Es ist eine kleine Bombe, die das französische Newsportal Mediapart am Dienstag platzen liess – denn die Implikationen gehen weit über die Fussballwelt hinaus. Laut dem Onlinemagazin hat die Anti-Korruptions-Einheit der französischen Kriminalpolizei in Paris-Nanterre den ehemaligen Nationalspieler und Uefa-Präsidenten Michel Platini, 63, am Dienstagmorgen in Gewahrsam genommen.
Dabei geht es um die Vergabe der Fussball-Weltmeisterschaft 2022 an Katar. Andere gewichtige Kandidaten wie die USA waren vor neun Jahren überraschend auf der Strecke geblieben. Den Umschwung soll Platini ermöglicht haben, indem er vier von ihm kontrollierte Stimmen auf Katar übertrug. Die Ermittlung lautet auf «private Korruption», «Bandenbildung» sowie Veruntreuung.
Weniger schlagzeilenträchtig, aber in der Sache fast noch bedeutsamer ist, dass auch der frühere Generalsekretär des französischen Präsidialamtes, Claude Guéant, mit dem Statut eines «freien Verdächtigen» verhört wird, wie Mediapart berichtet. Guéant war von 2007 bis 2011 die rechte Hand von Staatschef Nicolas Sarkozy, bevor er Innenminister Frankreichs wurde.
Seine Einvernahme gilt laut Mediapart einer Sitzung, die er am 23. November 2010 im Élysée-Palast organisiert hatte. Neben Gastgeber Sarkozy nahmen daran Platini sowie der katarische Prinz Tamin bin Hamad al-Thani teil. Sie sollen einen weitreichenden Deal vereinbart haben: Platini habe zugesagt, zehn Tage später im FIFA-Ausschuss für Katar und nicht wie ursprünglich beabsichtigt für die USA einzutreten. Im Gegenzug soll sich das Scheichtum bereit erklärt haben, den Fussballverein Paris-Saint Germain (PSG) zu übernehmen und in Frankreich eine TV-Sportkette aufzubauen.
Einige Monate später: Qatar Sports Investment kauft Paris St Germain, Sarkozys Lieblingsclub, von einem US-Investor (auch ein Kumpel von Sarkozy)
— Fabian Scheler (@Faiaann) June 18, 2019
Ein Jahr später: Platinis Sohn bekommt Job bei der Qatar Sports Investment und wird Europa-Chef der Firma, der auch PSG gehört.
Wie das Pariser Magazin «France Football» schon in diesem Januar enthüllt hatte, soll Sarkozy ausserdem dafür gesorgt haben, dass französische Baufirmen in Katar den Zuschlag für die Errichtung von Fussballstadien erhielten. Diese Meldung könnte die Anti-Korruptions-Ermittler auf den Plan gerufen haben. Dass sie Sarkozy nicht selber vorlädt und seinen Sekretär Guéant nur als «freien Verdächtigen» einvernimmt, zeigt einmal mehr, wie schwer sich die französische Justiz damit tut, ehemalige Staatspräsidenten wie normale Bürger zu behandeln.
#Platini hat sich dazu auch mal geäußert: „Ich konnte mir damals natürlich vorstellen, dass Frankreich froh wäre, wenn ich für Katar stimme, aber niemand hat das von mir verlangt. Sarkozy hat es mir zu verstehen gegeben ...
— Fabian Scheler (@Faiaann) June 18, 2019
... Und vielleicht wusste Sarkozy, dass ich ohnehin für Katar stimmen werde und hat im Namen Frankreichs meine Stimme Katar verkauft, um seinerseits einen Haufen Dinge zu bekommen.“
— Fabian Scheler (@Faiaann) June 18, 2019
Sarkozy, 64, wird derzeit wieder vermehrt als Retter der französischen Republikaner ins Spiel gebracht, nachdem diese bei den Europawahlen von Ende Mai eine schwere Schlappe erlitten hatten. Würde der konservative Ex-Präsident in das Katar-Gate verwickelt, käme ein politisches Comeback für ihn wohl nicht mehr infrage.
Die politischen Folgen der Korruptionsaffäre sind noch unabsehbar. In Paris wird Präsident Emmanuel Macron die Ermittlung gegen Guéant und Sarkozy kaum hintertreiben. Dies auch deshalb nicht, weil Paris Katar nicht mehr als «strategischen Partner» betrachtet, sondern sich dem katarischen Gegner Saudi-Arabien annähert
Die USA werden nicht erfreut sein, zu realisieren, dass die Fäden der vorentscheidenden WM-Absprache möglicherweise im Élysée-Palast zusammenliefen. Das hatte der ehemalige FIFA-Präsident Sepp Blatter schon im März gegenüber der Agence France Presse angetönt: Laut seiner Darstellung hatte Sarkozy seinen Landsmann Platini persönlich gebeten, für die WM in Katar zu votieren.
Die vier vom ihm kontrollierten Stimmen im 24-köpfigen Exekutivbüro der FIFA hätten schliesslich den Ausschlag gegeben, rechnete Blatter vor. Denn die USA unterlagen gegen Katar mit 8 gegen 14 Stimmen. Blatter äussert sich auch deshalb so explizit, weil er sich selbst als Opfer amerikanischer und britischer Attacken nach der WM-Vergabe sieht
Platini, der die Uefa von 2007 bis 2015 geleitet hatte, ist von der Ethikkommission der FIFA bis im Herbst vom Fussballgeschäft ausgeschlossen worden, nachdem er von Blatter zwei Millionen Franken als Beratersalär erhalten hatte. Zu dem Élysée-Deal hatte er sich schon geäussert: «Präsident Sarkozy hätte sich nie erlaubt, mich darum zu bitten, für Katar zu stimmen, denn er weiss, dass ich ein freier Mensch bin.» Seine Wahl sei auf Katar gefallen, weil er aus Prinzip neue WM-Austragungsorte bevorzuge.