Passhöhe einstellt. Wieder einmal habe ich es geschafft und zu Befriedigung und Freude gesellt sich auch eine gewisse Erleichterung.
Eigentlich, so habe ich es mir vorgestellt, würde ich auf dem Gipfel des Ausflugsbergs das Schlimmste hinter mir haben. Wie es scheint, habe ich mich getäuscht. Denn nach der rasanten Abfahrt via Ratenpass in Richtung Biberbrugg muss ich schon wieder aufs kleine Kettenblatt schalten, erneut geht es nach oben.
In Bennau SZ kommt mir beim Anblick des Skilifts der frühere Riesenslalomfahrer Urs Kälin in den Sinn und nachdem Einsiedeln erreicht ist, bin ich erst recht von Kälins umgeben. Kaum ein Geschäft, dessen Besitzer hier einen anderen Namen trägt. Nur das asiatische Restaurant macht nicht mit. Dabei könnte es sich doch «Kän Kä Lin» taufen …
Für Frühlingsrollen habe ich aber ohnehin keine Zeit, nun geht's auf dem Damm über den Sihlsee nach Egg SZ hinüber und dort auf den Etzelpass hinauf. Was verfluche ich die Organisatoren des Gigathlons! Denn plötzlich wird die Strasse beinahe überhängend steil und der kleinste Gang ist schon lange viel zu gross. Ich höre erst am Abend auf zu schimpfen, als ich feststelle, dass ich einen falschen Weg gefahren bin. Die Gigathlon-Strecke ist zwar auch steil. Aber sie kann unmöglich so steil sein wie jene Passage, die ich absolviert habe.
Nun ist der Rest der zweiten Etappe beinahe «geschenkt». Es geht durch Feusisberg – jedes Mal der gleiche Gedanke: «Wieso habe ich hier eigentlich keine schöne Villa?» – und nach Schindellegi, ehe die Route hinunter nach Wädenswil und an den Zürichsee führt. Diesem entlang werden die letzten ungefähr 20 Kilometer zurück zur Allmend Brunau gekurbelt. Nur ein fieser Scherz der Streckenbauer sorgt nun noch für Aufsehen: Eine kurze, aber richtig steile Rampe mit rund 20 Prozent Steigung.
Während für mich danach Feierabend ist, nach knapp 100 Kilometern mit etwa 1800 Höhenmetern, wechseln die Single-Athleten nur rasch das Velo. Ihnen stehen nun noch 59 Kilometer auf dem Mountainbike und ein weiterer Trailrun bevor, bis auch sie die Ziellinie überqueren. Mit der Erkenntnis, dass Zürich auch ein Bergkanton ist – vor allem dann, wenn man grosszügig auch noch die unmittelbare Nachbarschaft dazuschlägt.