«Money, Money, Money». Den Abba-Klassiker spielte der Stadion-DJ von Fortuna Düsseldorf, als die Spieler von Red Bull Leipzig das Stadion betraten. Ein Song als (freundliches) Sinnbild für die Verachtung, die dem Verein entgegenschlägt. Dabei sollte zumindest ein Teil Deutschlands froh sein, dass der österreichische Energydrink-Konzern klotzt und nicht kleckert.
Im Sommer 2009 stieg Energie Cottbus ab – und mit den Lausitzern die gesamte ehemalige DDR. Bis heute hat es kein Klub aus den längst nicht mehr so «neuen» Bundesländern ins Oberhaus des deutschen Fussballs geschafft (Hertha BSC war während der Zeit des getrennten Deutschlands in West-Berlin und zählt deshalb nicht als Ost-Klub).
Rund ein Sechstel der deutschen Bevölkerung lebt in den Bundesländern Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, welche nach dem zweiten Weltkrieg die DDR bildeten. Würden die Ligen nach geografischen und bevölkerungsreichen Aspekten geordnet, müssten je drei Ost-Klubs in der 1. und in der 2. Bundesliga vertreten sein.
Die Realität sieht anders aus. Red Bull Leipzig, Erzgebirge Aue und Union Berlin bilden als Zweitliga-Klubs die Speerspitze der Ex-DDR-Vereine.
Die Milchbüchlein-Rechnung geht im (europäischen) Sport bekanntlich aber ohnehin nicht auf. In der Schweiz ist die lateinische Schweiz momentan krass untervertreten in der Super League mit ihren zehn Teams, einzig der FC Sion aus dem zweisprachigen Kanton Wallis ist kein Deutschschweizer Klub. Doch in Deutschland, wo 18 Klubs die 1. Liga bilden, sollte zumindest ein Ost-Klub zum Elitezirkel gehören.
Womit wir bei einem potenziellen Aufsteiger des Sommers 2015 angelangt sind: Dem RasenBallsport Leipzig e.V. In der Tabelle wird der Klub RB Leipzig genannt. Dabei weiss jeder, wofür die Abkürzung wirklich steht: Red Bull Leipzig. Nur haben die Verbandsfunktionäre diesen Namen verboten.
Der Hauptsponsor ist mehr als nur Geldgeber. Der Verein gehört dem Energydrink-Hersteller aus Österreich, weshalb die Roten Bullen für die grosse Mehrheit der deutschen Fussballfans ein rotes Tuch sind.
Dabei hat der Kommerz längst überall Einzug gehalten. Was Fans sogenannter Traditionsklubs dem Emporkömmling vorwerfen, findet im eigenen Garten längst statt. Das Stadion des notorischen Verliererklubs Hamburger SV hiess zunächst AOL Arena, dann HSH Nordbank Arena und aktuell Imtech Arena. Vom FC Schalke 04 gibt es Gartenzwerge, Topflappen und Bratpfannen zu kaufen. Wie St.Pauli sein Image als rebellischer Kult-Klub pflegt und vermarktet, hat mit Rebellion so viel zu tun wie ein Konzert von Helene Fischer. Und Bayer 04 Leverkusen (Bayer-Chemie) gehört ebenfalls einem Grosskonzern wie der VfL Wolfsburg (Volkswagen).
Wieso also stört sich Fussball-Deutschland so an Red Bull Leipzig? Der Klub habe keine Seele, wird ihm vorgeworfen. Er sei ohnehin nur ein Vehikel, um für ein Getränk zu werben. Dass der Deutsche Sebastian Vettel seine Weltmeistertitel für ein Formel-1-Team namens Red Bull eingefahren hat, scheint den Sportfans zwischen Konstanz und Flensburg egal zu sein. Sie haben vermutlich auch gestaunt und zugeschaut, als Felix Baumgartner aus der Stratosphäre gesprungen ist – ein PR-Stunt für Red Bull.
Fabio Coltorti, der ehemalige Schweizer Natigoalie, hat sich längst an die Schmährufe der gegnerischen Fans gewöhnt. Seit 2012 steht er im Leipziger Kasten, ist mit dem Klub von der vierten in die zweite Liga aufgestiegen. «Es ist okay, dass wir ein bisschen polarisieren», sagte Coltorti vor einigen Wochen im «SonntagsBlick». Dennoch empfindet er das ständige Gerede als aufgebauscht: «Andere Vereine brauchen auch Sponsoren.»
Coltorti fühlt sich wohl in Leipzig. Der 33-Jährige spricht davon, in der Stadt mit einer halben Million Einwohnern sein Fussball-Paradies gefunden zu haben: «Ich bin sehr dankbar, dass ich das Abenteuer in Leipzig gewagt habe. Ich habe hier Bedingungen, wie ich sie in meiner Profikarriere noch nie gehabt habe.»
Mit Red Bull spielt Coltorti auch in dieser Saison erfolgreichen Fussball. Nach elf Runden sind die Leipziger auf Rang 3 klassiert, der Ende Saison zur Teilnahme an der Relegation berechtigt. In der Stadt nimmt die Begeisterung zu, der Eindringling aus Österreich wird immer weniger skeptisch beäugt.
«Das Potenzial ist da», urteilt der Schweizer Goalie, «beim Aufstiegsspiel kamen 40'000 Zuschauer. Die Leute freuen sich riesig, dass hier wieder guter Fussball gespielt wird.» Das Fernziel ist klar: Die Champions League.
Die Bullen werden ein anderer Bundesligist sein. Einer mit einer Fussballkultur, die sich von derjenigen auf Schalke, in Dortmund, Hamburg, Frankfurt oder München bestimmt unterscheidet. Der Besuch eines Fussballspiels wird austauschbar: mal geht's in den Zoo, mal in den Zirkus, mal zum Fussball. Es ist eine Entwicklung, die in unseren Alltag passt, in dem die Mobilität pausenlos wächst, viele jedem neuen Trend hinterher hecheln und jede zweite Ehe geschieden wird.
Red Bull Leipzig wird aufsteigen. Vielleicht noch nicht in dieser Saison, wohl aber in einer der nächsten. Das kann gefeiert werden, beklagt werden, verflucht werden. Nur eines kann der Aufstieg nicht: verhindert werden. Fussball-Deutschland muss sich wohl oder übel mit Red Bull Leipzig arrangieren.
Und mir ist lieber, ein Verein wird von einer Firma finanziert, welche eine harmlose Limo herstellt, als von einem Oligarchen aus dem öl- oder Rohstoffmilieu.